Kaput Revisited – Phillip Sollmann (aka Efdemin) über Common

Common: “You Can Hate Me Now”

Das Ende des geopolitischen “Westens” hat begonnen, und die durch den Kampf gegen Nationalsozialismus und den Kalten Krieg gestiftete Einheit in Form des Nordatlantikpakts, Manifest ökonomischer, militärischer und kultureller Arroganz, zerfällt im Zeitraffer. Felsenfeste Gefüge brechen mit einem Mal zusammen. Antiamerikanismus, Antieuropäismus, Antisemitismus wuchern dieser Tage vermehrt in den Köpfen. Wird der “Westen” in seiner bisherigen Form schon bald der Vergangenheit angehören? Das Zerbrechen der NATO, eine Wunschvorstellung, die zum Alptraum wird, wenn am Ende die USA als permanente und einzige Vetomacht, als wucherndes Geschwür, isoliert vor sich hin wüten? Eine UNO, die noch machtloser als bisher Resolutionen erlässt, die noch folgenloser bleiben? Ein Sicherheitsrat in der Hand amerikanischer Interessen, geknebelt und passiv? Das großkotzige Projekt “Europa” ist schon jetzt in seinen Grundfesten erschüttert. Die G7 bereiten sich auf die Weltwirtschaftskrise vor, Amerika droht offen mit dem Einsatz von Atombomben.
Das Leben läuft weiter. Erstaunliche Ruhe, Paralyse angesichts derartig harscher Ereignisse. Geht die Welt noch einmal an der Implosion des verdammten Systems vorbei, oder sind wir gerade Zeuge einer Umwälzung unabsehbaren Ausmaßes?

Mit diesen Worten begann Phillip Sollmann im Februar 2003 seinen Beitrag zu Common für das Magazin Intro. Viel Zeit ist seitdem vergangen – und doch tobt noch immer der gleiche politische Sturm, nur die Akteure haben sich geändert. Anlass genug Phillips Beitrag in unserer Reihe Kaput Revisited wieder auszugraben, er hat leider nichts an Aktualität eingebüßt.

 

Wer ist hier der Schurke?

Mittendrin im neuen internationalen Kräftespiel die BRD, Mutter der pazifistischen Staaten, auf großer Anti-anti-Fahrt. Neuerdings auf der Achse Paris-Berlin-Moskau brüllt unser Gerhard (Schröder) knietief im Dispo: “Kein Krieg gegen den Irak! Nicht mit uns. So was machen WIR doch nicht mit! Okay, es darf von uns aus geflogen werden, wir schicken Raketen in die Türkei, aber mein lieber Scholli Rumsfeld, schau mal her: Die Bevölkerung steht hinter uns, auch wenn es nur noch in diesem Punkt ist. Und weil wir endlich mal für ein paar Wochen im Sicherheitsrat sitzen (Geil, das ist Weltpolitik!), machen wir mal groß das Maul auf. Ungeteilte Solidarität hin oder her, mein Alter, haben wir unseren Scheiß-Job in Afghanistan noch gar nicht zu Ende gemacht, geschweige denn im Kosovo, und lassen uns nicht einen unserer besten Absatzmärkte kaputtmachen. Die Geschäfte mit Saddam laufen so gut und geheim, die würden nicht mal besteuert werden können, wenn diese Attacs in 20 Jahren die Tobin-Tax durchgedrückt haben sollten.

Und zu guter Letzt sei hier mal gesagt, dass wir ja jetzt wieder legitime Militärmacht sind und selbst entscheiden wollen, wo wir unsere marodierenden Truppen abstellen und die Drohnen kreisen lassen. Kann ja wohl nicht angehen, dass wir so gezwungen werden sollen, mitzumachen, wo wir (Dank an Rudolf, R.I.P., du arme Sau) doch diejenigen waren, die mit der geilen “Ich habe KZ-ähnliche Lager gesehen, und so was darf nie wieder passieren, also wird jetzt der Slobo weggebombt”-Nummer unsere scheiß Geschichte endlich revidiert haben und jetzt auch wieder ab und zu so präventiv was klarmachen können, okay?! Wir sind wieder wer, wir entscheiden selbst. Die NATO, die vor allem durch uns erst zum neuen Super-Angriffspakt geworden ist, gehört uns genauso wie euch. Seit sie euch die Türme weggebombt haben, seid ihr ziemlich drauf, find’ ich. Konnte ich ja am Anfang noch verstehen, aber das Ding jetzt ist echt ein bisschen übertrieben. Krieg jetzt rockt gar nicht, wir sind genauso pleite wie ihr. Ach, und die Nummer mit Kuba und Libyen war ja wohl echt daneben. Da kommt man sich ja bald selbst wie so ein mieser, kleiner Schurkenstaat vor!”

