Yaneq: “Ecken und Kanten. Und Null Erwartung an Budget, weil: gibt nichts.”
Meine erste Begegnung mit Jan Kage muss 2000 stattgefunden haben. Im Frühjahr des Jahres hatte mich die Redaktion des Kölner Intro Magazins mit viel Charme und Versprechen vom VFB Stuttgart weg zu einem Wechsel an den Rhein bewegt. Es sollte die richtige Entscheidung gewesen sein, schnell wurde ich heimisch, fand neue Freund:innen im stetig wachsenden Verlagshaus (ein Prozess, der sich ab Ende der Nullerjahre dann aber markant in die andere Richtung drehen sollte) und auch unter der bis dato existierenden Intro Autorschaft waren neue, spannende und sympathische Leute dabei. Einer von ihnen: Jan Kage, angepriesen als HipHop Head – was auch passte, aber dann doch zu kurz griff, sein Horizont hörte definitiv nicht in der Rap-Ecke auf. Und so wunderte es auch nicht, dass er irgendwann als Autor weniger stattfand und stattdessen vermehrt zu “Party Arty” Happenings und Parties an der Schnittstelle von Musik und Kunst nach Berlin lud und mit dem SCHAU FENSTER seinen eigenen Galerieraum etablierte. Wie so viele von uns Dauerrenner:innen hatte auch Jan Kage während der Pandemie-bedingten Lockdowns plötzlich mehr Zeit als sonst, Zeit, die er produktiv zu nutzen wusste und an einem neuen Album seines Yaneq Projekts tüftelte, denn Musiker ist dieser Teufelshund auch noch. Es trägt den Titel „Rufen und Raushaun“, macht Spaß und regt zu einigen Fragen an, warum sie ihm also nicht stellen.
Jan, wenn dich jemand fragt, was du machst, wie lautet deine Antwort?
I’m a lover not a fighter.
In “Kein Fleck is“ argumentierst du für ein Leben, das sich nicht primär an monetären Interessen orientiert. Geht das im durchgentrifizierten Berliner in 2022 noch?
Gute Frage, klare Antwort: Nein, natürlich nicht. Ich besinge hier mein Ideal, meinen Wunsch, mich nicht nur am Geld zu orientieren, mich stattdessen immer wieder daran zu erinnern, warum mich damals als Teenie die Musik, Literatur, später die Kunst gerettet haben. Weil sie Sinn stiften und Sinn an sich sind. Und das geht auch in Berlin 2022 noch sehr gut.
Etwas weiter gefragt, als jemand, der aus Bonn kommend bereits sehr früh im Postwende-Berlin sein Unwesen getrieben hat und die nennen wir es mal Genese des neuen, internationalen Berlins sehr genau beobachten konnte, wie empfindest du die diese (sub)kulturelle Entwicklungsgeschichte?
Berlin ist nach wie vor spannend. Als ich nach Berlin gekommen bin, passierte alles in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Ich hab immer in Kreuzberg gelebt. Hier ging es dann später (wieder) los, als Mitte Opfer seines Erfolges wurde. Heute passiert viel in Neukölln, da hört man neben Deutsch und Arabisch jetzt auch viel Amerikanisch. Auch im Wedding, sogar in Oberschöneweide passiert was. Die Szene wandert also. Stilistisch: es ändert sich der Ausdruck, aber die punkige, dreckige Energie ist nach wie vor Teil der Subkultur. Was die Kultur ohne Sub angeht: es hat sich vieles professionalisiert. Was ja irgendwie auch ganz gut ist.
Der Titel deines Albums „Rufen und Raushaun“ ist natürlich leicht ironisch konnotiert, zumindest lese ich ihn so, denn raushaun ist ja nicht wirklich dein Ding als Musiker, zumindest mussten die Fans des HipHopers Kage lange auf neue Tracks von Yaneq warten, da du a) simply too busy mit der Kunst warst oder? Oder b) Musik eben nicht immer zu dir spricht? Oder c)?
Mehr a). Ich habe vor 18 Jahren neben der Musik aus Spaß angefangen auch bildende Künste anderer zu zeigen. Die Party Arty habe ich 15 Jahre lang in verschiedenen Klubs veranstaltet. Erst im Lovelite (Friedrichshain), dann in Kreuzberg im 103, in der Ritter Butzke und im Prince Charles, übrigens auch ein paarmal in Köln. Vor 13 Jahren wurde mir der Raum angeboten, der seitdem der Kunstraum SCHAU FENSTER ist, in dem du ja auch schon kuratiert hast. Das Kunstzeigen wurde immer mehr, ohne dass ich es geplant und beabsichtigt hatte. Das hat auch Spaß gemacht, war lehrreich, spannend, nur die Zeit für aktives, ernsthaftes Musikmachen wurde immer weniger. Vielleicht hatte ich hier auch mehr Erfolg, als mit meinem leftfieldschen, schon damals sehr elektronischen, punkig-informiertem HipHop. Meine Realness damals, hat im kommerziellen HipHop nicht so viel Platz gefunden. Und wie gesagt: Ums Kommerzielle geht es mir nicht primär, eher um Erfahrung. Und darum Leute zusammenzubringen. Es brauchte die Lockdowns der Pandemie, um wieder Musik zu machen. Sie floss einfach aus mir raus. Den Titel habe ich gar nicht so ironisch gemeint, er kommt vom letzten Stück der Platte, auf dem Mo Delgado am Saxofon soliert: „…das Wort nicht nur denken, es Rufen und Raushaun und allen zu schenken, indem man Materie bewegt…“
„Rufen und Raushaun“ erscheint auf Grzegrozki Records, dem Label der Künstler:innen Alicja Kwade und Gregor Hildebrandt. Wie kam es zu dieser Verbindung und wie hat man sich die Zusammenarbeit vorzustellen?
