Jakob Thoene: „Ich kann Geschichten aus der Nacht erzählen“

Jakob Thoene (re im Bild) im Gespräch mit Thomas Venker (Photo: Anika Väth)
Das Wort Tausendsassa trifft auf Jakob Thoene ganz gut zu. Der Mitzwanziger hat an der Popakademie in Mannheim studiert, bevor es ihn via Praktika bei Four Artists und der Deutschen Telekom mitten hinein in das Phänomen Electronic Beats verschlagen hat, wo er sich für das Booking und die (anteilige) Moderation der Podcast verantwortlich zeichnet. Darüber hinaus betreibt er auch noch das Label DISSOLUTE mit und legt selbst auf.
Zum Interview haben sich Jakob Thoene und Thomas Venker im Rahmen eines dreitägigen Electronic-Beats-Festivals in Budapest getroffen, für das Thoene unter anderem Motor City Drum Ensemble, Paramida, Jennifer Cardini und Modeselektor gebucht hat.
Passend fertig geworden zu unserem Interview ist der neuste Electronic Beats Podcast mit Leigh Sachwitz, ihres Zeichens Chefin der flora&faunavisions-Agentur und Visual-Designerin. Mit Jakob Thoene hat sie sich unter anderem über ihre Auftragsarbeiten für Paul Kalkbrenner und Solomun unterhalten, aber auch Einblick in die Geheimnisse ihres nun bereits mehr als 20 Jahre andauernden Agenturerfolgs gegeben.
Jakob, du nimmst bei Electronic Beats eine Doppelrolle ein und bist zugleich der Booker für die Electronic Beats Events als auch (im Turnus mit Gesine Kühne) Moderator des Electronic Beats Podcast. Wie kam es dazu?
Ich arbeite für Telekom Electronic Beats bereits etwas länger. Angefangen habe ich mit den Club Kooperationen. Das Booking habe ich dann übernommen, weil die alte Bookerin gegangen ist und ich das Team schon sehr gut kannte. Beim Podcast war Gesine schon gesetzt und die Telekom war auf der Suche nach einem jüngeren Gegenpart. Der Kontakt zu Künstlern und Clubs hat im weiteren ebenfalls eine Rolle gespielt. Ich bin kein klassischer Moderator, aber ich kann Geschichten aus der Nacht erzählen.
Hast du das Gefühl, die Rollen stimulieren sich gegenseitig?
Ja, auf jeden Fall! Ich beschäftige mich viel mit Künstlern und hinterfrage, wer aufstrebend ist, welches Thema in naher Zukunft interessant werden könnte. Ein Beispiel: Als ich letztes Jahr überlegt habe, Perel für eine Electronic Beats Show in Polen zu buchen, kam die Idee auf, sie auch für den Podcast einzuladen. Damals war sie noch nicht so bekannt, der Podcast mit ihr war dann aber trotzdem sehr erfolgreich, wir haben das Momentum also sehr passend für beide Sachen genutzt.
Perel hat es neben Westbam dann ja auch gleich auf Euer Weihnachts-Walkman-Geschenk geschafft. Das zeugt ja auch davon, wie populär der Podcast mit ihr war.
Genau. Das hatte bei ihr viel mit dem Inhalt zu tun – es ging in der Podcast-Folge um Selbstbewusstsein. Sie hat von ihrem Werdegang erzählt, der genauso ablief, wie es sich alle immer wünschen: man arbeitet gezielt auf etwas hin und dann wird man wirklich entdeckt. Eine schöne Geschichte, in die sich jeder gut reinfühlen kann. Das ist auch einer meiner Lieblings-Podcasts.
Das glaube ich sofort, Perel ist ja auch eine sehr lebendige Erzählerin.
Sie erzählt sehr direkt, versucht nicht, Sachen zu verschönigen oder auszulassen, sondern spricht die Dinge direkt an – das kommt gut im Podcast. So macht ein Gespräch viel Spaß.

Jakob Thoene (re im Bild) im Gespräch mit Thomas Venker (Photo: Anika Väth)
Jakob, die Doppel-Rolle, die du einnimmst, passt ja in unsere Ära. Die Berufsbilder haben viel weichere Zäune bekommen: Journalist_innen findet man zunehmend auch auf Bühne als Moderator_innen und Panelteilnehmer_innen wieder, Künstler_innen müssen immer mehr von sich preisgeben und praktisch nonstop an ihrer Erzählung öffentlich schreiben.
Würdest du sagen, dass du von den beiden Polen deines Jobprofils kommend eine höhere Sensibilität im Umgang mit Künstler_innen entwickelt hast? Setzst du dich durch die erweiterte Arbeitsstruktur mehr mit der Psychologie der Künstler_innen auseinander als früher, als du „nur“ Booker warst?