MACHTMISSBRAUCH ist die Grundlage aller Souveränität. Was bedeutet das in Hinblick auf die Schurkenstaaten? Es bedeutet ganz einfach, dass die Vereinigten Staaten, die in der Lage sind, solche Staaten anzuprangern, sie der Rechtsverletzungen und -verstöße, der Perversionen und Verirrungen zu bezichtigen, deren sich dieser oder jener von ihnen schuldig gemacht hat – dass die Vereinigten Staaten, die als Garanten des Völkerrechts auftreten und über Krieg, Polizeioperationen oder Friedenserhaltung beschließen, weil sie die Macht dazu haben – dass die Vereinigten Staaten und die Staaten, die sich ihren Aktionen anschließen, als Souveräne selbst die ersten Schurkenstaaten sind (J. Derrida, “Schurken”, Suhrkamp, Frankfurt/M.).

Neuzugang unter den “Schurkenstaaten” Deutschland schlummert offensichtlich selig das Pazifisten-Nickerchen. Der Kanzler ist Kriegsgegner, deshalb hat man ihn gewählt. Dass das deutsche Nein zum Krieg zuallererst strategisches Mittel der Militarisierung der BRD und Testballon eines sich von der lähmenden Vergangenheit durch revisionistische Schachzüge befreienden Staates im internationalen Kräftespiel ist, wird dabei gern übersehen. Bleibt nur die Sorge, wohin das alles führen soll, wenn Mama Amerika böse ist.


Not In Our Name

Wie sieht es denn drüben so aus? Widerstand regt sich in den traditionell “linken” Städten New York, San Francisco und Seattle. 10.000 im Central Park, 20.000 an der Golden Gate Bridge propagieren den neuen Slogan “not in our name”. Unterschriftenlisten kursieren, E-Mail-Kettenbriefe sind auch dabei, um gegen die seit dem 11. September laufende Kriegspropaganda in den Medien den Ruf nach Frieden zu propagieren, und sind damit relativ allein. Aus der Welt der Musik, einem Bereich mit einer großen medialen Präsenz, ist bisher kaum etwas zu vernehmen. (Zum Zeitpunkt, als dieser Artikel verfasst wird, befürworten 53% der Amerikaner den Krieg.)

Und was HipHop betrifft, ist sogar eher das Gegenteil der Fall. “Big Money Rapper” wie Ja Rule, Wyclef Jean, Mystikal, R. Kelly oder der Wu-Tang Clan stützen seit der wahnwitzigen Attacke vor eineinhalb Jahren den erstarkten Patriotismus, indem sie sich in weiß-blaue Fahnen wickeln und stolz auf ihr Land demonstrieren. Stronger than ever, united we stand!
Der “War On Terror” und das ständig weitergeschürte Misstrauen, das Nordamerika in Form von High-Security an jedem Ort, der neuen amerikanischen Stasi (Home Office) und frischen Gesetzen wie dem USA-Patriot-Act demnächst in die Selbstzerfleischung treiben wird, zeigt auch im Rap seine rassistischen Blüten. Ein Auszug aus Canibus’ Song “Draft Me”: “Lurkin’, to leave y’all with bloody red turbans / Screamin ‘Jihad!’ while y’all pray to a false god / We ready for all out war, it’s time to settle the score.”


