"Nekromantik 2" – Soundtrack – Interview

Mark Reeder: “Die Menschen im Osten waren sehr kamerascheu”


Mark Reeder spielte nicht nur eine Haupt- und Sterberolle in Nekromantik 2, er lieferte auch den Soundtrack zu diesem deutschen Splatter-Klassiker.
Mark hat seine Filmmusik gerade exhumiert und für die digitale Veröffentlichung überarbeitet

Mark, wie erinnerst du persönlich die Ära, in der “Nekromantik 2“ im Sommer 1990 entstanden ist?

Mark Reeder, 1990 (Copyright: Jörg Buttgereit)

Mark Reeder: Die Berliner Mauer war erst wenige Monate zuvor gefallen, aber die Deutsche Demokratische Republik existierte noch und die kommunistische Regierung hing politisch noch immer an den Fäden der Macht. Ich war ziemlich besorgt über die Geschwindigkeit, mit der sich die Ostdeutschen nach sogenannter Veränderung zu sehnen schienen. Es ging nicht um Demokratie, es ging darum, in die Läden im Westen gehen und Sachen kaufen zu können. Sie alle schienen die Kommunisten und alles, was mit ihnen zusammenhängt, so schnell wie möglich loswerden zu wollen, und es kümmerte sie nicht, was sie ersetzte, solange sie nicht mit der Sowjetunion verbündet waren. Offensichtlich verstanden die Ossies die Realitäten wie unsere kapitalistische Gesellschaft funktionierte, nicht vollständig, aber es war egal, sie sah nach Jahren der Commie-Stagnation so viel attraktiver aus, und sie waren so eifrig und bereit, das alte Commie-Regime so schnell wie möglich zu verkaufen. In Wirklichkeit war es nur ein Verlangen nach der D-Mark und die Chance, ein Auto zu kaufen. Das konnte man ihnen nicht verübeln.
Ich hatte den Eindruck, die DDR wäre quasi über Nacht zu einer Imbissgesellschaft gewor-den.
Mir war auch klar, dass sich auch unsere Enklave West-Berlin irgendwann ändern würde, aber im Sommer 1990 war es mehr oder weniger dasselbe wie im Jahr zuvor. Beide Hälften Berlins waren noch ausgebombt und verwüstet und in Trümmern und zu diesem Zeitpunkt noch unattraktiv für Immobilien Spekulanten.
Der Osten sah nur ein bisschen abgefuckter aus. Für die meisten Menschen aus dem Westen war der Osten noch ein Rätsel. Während die Mauer stand, gingen sie kaum oder nie in den Osten, aber jetzt war er eine verlockende Touristenattraktion.
Während also die aus dem Osten den Westen überprüften, erforschte die Wessies den Osten.
1990 war ein schöner Sommer. Die Stimmung in der Stadt war optimistisch und positiv. Ein neues Leben schien möglich und man konnte es in der Luft spüren. Ich freute mich auf die zweite Loveparade im Juli, bei der erstmals Menschen aus beiden Teilen der Stadt gemeinsam auf der Straße tanzen würden. Das Gefühl der Freiheit war großartig.

Mark & Monika (Copyright: Jörg Buttgereit)


Was bedeutete die Post-Mauerfall-Zeit für das subkulturelle Arbeiten an einem solchen Projekt?

Unsere blühende Subkultur hatten wir schon lange vor dem Mauerfall in West-Berlin, und gleichzeitig brodelte auch in Ost-Berlin unter der Oberfläche eine heimliche Subkultur.Obwohl es im Westen niemanden wirklich interessierte, was unsere Subkultur schuf, wurde es allgemein unterstützt oder geduldet, während es in Ost-Berlin verboten und mit Gefängnis bestraft wurde. Der Fall der Mauer gab all diesen kreativen Menschen in Ost-Berlin die Möglichkeit, zu experimentieren und wie ein wunderschöner Schmetterling aus dem Kokoon des Kommunismus aufzutauchen.
Die Idee zu Nekromantik 2 hatte Jörg schon vor dem Mauerfall. Sein erster Nekromantik-Film war ein ziemlicher Erfolg und Mitproduzent und Filmemacher Manfred Jelinski hielt es für eine großartige Idee, einen zweiten Teil zu machen. Ich hatte auch zusammen mit Hille Saul, die später in den 90er Jahren den E-Werk Club leitete, eine kleine Rolle in Jörgs vorherigem Film Der Todesking.
Jörgs Partner Franz Rodenkirchen war mit Laibach befreundet und Stammgast in meiner Bar. Ich war Mitinhaber dieser kleinen Bar in Schöneberg namens Pinguin Club. Jörg und Franz wollten jemanden, der steif und konservativ aussahen und Anzug und Krawatte tragen könnte. Ich war die einzige Person in ihrem Freundeskreis, auf die diese etikette passte. Wohlgemerkt, bei mir bekamen sie ein tolles Angebot, einen zweitklassigen Amateurschauspieler der eine Kravatte binden könnte, die Nutzung des Pinguin-Clubs und jemanden, der den Soundtrack macht.
Der Fall der Mauer eröffnete auch dem Filmemacher neue Möglichkeiten. Unbekannte Orte waren überall im Ostteil der Stadt und überall sahen sie aus wie Filmkulissen. Es schien, dass sie auch keine Regeln oder Vorschriften mehr hatten, was bedeutete, dass Sie keine Drehgenehmigung beantragen mussten, wie Sie es in West-Berlin oder der ehemaligen kommunistischen DDR tun mussten.