Ich glaube nicht, dass ich es durch meine Doppelrolle mehr mache. Denn schon als Booker geht es mir ja darum, einen Künstler zu buchen, der zur Veranstaltung passt.
Ich hätte zum Beispiel gestern zur Eröffnungsveranstaltung in Budapest niemanden buchen können, der nicht zum Vibe passt. Jemand introvertiertes, der eher für sich ist, hätte nicht gepasst. Es ging da zum Sonnenuntergang um ein bestimmtes Lockerheitsgefühl, ein verkopfter Künstler hätte nicht funktioniert. Insofern achte ich auch schon beim Booking immer auf die Persönlichkeit der Künstler. Weniger vor dem Hintergrund, was man mit und zu der Person in einem Podcast erzählen kann, sondern eben hinterfragend, ob sie zum Setting passt.
Es fällt angenehm auf, dass die beiden Stränge Veranstaltungen und Podcasts jeweils eine klare eigene Identität aufweisen, es eher die Ausnahme als die Regel ist, dass jemand wie Perel zeitgleich beide Formate bespielt.
Ganz klar: Booking und Podcasts sind in der Auswahl getrennt voneinander. Nicht jeder Künstler eignet sich für einen Podcast. Es macht wenig Sinn jemanden, der wenig redet, in eine Situation zu bringen, die ihm unangenehm ist.
Wobei wir aber auch Live-Podcasts wie in München machen, da passt es dann eine Brücke zum Live-Event zu bauen.
Bei diesem Podcast/Event ging es uns darum, die Münchner Clubkultur im Internationalen Vergleich zu betrachten. Da war dann Perel nochmals mit dabei, da sie schildern konnte, wie sich das Blitz in München zu anderen Städten und Clubs verhält. Sie hatte Lust, sich in das Thema miteinzubringen.
Wer trifft denn die Auswahl der Künstler_innen?
Beim Booking entwickle ich auf Basis des Settings (das von unserer Produktionsfirma und der Deutschen Telekom in Zusammenarbeit mit dem lokalen Team vor Ort kommt) eine Idee und stelle eine Auswahl zusammen, Namen, die für mich an den Ort passen – und die verfügbar sind. Wichtig ist hierbei der Dialog mit den Kollegen vor Ort, da ich zum Beispiel kein Experte für die Ungarische Szene bin. Die Auswahl wird dann basierend auf meinen Vorschlägen zusammen mit der Telekom getroffen.
Hinter dem Podcast steckt ebenfalls ein Team, von dem jeder seine individuelle Expertise einbringt. Der Podcast wird von der Agentur von Welt produziert, die Mit Vergnügen gehört – sie haben das Fachwissen für das Medium Podcast. Von der Telekom sind Claudia Jonas und Ralf Lülsdorf dabei, die die inhaltliche Perspektive einbringen und für die Frage sensibilisieren, was Hörer_innen interessiert, die vielleicht auch nicht ganz so tief drin sind in der elektronischen Musikwelt. Von ihnen kommen auch die meisten Gäste-Vorschläge. Meine Kollegin Gesine und ich wiederum ergänzen diese Liste mit weiteren Namen. Letztlich müssen die Gäste für alle Seiten gut passen.
Stichwort Namen. Es ist auffällig, dass ihr beim Podcast nicht nur auf Namen setzt, sondern auf Themen, Ideen, spezielle Inhalte. So stutzt man oft beim Lesen der Namen:
Was soll eine Katja Ruge da?
Warum wird jemand vorgestellt, der eher hinter den Kulisssen im Club arbeitet?
Wieso stellt ihr ein experimentelles Kunstprojekt wie das Phantom Kino Ballett vor?
Der Podcast schürft ja bewusst tief.
Die Idee ist es, erst das Thema zu finden – und dann den passenden Podcast-Partner.
Beim Phantom Kino Ballett ging es darum, den Kunstbereich von der Perspektive von jemanden wie Lena Willikens zu betrachten, die als DJ und Produzentin bereits erfolgreich ist und dann ein Performance-Projekt mit startet.
Talida Wegener ist noch so ein Beispiel für jemanden, die keinen Namen hat, den die breite Masse kennt, sondern eher Musikindustrieleute. Das Gespräch zum Thema Stress und Burnout mit ihr war eine echte Lehrstunde für mich.
Warum auch nicht, die Leute reagieren ja nicht nur auf Charaktere, sondern eben auch auf Themen.
Wir sehen das auch an den Clicks. Manche Podcasts mit großen Namen sind weniger erfolgreich als solche mit kleineren Namen aber Themen, bei denen sich die Leute wiederfinden können. Wie geht ein Mensch mit einer Situation um, wie jene, in der sich Talida befand?