Enduring Freedom

Situation selbst anschauen, mal mit jemandem vor Ort reden, denke ich mir und nehme das Angebot an, nach New York zu fliegen, um Common zu interviewen. Die Kriegspropaganda wird zwei Tage lang vom abgestürzten Spaceshuttle unterbrochen. Und wieder haben sich 5.000 weitere Soldaten von ihren Frauen, Freundinnen oder Freunden verabschiedet und sind im Namen der Demokratie in der Golfregion stationiert worden.
Es ist trügerisch ruhig am Big Apple, und es sind weniger Flaggen zu sehen, als zu erwarten gewesen wäre. Ich stelle mir die Straßen zu Zeiten des Vietnamkriegs vor, Fernsehbilder steigen in mir auf. Aber das waren auch andere Verhältnisse. Da gab es noch Gitarren und Rock. Rock! Das ist auch das neue Ding von Common, dem Rapper, der nach etwas Neuem gesucht und in den letzten eineinhalb Jahren nach eigenen Aussagen eine völlig neue Welt entdeckt hat. Eckpunkte in diesem Koordinatensystem sind Jimi Hendrix, die allseits beliebte Joni Mitchell, Mr. Zimmermann, aber auch der verflossene John Lennon (man kann nur hoffen, Common geht an Yoko Ono vorbei) sowie: Stereolab! Und da ist er den Jungs von N.E.R.D zuvorgekommen, denn die träumen bereits seit zwei Jahren von Laetitia Sadier, die hier auf “New Wave” ihre engelhafte Stimme erhebt.

Die Frage stellt sich: Wie ist der Mann plötzlich zur Gitarre gekommen?
Ich wollte etwas völlig Neues machen, etwas anderes als HipHop oder was wir erwarten, wie HipHop sein soll. HipHop hat keine Grenzen. Es gibt kein Gesetz, das festschreibt, wo HipHop beginnt und aufhört. Und ich wollte auch etwas anderes machen als bisher. Aber es war eine ganz natürliche Entwicklung. Bis vor etwa zwei Jahren hatte ich nichts mit Rock zu tun. Als wir an dem Album arbeiteten, hörte ich neben Fela Kuti, Chaka Khan und Miles auch viel Pink Floyd, John Lennon, Hendrix, aber auch Stereolab. Das war etwas völlig Neues für mich. Ich bin damit ja nicht aufgewachsen. Es hat mich wahnsinnig erweitert. Die Musik, die ich bis dahin gehört hatte, ist ohnehin in mich eingeschrieben, die höre ich die ganze Zeit, aber das war eine völlig neue Erfahrung.

Hattest du eine Idee, wie es klingen würde, als ihr begonnen habt?
Ich hatte wie immer eine Vorstellung – und wie immer ist etwas völlig anderes dabei herausgekommen. So ist es auch mit den Texten. Deshalb auch der Titel “Electric Circus”. Es ist eine Rundfahrt an verschiedene Orte, aber in einer Präsentation: Da gibt es Stücke wie “I Am Music” mit Jill Scott, das klingt wie ein 40er-New-Orleans-Jazz-Tune, dann ist da dieses psychedelische “Jimi Was A Rock Star” oder emotionale, seelenvolle, aber gleichzeitig auch futuristische Tracks wie “Between Me & You & Liberation”. Wie gesagt, ich hatte keine Ahnung von all den Farben, die sich da versammelten, es geschah einfach so. Das Album thematisiert das gesamte musikalische Universum. Es gibt keine Labels, keine Hautfarben, Städte oder irgendwas. Ich will, dass ein 50-jähriger Deutscher das genauso versteht wie ein 18-jähriges Kid aus dem Ghetto. Es gibt ja diese Musik: Marvin Gaye, Stevie Wonder oder Miles Davis, bei Jimi Hendrix ist es leider nicht so. Die Kids haben keine Ahnung, wer das ist. Mir ging es bis vor kurzem ja genauso. Ich kannte seinen Namen, aber keinen Ton von ihm.

