EM GUIDE — No Land & Luke Stewart / Lamin Fofana

New Black Avant-Garde – zwei aktuelle afrofuturistische Positionen aus New York im Spannungsfeld aus Heilexperimenten und Anti-Disziplin-Praxis

No Land & Luke Stewart (Photo: Jonathan Forsythe)

No Land und Luke Stewart empfangen mich in Stewarts temporären Residency-Studio auf dem Gelände der Kunst-Institution Pioneer Works im Brooklyner Stadtteil Red Hook, wo die beiden zum Zeitpunkt unseres Gesprächs an ihrem ersten gemeinsamen Album arbeiten. Sie geben sich zunächst reserviert, sprechen bedacht, ja flüstern geradezu. Ganz so, als ob sie erst ein Gefühl dafür bekommen müssen, was der aus Deutschland angereiste Journalist an Fragen mitgebracht hat. Vielleicht auch nicht zu Unrecht, da für sie noch unklar ist, ob wirklich ein echter, tiefergehender Dialog erwünscht ist, oder, wie leider viel zu oft doch nur bestimmte Dinge gehört werden wollen.

Die beiden erzählen, dass sie sich im Sommer 2015 an der Jack Kerouac School of Disembodied Poetics (gegründet unter anderen von Anne Waldman und Allen Ginsberg) an der Naropa University kennengelernt haben. Einem Ort (der repräsentativ für die Geschichte der Beat Kultur steht), an dem sich Poesie und Sound ganz natürlich vermischen, eben so, wie in der Zusammenarbeit von No Land und Luke Stewart.
In ihrer Kollaboration geht es darum, „wirklich im Augenblick zu leben“, so Stewart, einen Raum zu gestalten, in dem sie „mit den Ahnen und den Ältesten, die uns künstlerisch und kreativ beeinflusst haben, in den Dialog treten können.“
Was das konkret bedeutet, lässt sich anhand eines Auftritts unter dem Signet Blacks’ Myths (Stewarts Band mit Trae Crudup) der beiden beim Rewire Festival in diesem Jahr verdeutlichen, bei dem No Land Texte aus dem Umbra Magazin von Poeten wie David Henderson, Steve Cannon, Amiri Baraka, Bob Kaufman und Allen Ginsberg vortrug. Es sei für sie eine besondere Erfahrung gewesen, merkt sie an, da sie ansonsten während ihrer Performances viel mehr Stimmen anderer Dichter:innen wiedergibt, an diesem Abend sei es aber „hauptsächlich um schwarze Kunst“ gegangen.

„Die Geschichte ist Teil unserer Recherche und Teil unserer Inspiration“, führt Luke Stewart aus. „Es ist nützlich für uns als Künstler, Teil eines Erbes / einer Tradition zu sein, und diese(s) zu studieren.“ Es geht darum, „Weisheiten, die in der heutigen Kultur übersehen werden“ aus der Vergessenheit zu holen, ergänzt No Land. Und das eben nicht nur, in dem sie die Personen zitieren und dabei namentlich kenntlich machen, sondern tiefergehend, in dem sie „in die Essenz“ eindringen – und deswegen müsse man „die Archive durchforsten.“
Die beiden wollen die Vergangenheit nicht wiederholen, sie wollen sie in etwas relevantes für unserer Zeit überführen. Denn bei aller „gemeinsame Liebe, Wertschätzung und Ehrfurcht vor der Geschichte“, so Stewart, sei es wichtig, dass die Auseinandersetzung mit dem Erbe dazu führt, „etwas Eigenes zu schmieden!“
Bei allem künstlerischen Selbstbewusstsein, das die beiden ausstrahlen, und zweifellos vorhandenen Talenten, ist der künstlerische Prozess trotzdem kein leichter. „Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich viele Dinge zuspitzen“, wählt Stewart seine Worte bedächtig. „Während meiner Zeit in Washington, D.C., habe ich den schnellsten Niedergang in der Geschichte der Stadt erlebt, in New York City verlief es ähnlich –  Kultur wird ausgelöscht, übersprungen, verdrängt.“
Ihre Musik sei deswegen ein „Heilexperiment“.
No Land ergänzt: „Man erwacht in einer Welt, die sich wie ein Gefängnis anfühlt. Kunst ist die spirituellen Suche danach, wie man frei sein kann. Man muss dabei durch eine Menge an Zerstörung gehen – und trotzden festzuhalten an den, was sich wie Vernunft anfühlt. Krieg, Gewalt und Zerstörung sind auf Gier zurückzuführen, darauf, dass einige mehr haben als andere, sie kontrollieren wollen. Das aktuelle Ausmaß der Gewalt ist sehr entmutigend. Viele von uns dachten, dass wir uns auf ein anderes Bewusstsein zubewegen –  die Hoffnung bleibt bestehen.“
Der richtige Weg hin zum Besseren sei es, sich darin zu üben, den anderen besser zuhören zu können. Schöne Schlussworte, während die Abendsonne sich in den Hochhäusern von Downtown Manhattan, die man von Stewarts Studio perfekt sehen kann, wunderschön spiegelt.

Lamin Fofana (Photo: Jonathan Forsythe)

„Es ist schwierig, als Künstler in einer Welt zu existieren, in der Markendisziplin eine Sache ist.“

Zwei Tage später treffe ich Lamin Fofana im Central Park. Nachdem er einige Jahre in Berlin gelebt hat, ist er vor einem Jahr nach New York zurückgezogen – und hat, zu seiner eigenen Verwirrung, Uptown Manhattan, in Nähe des Guggenheim Museums, eine günstigere Wohnung als in einer seiner früheren Hoods (Bedford-Stuyvesant, Harlem, Crown Heights) gefunden. Die absurden Folgen der Gentrification.