Du bist kein gelernter Journalist, sondern Quereinsteiger. Wobei das ja kein Manko sein muss, ich denke ja eh, dass jeder alles kann, wenn man den Leuten nur genug Zeit zu Lernen lässt.
Aber ist es denn so, dass du nur learning by doing betreibst oder arbeitest du dich auch in die Materie ein, in dem du beispielsweise musikjournalistische Beiträge vergangener Epochen aufarbeitest? Und weiter gefragt: liest, hörst und schaust du mehr musikjournalistische Beiträge seitdem du den Podcast moderierst?
Es ist mir gerade erst bewusst geworden, dass ich in der Tat nun mehr Interviews lese. Früher habe ich mich mehr für die Künstler selbst und ihre Social Media Kanäle interessiert und da verfolgt, was sie machen, und auch viel Videoclips geschaut. Aber jetzt lese ich vermehrt Interviews.
Bei der Recherche für meine Gespräche ist es für mich wichtig, dass ich danach noch nicht alles weiß über meinen Podcast-Gesprächspartner. Ich möchte niemanden gegenüber sitzen und bereits die Antworten kennen, das ist die schlimmste Situation, die ich mir im Interview vorstellen kann.
Das ist ja tatsächlich ein positiver Effekt der Podcasts: immer mehr Leute führen Interviews, die einen anderen, deutlich eigenen Fragestil aufweisen und nicht so journalistisch formatiert ablaufen wie es leider oft der Fall ist. Man spürt da oft mehr Neugierde als Skript.
Mir hat Matze Hielscher am Anfang sehr geholfen. Er sagte zu mir: „Die beste Frage, ist die nach dem Warum“. Wenn jemand etwas gesagt hat, soll man es nicht einfach nur so stehen lassen, sondern sollte versuchen, die Distanz zu überbrücken. Das Schöne am Podcast ist, dass es okay ist, wenn die andere Person sagt, „darüber möchte ich nicht reden“ – man hat trotzdem nachgefragt.

Jakob Thoene (re im Bild) im Gespräch mit Thomas Venker (Photo: Anika Väth)
Es wird generell kaum geschnitten. Das ist ein echter Paradigmenwechsel zur journalistischen Schule, aus der ich komme, wo alles editiert und feingeschliffen wird. Wir haben es plötzlich mit einem Format zu tun, wo die Leute die ganze Zeit dabei sind und nicht das Gefühl der Lücke entsteht – es sei denn, es gibt einen Eklat und man muss was rausnehmen.
Ich sage vor jedem Podcast zu meinem Gesprächspartner, dass wir nicht live sind, einfach, da man im Redefluss manchmal Geschichten erzählt, von denen andere Personen nicht wollen, dass sie veröffentlicht werden – einmal ist es dann wirklich passiert und wir haben was aus Respekt wieder rausgenommen.
Aber generell gilt, wenn jemand nicht darüber reden will und das sagt, dann lassen wir es so drin, das erzeugt eine unterschwellige Ehrlichkeit.
Du hast es eben bereits angesprochen: ihr produziert die Podcasts ab und an auch live auf der Bühne. Ist dir das denn von Anfang an leicht gefallen?
Ich muss gestehen, dass ich vor unbekanntem Publikum nervöser bin – als ich einmal ein Radiointerview gegeben habe, und da war ich bereits wirklich sehr nervös. Auf der Bühne hingegen hat es mir bei dem einen Podcast, den ich live moderieren durfte, ungemeinen Spaß bereitet. Weil man die Interaktion mit dem Publikum hat, die dann auch Fragen stellen können. Es fühlte sich wie eine Riesengesprächsrunde an.
Kannst du ein Highlight aus den bisherigen Podcasts benennen?
Ich war von der Offenheit von Talida Wegener überrascht. Sie hat mir von ihren Panikattacken im Flugzeug erzählt, wie ihr alles plötzlich zuviel wurde – und dabei ihre Comfort Zone komplett verlassen hat. Ich hatte vor dem Gespräch bereits viel Respekt vor ihr, da sie so viel in ihrem Leben geschafft und dann den Schritt gewagt hat, alles hinter sich zu lassen, die Bequemlichkeit der Privatjets, das Gefühl überall mit offenen Händen empfangen zu werden. Das Gespräch ist mir sehr nah gegangen.
Jakob, würdest du sagen, dass du eine typische Herangehensweise hast? Gibt es eine Gemeinsamkeit all deiner Gespräche?
Ich frage die Leute oft nach der Initialzündung für alles. Ich spreche mit ihnen über Themen, wo es ein Ereignis gab, das Veränderungen mit sich brachte. Da frage ich dann auch nach dem warum, wobei das bestimmt auch viele andere so machen.