Nun also Jimi Hendrix! Nachdem seit beinahe zwei Jahren (verantwortlich gemacht werden müssen hier wohl die Neptunes a.k.a. N.E.R.D) die Gitarre auf verschiedenste Weise, ob mit Gurt und Kabel oder direkt aus der Sampling-Maschine, erneut ihren Weg in das Genre HipHop genommen hat, ist nun offensichtlich auch Mr. Lynn (a.k.a. Common, früher einmal mit Zusatz “Sense”), ehemals aus Chicago, nun vorwiegend in Brooklyn unterwegs, davon überzeugt, dass ohne die sechs Saiten eigentlich nichts geht. So dudelt und gniedelt und bratzt es ohne Unterlass, bis das Ganze schließlich in einer Rock-Oper, einer Ode an good old man Jimi Hendrix gipfelt. In diesem Duett mit Star-Freundin Erykah Badu hat sich dann auch der Rapper Common zum Sänger transformiert. 60s-like mit Kanaltrennung (er links, sie rechts), Feedback-Schlaufen, Vibrato-Hebel-Jonglieren und sonstigen Tricks wird hier alles gegeben, um das extrovertierte Gitarren-Genie um seine Rückkehr aus dem Drogenhimmel zu bitten und in die Köpfe der Jugend zu implantieren. Da kommt jemand der Geschichte auf die Spur – und versteht sie nicht ganz. Das ist etwa das Gefühl, das an dieser Stelle eintritt.
Man könnte ohnehin auf die Idee kommen, irgend so ein durchgeknallter Gitarren-Streber hätte einfach über die fertige Platte drübergejammt. Ist natürlich Quatsch, der ist bezahlt und macht seine Sache, wie er soll. Nur wollen sich die Sound-Elemente nicht immer so recht verbinden und in einer Symbiose der verschiedenen Stile schließlich Rock an seinen schwarzen Ursprung zurückführen (hier sei auf “Phrenology” verwiesen, dieses Monster-Hybrid-Album der Roots). Dabei kommt das Ding sozusagen aus demselben Hause, denn für weite Strecken zeichnen Ahmir ?uestlove Thompson (Drummer der Roots), James Poyser (Producer No. 1 aus Philadelphia) und Dilla a.k.a. Jay Dee (Slum Village etc.), zusammen auch als Soulquarians bekannt, verantwortlich.


Hiphop’s Changin’, Y’all Want Me To Stay The Same?

Auf die Frage, ob man “Electric Circus”, das angesichts der musikalischen Bandbreite in einer amerikanischen Rezension zu Recht in “Eclectic Circus” umgetauft wurde, noch als HipHop-Album bezeichnen könne, antwortet Common mit dem klassischen Miles-Davis-Zitat: “Nenn es einfach ‘the music’. Was brauchen wir noch diese Labels? Aber andererseits denke ich schon, dass es eine Form der Entwicklung von HipHop darstellt, durch die wir seit den Anfängen gehen, und dass es uns verstehen lässt, dass HipHop das sein kann, was immer wir daraus kreieren möchten.”

Eine klare Linie scheint er dabei allerdings nicht verfolgt zu haben. Während “Like Water For Chocolate” weitläufig zu Recht wegen seiner Dichte, Geschlossenheit und Stil-prägenden Komposition gelobt wurde, sucht man auf dem aktuellen Album musikalisch wie inhaltlich vergeblich nach einem roten Faden, wie ihn eben die Roots trotz eines schier uferlosen Begriffs davon, was HipHop jetzt sein könnte, auf verzückendste Weise mit “Phrenology” gezeigt haben. Zu unentschlossen, zu verspielt und zu sehr Spielball der Produzenten, die ihren Job allerdings überwiegend erfreulich gemacht haben. So wirkt “Electric Circus”, nachdem der letzte Ton verklungen ist, wie eine Morphologie der Auflösung einer Person, die einst klar umrissen werden konnte, nun aber in der Zitathölle verloren zu gehen scheint.

Genug der harten Worte! “Electric Circus” hat neben den benannten “Irrwegen” natürlich auch seine Höhepunkte, den typischen Staccato-Flow von Common, das Wabern, Schweben und Fliegen, wie man es seit dem Ende von A Tribe Called Quest nur noch selten findet. Und seine Soundreise führt ihn hin und wieder zu erfrischenden Momenten. Unter Einbeziehung des aktuellen Albums wirkt die Reihe der bisherigen Veröffentlichungen wie eine geradlinige Entwicklung. Was mit dem Debütalbum “Can I Borrow A Dollar?” rau und kompromisslos begann, verfeinerte sich mit “Ressurection” (1994, mit “I Used To Love H.E.R.”) und dem introspektiven “One Day It’ll All Make Sense”, um sich in der feinsten Textur des “Like Water For Chocolate”-Albums aus Soul, Jazz und HipHop und der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu manifestieren.