Die letzte Reise stecke ihm noch in den Knochen, gibt Lamin zu verstehen. „Wenn man an Orte geht und Musik spielt, hat man nicht das Gefühl, dass man wirklich dort ist“, führt er aus. „Man bekommt verschwommene Schnappschüsse von diesen Orten, wie ein fahrender Zug.“
Lamin ist ein sehr offener, freundlicher Gesprächspartner, er lacht viel während unserer einstündigen Unterhaltung. Sein Blick auf den eigenen Arbeits- und Wirkungskosmos ist merklich lockerer als jener von No Land und Luke Stewart.
Was die drei eint, auch die Produktionen von Lamin Fofana sind eng verflochten mit seinen intensiven Rechercheprozessen. „Ich lasse mich stark von der Lektüre von Geschichtsberichten und Poesie inspirieren“, erklärt er. „Ich gewinne über Dinge, die vor 30, 50 oder auch 100 Jahren passiert sind, Einblicke in die Dinge, die heute vor sich gehen – und wandele sie in Bewegungen und Muster in meiner Musik um.“
Auf seine Produktionen angewandt, bedeutet dies, dass sie sich aus Eindrücken, Ableitungen und Gefühlszuständen speisen, die die Texte von Autor:innen wie W. E. B. Du Bois, Sylvia Winter, Amiri Baraka, Kamau Brathwaite, Édouard Glissant in ihm ausgelöst haben.
Ich will wissen, wie es Fofana gelungen ist, sich trotz aller thematischen Schwere, die seiner Musik anhaftet, diese Leichtigkeit im Austausch erhalten zu haben – und eben nicht zynisch zu werden, oder sich hermetisch abzugrenzen, wie so viele andere. „Um ehrlich zu sein, ich habe einfach sehr viel Glück gehabt“, antwortet er knapp. „Die Dinge haben sich sehr natürlich entwickelt. Das hat geholfen.“ Aktuell sei er sich aber unsicher, wohin der Weg als nächstes führt. Der selbst gesetzte Druck nach gleich zwei Trilogie-Zyklen (zulässt „Black Metamorphosis“, „Darkwater“ und „Blues“) sei hoch.
Wirklich Sorgen über fehlende Inspiration muss man sich aber nicht machen. So zeigte Fofana beispielsweise beim Meakusma Festival Ende August mit drei beeindruckend vielseitigen Sets (zwischen Ambient, Techno und erzählender Klangkunst) wie leicht er unterschiedlichste Klangnarrative zu weben vermag. „Ich gehe einfach in mehrere Richtungen gleichzeitig“, kommentiert er lachend. „Wie das verlorene Album von Coltrane: „Both Directions at Once“. Diese Ideen von klaren Disziplinen und multidisziplinären Ansätzen haben für mich nie funktioniert. Das ist wie die Dualität aus Club und Museums-/Galerie. Ich mag es, wenn sich die Dinge wild überwuchern, wie bei einem Pilz. Wenn überhaupt, dann versuche ich, eine Art Anti-Disziplin-Praxis zu haben. Aber es ist schwierig, als Künstler in einer Welt zu existieren, in der Markendisziplin eine Sache ist.“
Dass er neben seinen Dance-Floor-Auftritten von der Kunstwelt für Ausstellungen eingeladen wird (Fofana stelle bereits im Hamburger Bahnhof, Berlin, dem Haus der Kunst, München, oder auch bei der 57. Biennale Venedig aus) führt er – mit kritisch-realistischen Blick – auf seine Beschäftigung mit Black Studies zurück. Wobei, das ist ihm wichtig zu betonen, er bereits davor installative Arbeiten produziert habe, und das auch machen werde, wenn die Kunstwelt nicht mehr an ihm mehr an ihm interessiert sei.
Zum Ende unseres Gesprächs erwähnt Lamin Fofana den britischen Schriftsteller und Journalisten Kodwo Eshun. Von diesem habe er gelernt, dass „schwarze Musik, schwarzer Lärm nicht etwas ist, das man einfangen und in Kategorien einordnen kann. Sie verweigert sich der Schlussfolgerung und dem endgültigen Ende.“

Notat
Dieser Text ist unter dem Eindruck des bewegenden Konzerts von Meshell Ndegeocello im Kölner Stadtgarten entstanden, bei dem sie ihr aktuelles Album „The Gospel of James Baldwin“ mit ihrer fünfköpfigen Band präsentierte, das neuste Kapitel in ihrer Auseinandersetzung mit dem Lebenswerk des afroamerikanischen Schriftstellers und Aktivisten James Baldwin. “Musik zu spielen ist einer der wenigen Bereiche, in denen ich mich geschlechts- und ohne ethnische Zugehörigkeit fühle”, so Ndegeocello.
Am Morgen nach der Fertigstellung dieses Texts können wir alle uns dem Alltag selbst mit Musik nicht mehr entziehen. Die USA haben gewählt – und sie haben damit Donald Trump trotz all dem, was an im klebt, zurück ins Amt legitimiert. Was das konkret bedeutet, wird sich noch zeigen, aber es wird sicherlich nichts gutes sein.

Der Beitrag basiert auf den beiden ausführlichen Kaput-Interviews und erschien in dieser Form zunächst in der Print-Ausgabe der Stadtrevue Köln. Nachabdruck unter freundlicher Genehmigung der Musikredaktion. 

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