Debbie Harry: “Das CBGB war ein Loch”
Was hätte das für ein Fest werden können? Ein Abendessen mit Debbie Harry! Was kann schon schiefgehen, wenn man mit jenem Glamour-Girl eine Verabredung hat, das in den mittleren 70ern die gesamte New Yorker Lower Eastside verrückt gemacht hat mit seinem koketten Charme und seiner abgezockten Coolness und binnen zwei Jahren das ganze Land für Punk, Avantgarde-Pop und ein neues Frauenbild öffnen konnte.
2007 ist nicht gerade das Jahr, in dem Stars noch wirklich Stars sind. Ehrfurcht und Bewunderung sind Wörter aus einer anderen Ära der Poprezeption, das Geschäft läuft mies, und die wenigen vorhandenen Stars sind entweder zu abgenutzt und werden dementsprechend eher wie Senior_innen respektvoll durchgeschleift oder so jung und ganz offensichtlich auf kurze Zeit angelegt, dass es sich gar nicht lohnt, sich groß auf sie einzulassen. So ist es.
Debbie Harry jedoch ist eine von den älteren Künstler_innen, bei der das noch anders läuft. Plötzlich sieht man mal wieder erhobene Augenbrauen bei der Nennung der Interviewpartner_in, ist eine Erregung zu spüren, die nahe am Neid gebaut ist. Da interessiert es schon niemanden mehr, dass ich nicht wirklich kochen werde mit ihr, einfach, da sie nicht so recht den Bezug dazu hat: Dinieren ist ihre Sache.
Erste Zweifel an der besonderen Wertigkeit des Treffens kommen während der Fahrt auf: Rainer Holz, regelmäßigen Lesern des Formats bekannt als Celebrity-Fotograf, hält die Stücke ihres neuen, sechsten Soloalbums „Necessary Evil“ nie länger als zehn Sekunden aus, dann schnaubt er verächtlich das Schnauben eines Mannes, der die 1980er Jahre aktiv und im kulturellen Epizentrum  miterlebt hat, und weiß es auch in Worte zu fassen, womit er hadert.
Ich versuche zu beschwichtigen, kommentiere, das sei doch nicht so schlecht, eben harmlose Popsongs auf dem Stand der 80er-Jahre, und auch textlich wäre Debbie noch da – auch wenn ich ohne Textblatt kaum etwas mitbekomme. Klar, das ist nicht mehr der heiße Scheiß, aber erstens ist die Fallhöhe sehr hoch, wenn man bereits vor mehr als dreißig Jahren so frisch wie neu Sinnlichkeit und Punk zu großen Songs vereint hat, und zweitens: HALLO, mehr als 30 Jahre!
Allerdings entsprechen auf der Fahrt auch die großen alten Songs nicht unserem 2007er-Anspruch. Zumindest all jene auf der „Best Of“, die nicht „Heart Of Glass“, „Rapture“ oder „Call Me“ heißen. Hier brachten Blondie so vieles ein, was einen guten Popsong ausmacht: Wehmut, Catchiness, Erinnerungen an gute Momente und das Gefühl zu leben genauso wie die Gewissheit der Endlichkeit des Seins. Perfekte 3-Minüter eben.
Aber ansonsten: oh weh. Wie konnten wir das nur so falsch erinnern?
Und so sitzen wir reichlich ernüchtert ein paar Minuten im Auto vor dem Atlantic Kempinski rum. Was ist da nur passiert in den letzten vier Stunden? Wann genau hat Debbie Harry ihren Überreiz verloren?
Egal, wir sind Profis. Und als solche nehmen wir die Dinge, wie sie kommen – und machen rein in die Lobby, wo unsere Stimmung sofort viel besser wird: Die Hamburger Kiezgröße Neger Kalle, zuletzt aktiv gewesen als Manager von Tic Tac Toe bei deren Comeback und bürgerlich eingetragen als Karl-Heinz Schwensen, lümmelt neben uns in der Lobby und führt bei Kaffee und Keksen wichtige Gespräche. Leider kann ich – trotz eingenommener (und wahrgenommener) Schieflage – nichts von den Deals aufschnappen, dafür werden wir aber auch schon ins Tsao Yang, das chinesische Restaurant des Hotels, gerufen. Rainer grinst wie ein Honigkuchenpferdle. Das Ambiente, die Küche, alles so schön fotogen – also wenn man auf weiß steht.
Zumindest der Einstieg des Gesprächs bietet Debbie Harry erstmal die Chance, sich unprätentiös und auf Straßenniveau zu zeigen. Angesprochen auf einen gemeinsamen TV-Auftritt mit Lily Allen, den ich am Vortag im Netz gesehen habe, erzählt sie, dass dieser um fünf Uhr morgens aufgezeichnet worden sei. Das sei zwar Folter, aber so üblich – und das müsse sie eben durchziehen. Von Starallüren nichts zu spüren. Und während ich das so denke, fährt sie fort, dass es sie unheimlich freue, dass junge Künstlerinnen sie als Role-Model schätzten, und dass sie sich im Gegenzug auch für diese interessiere, neben Lily Allen unter anderem auch für die Dresden Dolls und The Gossip.