Ich bin mit beiden befreundet. Gregor hat auch schon vor über zehn Jahren auf Party Artys aufgelegt. Schon vor der Pandemie wollte er die Musik meiner Sessionband KOHLE veröffentlichen. Ich hab da Schlagzeug gespielt, Chérie (von Warren Suicide/String Theory) und Hannes (von Marx/Pitchtuner), mit denen mich seit frühen Party Arty-Tagen eine enge künstlerische Freundschaft verbindet, haben gesungen, beziehungsweise Synthie dazu gespielt. Wir haben immer nur auf Vernissagen gejammt. Das war so ein Dogma. Als wir dann endlich mal unsere Grooves aufnehmen wollten, kam der erste Lockdown. Also habe ich alleine meinen Kram mit Klavier und Schlagzeug aufgenommen und Gregor und seinem Team hat das gut gefallen. Das frühe Material habe ich dann mit Ben Lauber vom Transporterraum ausproduziert.
Gibt es denn auch künstlerische Berührungspunkte, haben die zwei schon mal etwas in einem Ausstellungsprojekt von dir gezeigt, oder sind Künstler:innen, die bei dir ausstellen in Projekte von den beiden involviert?
Ja, beide haben schon im Schau Fenster ausgestellt, und Gregor hat wie gesagt auch schon bei Party Artys aufgelegt. Beide waren Gäst*innen bei meiner FluxFM Sendung Radio Arty. Und gefeiert haben wir auch schon zusammen. Alicja und Gregor veröffentlichen auf Grzegorzki Records ausschließlich Freund*innen. Das hat es mir auch so sympathisch gemacht.
Ich frage das natürlich auch, da zumindest aus der Distanz betrachtet, das Kunst-Milieu, das du bespielst nicht so viel mit dem Kunst-Milieu der beiden gemein hat. Wie nimmst du das denn wahr?
Nee, das nehm ich aus der Nähe nicht wirklich so wahr☺
Die beiden haben offensichtlich große Karrieren. Aber was die Party Artys und den Kunstraum SCHAU FENSTER angeht, gilt zweierlei: Zum Einen biete ich inhaltlich eine große eklektische Breite; in der Kunst wie in der Musik: Mir gefallen viele Stile und es geht eher um Haltung und Inhalt. Und zum Anderen mischen sich bei den Gruppenausstellungen bekannte Künstler*innen mit zu Entdeckenden. Das macht für mich auch Berlin aus: Egal wie bekannt du bist, bleibst du Teil einer Szene, stellst auch in kleineren Ausstellungen aus, legst auf kleineren Events für kleineres Geld auf, um Teil der Community zu bleiben und auch, um sie zu befördern. Das habe ich in der Musik genauso erlebt, wie in den bildenden Künsten.
Überhaupt: Wie kommentiert Yaneq den Status Quo und auch das Vadis der Kunstmetropole Berlin?
Die letzten zwei Jahre hat der Status pandemie-bedingt arg geholpert. Es gab eigentlich keinen Modus Operandi, eher ein großes Stop and Go. Ansonsten hat sich Berlin, wie von dir schon angesprochen in den letzten 20 Jahren stark internationalisiert und auch professionalisiert. In den 90ern und Anfang der Nullerjahre sind wir alle um 12 Uhr Kaffee trinken gegangen und hatten Projekte. Heute ziehen mittags Grüppchen von drei bis vier Männern und eine Frau zum Lunch und machen Mittagspause. Für die Kunst bedeutet das: Es gibt jetzt auf den Vernissagen nicht allein die Bohème, die sich brotlos selber feiert (was eine tolle Zeit war), sondern auch ein neues Bürgertum, das sich Kunst eventuell leisten kann und will. Auf der anderen Seite wird der ökonomische Druck immer größer: Auch erfolgreiche Künstler*innen können sich die Ateliers innerhalb des S-Bahnrings nicht mehr leisten und ganze Familien werden aus ihren Kiezen verdrängt, weil die Mieten unbezahlbar werden. DC9, die mich auf der Bühne am Mic unterstützt, soll im Oktober als alleinerziehende Mutter aus ihrer langjährigen Wohnung fliegen: „Eigenbedarf“. In Berlin herrscht derzeit eine gewaltige Dynamik, die teilweise nicht von gewaltsam zu trennen ist.