Sometimes You Gotta Go, And Let People Glow!

Wohin kann man sich von hier aus bewegen? Diese Frage stellte sich schon beim ersten Hören des Meisterwerks “Like Water For Chocolate”. Common hat sich in seiner bisherigen Entwicklung nie auf einer funktionierenden Idee ausgeruht. So führte er die musikalischen Freiheiten, die er 2000 mit Gästen wie D’Angelo, Bilal, ?uestlove, DJ Premier u. v. a. entwickelt hatte, in seinem aktuellen Werk fort, ja, räumte ihnen noch mehr Raum ein. Teilweise scheint er nur noch Ideengeber, Moderator oder Grund des Zusammenkommens zu sein und verschwindet als Person und Musiker hinter dem Werk und der Fantasie anderer. Dieses erstaunliche Phänomen eines Rappers findet seinen Höhepunkt im letzten Song der Platte, der modernen Gospelnummer “Heaven Somewhere”. Beinahe zehn Minuten wird die Erfahrung Gottes aus den verschiedenen Perspektiven der zahlreichen Sänger – Erykah Badu, Bilal, Jill Scott, Mary J. Blige, Cee-Lo und Omar – ausgeführt, ohne dass er auch nur noch einmal, nachdem er zu Beginn den Song erzählerisch eingeführt hat, in Erscheinung treten würde. Hier entwickelt sich eine bisher ungehörte Intensität zwischen den verschiedenen Stimmen, die sich nacheinander aus der warmen und doch auch experimentellen Produktion von ?uestlove und James Poyser herausschälen. Ein großartiger Moment, ein Opus, ein Wagnis, eine Verdichtung verschiedenster Ideen zu einem neuen, kraftvollen Weg durch das Leben, den Alltag, durch den Krieg, durch das Ende der Welt mit Gott.

Zu welcher Größe dieses Album in ebendiesem letzten Stück aufläuft, macht viele der Ungereimtheiten davor vergessen. Das hier ist kein HipHop mehr, aber auch kein R’n’B. Das ist einfach Musik – the music. Prince (ja, der Roger Nelson!), der an anderer Stelle die Tasten drückt, brachte es in einer Listening-Session nach dem Verklingen des letzten Tons von “Electric Circus” auf den Punkt, als er sagte: “Wenn Miles Davis noch lebte, würde er wohl so klingen!” wie Common mit stolzerfüllten Augen berichtet.

Jimi Was (Not Only) A Rock Star

Wir sitzen im “Jimi Hendrix Conference Room” des New Yorker Universal-Headquaters am Broadway. Common trägt ein schlabbriges Secondhand-Shirt und rührt sich erst mal sein Granola-Müsli mit Soja-Milch an. Zufrieden grinst er und hört weiter meinen Bemerkungen zu seinem neuen Album zu. Ich lege ihm eine großflächige Collage, bestehend aus einer US-Flagge im Hintergrund und einem George W. Bush am Mikrofon als Schattenriss im Vordergrund, neben das Müsli und frage ihn, was ihm bei diesem Anblick in den Kopf komme. Sein Gesicht verzieht sich wie in Zeitlupe. Das Lächeln gefriert zu einem angewiderten Erstaunen. Lange schweigt er. Man sieht die Gedanken unter seiner Hirnrinde kreisen. Dann spricht er:

Well, what good is war really? What is this dude trying to accomplish? What is this dude’s purpose? What is it for? I don’t feel good about this cat. I pray that we ain’t going into a war situation. This dude is a real selfish, oilhungry, moneyhungry thug. Ain’t thinkin’ about live, besides his own, or maybe his people. – His media people. He is evil. He looks evil. He got evil eyes.