Mark & Monika (Copyright: Jörg Buttgereit)

Der Film wurde teilweise im Ostteil Berlins gedreht. Welche Eindrücke sind zentral bei dir hängengeblieben?

Wir haben das Äussere von Ost Berlin als unsere Kulisse verwendet, da es für Westler immer noch ein praktisch unbekannter Teil der Stadt war. Wir wollten nicht die vertrauten Orte West-Berlins haben, sondern die heruntergekommenen Fassaden Ost-Berlins oder die typischen Ost-Berliner Platten-Bau-Gebäuden. Wir wollten den Osten in unsere Geschichte integrieren, ohne ihn jemals zu erwähnen. Für uns war die Stadt jetzt eins. Ausserdem hatte West-Berlin auch keine Strassenbahn, das war ausschliesslich sehr Osten, und das gab dem Film eine ganz andere Atmosphäre. Das erste, was wir gedreht haben, das war im Frühjahr 1990 im Freizeitpark Plänterwald. Dann sind wir in den Tierpark rübergegangen. Wir haben einfach ein Ticket gekauft und sind reingegangen. Normalerweise braucht man eine Dreh Erlaubnis, um an einem solchen Ort zu filmen, aber niemand hat uns gefragt und wir haben es auch nicht gesagt. Die meisten Orte, an denen wir gedreht haben, kannte ich bereits, weil ich während der kommunistischen Ära regelmässig im Osten war und dort schon gewesen war. Ich kannte also den Ost-Teil der Stadt ziemlich gut.
Die Innenräume haben wir hauptsächlich in West-Berlin gedreht. Es war wahrscheinlich der erste Film, der in Ost- und Westberlin gedreht wurde. Ein weiterer Film unserer Freundin Cynthia Beatt mit dem Titel „The Party (Nature Morte)“ mit Tilda Swinton wurde ebenfalls später im Sommer 1990 gedreht. Das wurde in der ehemaligen NVA Grenzschutzkaserne gegenüber der heutigen Arena gedreht, und ich habe auch in diesem Film zusammen mit Simon Fisher-Turner einen Betrunkenen gespielt und auch etwas Musik für die soundtrack beigesteuert. Nekromantik 2 war also nur einer von zwei Filmen, die in dieser Zeit zwischen Mauerfall und der Wiedervereinigung entstanden ist und schliesslich das hat der Film vor der Zensur gerettet.

Kam es zu Begegnungen mit der Bevölkrung im Ostteil, die dir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind?

Nicht wirklich. Niemand hat uns beim Filmen gestört. Wir waren ziemlich diskret. Die Menschen im Osten waren sehr kamerascheu.Sie würden also aus dem Weg gehen, wenn sie die Kamera sehen würden. Ich schätze, es kam von Jahren des Gefühls, vom Staat beobachtet zu werden.

Würdest du sagen, dass die spezielle Aura der Mauerfallzeit und der Ungewissheit, was als nächstes passieren würde, sich auf deine Musik ausgewirkt haben – in Ergänzung zum Filmthema natürlich.