Welche Szene da draußen in der Welt beobachtest du aktuell denn am interessiertesten und warum?
Das Diffundieren der Grenzen, stilistisch, aber auch zwischen den Genres finde ich aktuell am interessantesten. Politischer Aktivismus spiegelt sich in der Kunst, Künstler machen Musik, Musiker Kunst und alle treiben gemeinsam und für sich die großen Diskurse um und voran – inhaltlich und stilistisch: Antirassismus, Dekolonialismus, Klimawandel, Gendergerechtigkeit usw. Ich nehme eigentlich nicht einzelne Szenen wahr, so wie das früher war: Hier Techno, da HipHop, dort Punk. Mich haben schon damals alle drei fasziniert, später kam noch Jazz dazu, der ja auch eine komplett neue Generation spannender Musiker hervorgebracht hat. Seit der Einführung des Ipod annu dazumal, sind diese Grenzen fluid. Mein HipHop ist heute genauso Indirock, wie Krautrock und jazzy, wie Boombap. In den bildenden Künsten ist das anders aber ähnlich.
In „Kein Fleck is“ rappst du von den 36 Kammern, ganz klar eine Wu-Tang-Clan-Referenz. Einer deiner Einflüsse? Und wer hat sich denn sonst noch so im HipHop-Universum von Yaneq eingeschrieben?
Ja, voll. Das erste Wu-Tang Album „Enter the 36 Chambers“ ist die perfekte Musik für mich. Schönheit liegt immer in der Abweichung von der Norm, im Andersmachen. Richtigmachen kann jedeR, der/die genug übt. Andersmachen ist der Ausdruck von Individualität. RZAs Produktionen waren damals technisch noch nicht so ausgereift, wie die späteren. Der Sound ist flach gemischt und verzerrt, die Beats sind teilweise schief geschnitten, rumpeln und bumpeln, aber die Energie ist so roh und unmittelbar, der entkommt man nicht. Old Dirty Bastards Performances sind für mich wie Thelonious Monks Klavierspiel. Dem haben die Kritiker damals auch vorgeworfen, zu roh zu sein. Ungeschliffene, funkelnde Diamanten. RZA hat Monk ja auch gesampelt. Der dubbige Bass der Beats. Ich liebe alles an diesem Album. Wer sonst noch? MF Doom ist zu nennen. Seine langen Reimketten, meist ohne Strophe und Refrainschema waren Vorbild für mich, auch wenn sich bei mir meistens doch eine Hookline reinschiebt. Mos Def, der Ende der 90er den Rap mit Skills und Inhalten erneuert hat. Aber auch Kendrick Lamar, der nicht nur Jazz sampelt, sondern dessen Musik im Grunde genommen in ihrer Struktur genauso Jazz wie HipHop ist, liebe ich sehr. Linton Kwesi Johnson. Rio Reiser. Chuck D. Jello Biafra. Und dann waren da die Jams von MoketeMokete, einem Lychee Lassi Offspin, die wir vor Corona im Kanya&Kage veranstaltet haben: wunderbare Sessions, irgendwo zwischen Freejazz und HipHop-informierten Krautrock. Die sind mir tief reingegangen.
Wenn du eine Kollabo frei hättest, wer wär es und warum?
Boah, schwierig. Rio Reiser ist ja leider tot. Bilderbuch sind geil. Die Goldenen Zitronen sind Dauerbrenner. Haiyti mag ich, Lena Störfaktor auch. Modeselektor feier ich seit immer. Amewu ist super. Pisse sind toll. Kamp aus Wien mag ich auch.
Und: Element of Crime.
Auf dem Album taucht ja T.Raumschmiere auf. Wie kam es dazu?
T.Raumschmiere hatte bis unlängst seine Suite im gleichen Studio wie Ben Lauber, mit dem ich die Platte gemacht habe, dem Chez Chérie in der Sonnenallee. Ich habe die ganze Musik im Lockdown in der Brandenburger Datsche aufgenommen und hinterher mit Ben in seinem Studio dick gemacht. „Auf in die Zukunft“ ist diese punkig-technoide Nummer und Ben sagte, die müsse ich mit Marco, also T.Raumschmiere machen. Zum Glück hatte er auch Bock. Ich bin seit „Monstertruckdriver“ Fan. Ich hab früher für die De:Bug geschrieben und wir hatten ihn auf dem Cover. Marco hat auch mehrmals auf Party Artys aufgelegt. Das passte also. Irgendwann in der Produktion rief Marco an und sagte, gestern Nacht hätte auch noch sein 17jähriger Sohn QSeng draufgerappt. Zack, fertig.
Was muss ein(e) Musiker:in haben, um potentiell für eine Yaneq Kollabo in Frage zu kommen?
Ecken und Kanten. Und Null Erwartung an Budget, weil: gibt nichts.
Open Mic zum Ende: Was muss noch gesagt sein?
Let love rule.
Und: KOHLE und ich wollen live spielen! Bucht uns. Wir sind super.