Zeit, zu bestellen. Auch hier ist die Diva keine. Fast schon schüchtern fragt sie über mich bei der Bedienung an, ob sie denn auch die Zitronengrassuppe als Vorspeise haben könne, wo diese doch nur im Menü zu haben sei. Sie kann.
Wir bleiben beim Thema. Die Harry erzählt, dass sie zu Hause nur koche, wenn Gäste kämen, sonst sei ihr das zu langweilig. Und selbst dann würde sie nur Salat zubereiten. Ach, Salat, das sei überhaupt ihr Lieblingsessen: nicht nur auf Reisen, wo sie ihn meistens esse, da sie Angst vor Lebensmittelvergiftungen habe, auch sonst. Bedenken, dass er ihr zu wenig Energie für ihr Kräfte raubendes Arbeitsaufkommen liefere, habe sie nicht. Männer würden offensichtlich mehr Energiezufuhr brauchen, das sehe sie auch an den Männern bei Blondie, die immer nur essen wollen.
Bis zum Vortag des Interviews war sie mit Blondie auf Tour. Davor hat sie das Album aufgenommen. Auf die Frage, ob sie ihre Arbeitstage zähle, heitert sich zum ersten Mal ihr Gesicht so richtig auf. Mit dem Blick auf den Manager feiert sie ab, dass ich auf ihrer Seite sei – ergänzt aber, dass alles gar nicht so viel Stress sei. Es käme schubweise. Sie sage auch viel ab, fühle sich aber glücklich, dass sie noch immer so oft gefragt werde. Sehr professionell gesprochen.
Damit aber auch genug gefragt. Sie gibt uns zu verstehen, dass sie müde sei. Und ich kann ihr nicht böse sein. Endlich entspannen. Endlich nicht mehr abliefern müssen. Zwischen uns und dem Absacker in der Hamburger Schanzenkneipe Mutter sitzt nur noch der Manager, der uns für seinen Psychiater hält und Geschichten aus einer anderen Ära der Musikindustrie vorträgt, einer mit Leuten wie Meat Loaf, Mötley Crüe und ihm. Aber auch den schaffen wir.
Hotel
Atlantic Kempinski, An der Alster 72-79, 20099 Hamburg
Restaurant
Tsao Yang, Fon 040 28 00 41 88, täglich von 12-15 und 18-23:30 Uhr
Chinesische Küche und nach Feng Shui gestaltete Räume. Es gibt 77 Gerichte, diverse Menüs und Specials sowie zwei chinesische Küchenchefs. Leider sind Service und Gerichte nicht dem Haus entsprechend.
Gerichte
Debbie Harry nimmt als Vorspeise eine Zitronengrassuppe. Als Hauptgericht Jakobsmuscheln mit frischem Ingwer, Salat und Gemüse. Der Autor zuerst eine Jakobsmuschelsuppe und danach gedämpften Babysteinbutt mit Reis. Dazu wird für Debbie Harry und ihren Manager ein weißer Bordeaux gereicht. Der Rest trinkt einen chinesischen Rotwein der Traubensorte Merlot.
Blondie
Hauptband der Künstlerin. Gegründet 1974 in New York von Debbie Harry und ihrem Freund Chris Stein. Spätestens mit der Hitsingle „Denis“ setzten sie die New Yorker CBGB-Szene auf die ganz große Poplandkarte. Es folgten Nummer-eins-Hits in Amerika und England. Von den anderen CBGB-Künstlern schafften es nur noch die Ramones zu größerer Bekanntheit, andere wie Suicide, Richard Hell & The Heartbreakers und Television blieben Insidertipps, das allerdings bis heute und auf hohem und einflussreichem Niveau.
CBGB
Legendärer New Yorker Club in der Bowery Street. Mittlerweile geschlossen. Die Harry zum Thema: „Ich fühlte mich ein bisschen nostalgisch, traurig, klar, da kam vieles hoch. Aber andererseits ist es kein Platz mehr gewesen, der in meinem heutigen Leben etwas bedeutet. Ab und an besuchte ich Hilly Kristal, den Betreiber; aber dass wir alle uns involvierten, lag an der Philosophie, für die das CBGB stand. Der Ort selbst [lacht] war eher ein Loch. Ich weiß nicht, ob ich es mir in Las Vegas anschauen muss, aber ich mag die Idee, dass es dort steht. Es hat etwas Verrücktes.“
Der Beitrag erschien ursprünglich im Intro Magazin, das mittlerweile den gleichen Weg wie das CBGBs gegangen ist.Â