Der Fall der Mauer und eine möglicherweise ungewisse Zukunft spielten ehrlich gesagt keine so große Rolle. Berlin hatte eine recht optimistische Ausstrahlung. Der Kalte Krieg war vorbei und wir konnten alle endlich aufatmen. Ich hatte viel zu tun und meine Zukunft sah nicht unbedingt ungewiss aus. Anfang des Frühlings hatte ich gerade das letzte Album der DDR fertig produziert (Torture by Die Vision). Ich war bereits Miteigentümer des Pinguin Clubs und gründete im Dezember 1990 mit Hilfe der ex-AMIGA mein eigenes Plattenlabel MFS in Ost-Berlin. Als ich mit der Arbeit am Soundtrack von Nekromantik 2 begann, stand die Welt tatsächlich am Rande des ersten Golfkriegs. Anfang August 1990 war Saddam Hussein in Kuwait einmarschiert, und im Dezember bereitete sich eine Koalition westlicher Streitkräfte auf die Invasion Kuwaits vor. Während wir aufzeichneten, regneten Bomben auf Bagdad und Saddams Scud-Raketen fielen auf Tel-Aviv. Wir hatten ständig den stummen Fernseher an und konnten Nachrichtenleser sehen, die in Gasmasken berichteten, oder die Leuchtspuren von Flugabwehrgeschützen, die auf unsichtbare Stealth Bomber feuerten. Es war ziemlich bizarr. Es hat sicherlich die Melancholie der Musik gefärbt.

Mark & Monika (Copyright: Jörg Buttgereit)

Der Film wurde zu deinem Score geschnitten und nicht wie zumeist eher der Fall der Score an die Bedürfnisse des Films angeglichen. Was bedeutete das für deine Arbeitsweise?

Es war ziemlich kompliziert. Ich hatte visuell nichts zum orientieren und Jörg hatte mir nie ein Drehbuch gezeigt und wir haben also Nekromantik 2 im Grunde genommen buchstäblich im Laufe der Zeit entwickelt. Ich glaube, nur Monika hatte ein grobes Drehbuch für einige ihrer Szenen. Also musste ich mich auf das verlassen, was Jörg und Manfred mir erzählten, was sie mit ihr gefilmt hatten, und ich versuchte mir dann vorzustellen, wie ihre Szenen auf der Leinwand aussehen würden. Natürlich kannte ich nur die Teile, wo ich selbst mitgedreht hatte, und versuchte mir daher vorzustellen, wie sie zusammen mit meiner ergreifenden Musik aussehen würden. Ich wollte das Monika eine emotional aufgewühlte und gequälte score bekommt, während ich wollte, dass meine Rollen eine fast komische, unbeschwerte Atmosphäre haben, da ich das ahnungslose Opfer bin. Ich erinnere mich, dass ich eines Abends mit Paul Browse im Pinguin Club über Monikas Zerstückelungsszene gespro-chen habe, und wir versuchten uns vorzustellen, wie es für jemanden sein muss, in der tragischen Lage zu sein, die Person, die man liebt, zu zerstückeln. Die Musik musste angemessen traurig und tragisch sein. Jörg fügte später der Originalfilmmusik eine kleine Wendung hinzu, indem er ein Stück von Hermann Kopp hinzufügte, wenn Monika von traurig zu psycho wird.
Natürlich musste ich viel mehr Musik machen, als im fertigen Film verwendet werden würde, und viele Variationen desselben Themas, da ich keine Ahnung hatte, wie die Musik mit den Bildern funktionieren würde. Ich überliess es Jörg und Manfred zu entscheiden, was funktionierte und was nicht.

Mark & Monika (Copyright: Jörg Buttgereit)

Hast du Role Models für deine Arbeit an einem Soundtrack?

Ja natürlich. Als Horrorfilm-Fan, wollte ich auch etwas haben das eher wie eine Mischung aus Wendy Carlos und Dario Argento, oder vielleicht eine Art Goblin-meets-Vangelis-Synth-Soundtrack mit ein bisschen Italo-Ennio Morricone wäre. Ich wollte, dass es mysteriös und atmosphärisch klingt, aber gleichzeitig angespannt und beängstigend ist. In den späten 80er und frühen 90er Jahren gab es eine modische wegkehr von bombastischen Orchestrierun-gen und es wurden mehr elektronische scores im Auftrag gegeben.
Filme wie Dust Devil, Near Dark oder Terminator 2 hatten hauptsächlich elektronische Scores und viele Low-Budget-Horrorfilme wurden normalerweise durch ihre billig klingenden Scores aufgewertet.
Jörgs erste Nekromantik-Filmmusik von 1987 wurde von Daktari Lorenz komponiert und fast ausschließlich auf einem Ensoniq-Sampler eingespielt. Also habe ich mir den genau gleichen Ensoniq ausgeliehen, als ich meinen Score machen wollte, um beide Filme mit einer ähnlichen Art von Sound zu verbinden. Ich hatte auch meine Roland 106 und eine Akai 900 verwendet. Ursprünglich wollte ich auf ein paar Tracks auch etwas Twangy-Gitarre spielen, aber ich kam leider nie dazu.

Weißt du noch, was der Soundtrack des Sommers 1990 auf den Berliner Straßen war?

Für mich war der Sound der Sommer 1990, Techno. Es war die zweite Loveparade auf dem Ku’damm und es war super spannend.

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