Du als Musiker hast ja mit deinem Mic die Möglichkeit, Dinge zu sagen, die viele Leute hören. Du hast auch mit deinem neuen Job als Coca-Cola-Promoter eine große mediale Präsenz. Hast du schon mal über die Möglichkeit nachgedacht, das, was du gerade zu mir gesagt hast, auf MTV zu äußern? Wie sieht es mit der Verantwortung von Künstlern in Kriegszeiten aus? Momentan sind 130.000 amerikanische Soldaten am Golf. Warum äußert sich kein einziger Musiker aus deinem Umfeld dazu?
Wir sind ganz normale Menschen, und in unserem Alltag vergessen wir manchmal, uns um die Welt zu kümmern. Bush ist dabei, die Welt in einen Krieg zu stürzen und sie total zu verändern. Aber wenn das passiert, wird uns Gott ein Zeichen senden, und wir werden handeln.

Entschuldige, aber im Endeffekt haben wir eine bedrohlichere Situation als vor und während des Vietnam-Krieges. Aber im Gegensatz zu heute traten damals eine Menge Künstler auf den Plan, die sich explizit politisch äußerten, ganze Alben thematisierten Innen- wie Außenpolitik. Was ist der Unterschied? Warum benutzt heute niemand seine “Macht”, die Erfolg mit sich bringt, um darauf hinzuweisen? Und ich frage dich insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen Albums, das eben genau mit sehr starken Referenzen aus dieser Zeit wie Jimi Hendrix spielt, dabei aber ausschließlich auf einer ästhetischen Ebene verbleibt.
Ich weiß einfach nur ganz allgemeine Dinge über den Krieg. Ich kenne keine Details. Ich könnte keinen Song machen. Ich kann George Bush mit meinem Wissen nicht angreifen. Ich weiß sehr wohl, dass ich mich mehr informieren müsste. Ich kann da auch nur für mich sprechen. Ich weiß auch nicht, ob es was bringen würde. Aber wenn die Zeit kommt, wird es diese Songs geben. Vielleicht macht Jay-Z einen? Für mich ist die einzige Antwort Liebe. If you put love in the air, that’s enough message to me!

Liebe hilft in diesem Punkt nicht besonders viel …
Ich bin zu einer Demonstration gegangen und habe Mos Def dort vor dem UN-Gebäude gesehen. Ich denke, wenn sich die Situation verschärft, werden auch mehr Künstler dazu Stellung beziehen.

So ist das also mit dem Conscious Rap. Die Zeit wird knapp, ich habe noch viele Fragen und wechsle das Thema. Wir plaudern kurz über die Zusammenkunft mit Prince, einem großen Common-Bewunderer, der ihn zu einer Show im Paisly Park einlud und “Electric Circus” als Keyboarder verfeinerte. Als ich gerade nach dem Bob-Dylan-Zitat im Video zur “Come Close”-Single fragen will, unterbricht mich Common und kehrt zum Thema Krieg zurück:

Entschuldige, aber ich denke noch über das, was du gesagt hast, nach. Ich halte das für ziemlich wichtig. Ich bin mir ganz sicher, dass es bald mehr Künstler geben wird, die offen gegen den Krieg opponieren werden. Es werden Menschen sterben, und ich denke, dass wir näher zu Gott rücken müssen, um den Geist zu bewahren. Sie können unsere Körper zerstören, aber wir dürfen nicht zulassen, dass sie unseren Geist zerstören. Aber du hast Recht. Wir müssen ein Kollektiv werden, uns informieren und sprechen. Und zwar die richtigen Sachen. Wir sind zu wenig informiert.

Was für Informationen braucht man, um zu sprechen? Es wird offen mit dem Einsatz der Atombombe gedroht! Was noch?
Wenn ich jetzt einfach da rausgehe und sage: “No War!”, fragt man mich: “Warum nicht?” Ich kann nichts sagen, als dass Krieg immer falsch ist. Sie haben dann eine Menge Argumente, die mich einfach stumm machen werden, weil ich ihnen verbal aufgrund meiner Unwissenheit nicht begegnen kann. Ich habe mich viel zu lange nicht um so etwas wie Weltpolitik gekümmert. Aber das muss ich tun. Jeder weiß, dass es ums Öl geht, nicht um irgendetwas anderes.

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Von Common ist gerade das neue Album “Let Love” auf Loma Vista Recordings (Concord Music Group / Universal Music) erschienen.

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