Was hast du denn vor Electronic Beats gemacht?
Erste Agenturerfahrungen habe ich im Clubmanagement in Dortmund gesammelt, wobei das nicht sonderlich viele Veranstaltungen im Jahr waren, vielleicht so fünf, sechs Bookings. Später habe ich dann Musikbusiness im Bachelor mit Schwerpukt Businessmanagment an der Popakademie in Mannheim studiert und zunächst ein Praktikum bei Four Artists absolviert und schließlich eins bei der Deutschen Telekom in Bonn.
Du legst ja selbst auch auf. Ist deine Zusammenarbeit mit der Creme de la Creme der Szene da denn eher motivierend oder gegenteilig? Ich erinnere mich noch, wie ich von Stuttgart, wo ich viel aufgelegt habe, nach Köln gezogen bin und plötzlich Leute wie Tobias Thomas, Strobocop oder Michael Mayer um mich rum waren – ich hab das Auflegen dann langsam ausgefadet.
Ich habe sehr hohen Respekt vor jedem, der das Vollzeit und hauptberuflich macht. Man muss das sehr wollen und mit 100% Leidenschaft dahinterstehen, damit man erfolgreich wird. Wenn man nicht alles reingibt, dann wird es nichts. Man gibt sehr viel auf.
Ich habe sehr viel Spaß am Booking, organisiere die Dinge gerne von der anderen Seite aus. Ich will mir das Auflegen und das Musikmachen – ich habe im letzten Jahr eine Platte veröffentlicht und bald wird noch eine kommen – als Leidenschaft erhalten. Sollte sich trotzdem irgendwann der Erfolg ergeben, dann ist das toll, aber ich werde jetzt nicht alles dransetzen, um als DJ durchzustarten. Aktuell hatte ich dieses Jahr zwei Gigs – und die waren beide super. Diese 100%-Quote möchte ich mir erhalten.
Das ist in der Tat nicht leicht. Die meisten Künstler, denen man die Frage stellt, sprechen off record von vielleicht zwei super Abenden aus zwei Hand voll.
Genau. Da spiele ich lieber nur drei oder vier Mal im Jahr als jedes Wochenende in einer anderen Stadt. Dazu ist mein Wille in der Richtung zu gering, um das durchzustehen Ich würde schnell aufgeben.
Mein Label DISSOLUTE, das ich gemeinsam mit Maximilian Langenbacher betreibe, macht mir aber auch viel Spaß. Da bin ich ebenfalls auf der anderen Seite. Ein Künstler des Labels, den wir auch im Management haben, entwickelt sich gerade sehr gut. Daran habe ich momentan mehr Freude als selber Musik zu produzieren.
Gibt es einen Wunschgesprächspartner?
Steffen Berkhahn, DJ Dixon, hat mich schon immer fasziniert. Ich bin Fan von ihm und seinem Label Innervisions. Er schafft es seit so vielen Jahren seine Linie gerade zu halten, ohne Bruch, ohne Verkrümmung des Erfolgs wegen – aktuell mit seiner Marke „Transmoderna“, den Klamotten, der „Together We Dance Alone“-Galerie. Seine Ideologie ist so beständig. Ich würde gerne mehr darüber erfahren, wie es kommt, dass er seine Ideen so konsequent verfolgt und sie auch sehr genau umgesetzt bekommt.
Thematisch würde mich mal die Perspektive der Politik auf die Musikindustrie interessieren. Wir sprechen sehr viel mit Leuten aus der elektronischen Musikwirtschaft, die in den letzten Jahren sehr groß geworden ist, auch sehr kommerziell erfolgreich; wenn man beispielsweise auf Berlin schaut, dann ist sie ein anerkannter Tourismusmagnet. Aber auch in anderen Teilen Deutschlands bringt die elektronische Musikszene einen kulturellen Mehrwert mit sich, der im Vergleich zu anderen kulturellen Feldern bei der Politik nicht so richtig Gehör findet. Mich würde interessieren, wie beispielsweise ein Kultursenator über diese Industrie denkt, was er für Vorstellungen hat, wie sie sich im Stadtbild weiterentwickelt. Wir reden ja viel von Kulturverdrängung, von Gentrifizierung etc, aber es gibt aus meiner Sicht zu wenig Gespräche mit den zuständigen Personen aus der Politik. Wir hatten da einen Podcast zu mit Lutz Leichsenring, geführt von meiner Kollegin Gesine, das ging in diese Richtung, aber da kann noch mehr kommen. Warum aber nicht mal den Kulturbeauftragten der Stadt Berlin interviewen, gerade weil Berlin das Label als Technotown hat.
Jakob, vielen Dank für das Gespräch.
Thomas, ich danke dir.