„Meine Haut ist nicht eine sondern gleich mehrere Gänsehäute“
Vom 29. August bis 1. September fand im ostbelgischen Eupen die sechste Ausgabe des Meakusma Festivals statt, zugleich der 20jährige Geburtstag der Idee Meakusma.
Kaput-Mitherausgeber Thomas Venker hatte das große Vergnügen mit dem Taz-NRW-Korrespondenten Lars Fleischmann ein idyllisches Ferienhaus an der Weser als Festivalbasiscamp zu teilen. Der perfekte Ort, um sich dem Phänomen Meakusma zu nähern.
Man kann das Meakusma mit dem kleinen, gallischen „Dorf der Unbeugsamen“ in Asterix & Obelix vergleichen, beide eint eine sympathische Aura des Anderssein – wo Asterix und Obelix im an der der westfranzösischen Küste gelegenen Aremorica den Römern stete Parole bieten, hält das Meakusma im ostbelgischen Eupen mit Unterstützung seiner internationalen Community der mittlerweile voll von Instagram und TikTok dominierten, durch globalisierten Elektronische Musik Kapitalismus Bubble mit seinen absurden Personality Ritualen (Selfies, Back-Shot-Videos…) und den hochgejazzten Gagen einen Gegenentwurf entgegen.
Ich muss an Blumfeld und „Die Diktatur der Angepassten“ denken, wo Jochen Distelmeyer so treffend das Geschehen beobachtet:
„Ich sehe die Leute in den Straßen / Die Diktatur der Angepassten / In den Städten und den Dörfern / Leben sie und ihre Lügen / Lügen, Lügen, Lügen (…) Im Norden, Süden, Osten, Westen / Die Diktatur der Angepassten / Das Geld vibriert und auf den Genchips / Diktiert ein freier Markt das Leben / Leben, Leben, Leben“
Ganz anders beim Meakusma. Die ursympathische Crowd bewegt sich ohne Hierarchien im Kopf zwischen den Bühnen des Festivals, sie inspirieren neugierig alles, was ihnen angeboten wird – und eben nicht nur das, was sie kennen, wie sonst viel zu oft der Fall. Diese Offenheit zeigt sich auch an den viel frequentierten Ständen, gehostet vom Kölner Plattenladen a-Musik und dem Berliner Buchladen Zabriskie.
Ohne jetzt konkreten Einblick in die Bücher des Meakusma Festivals zu haben, ist auch klar, alle Künstler:innen, die hier auftreten bestehen nicht auf ihre reguläre Gage, sondern wissen den Ethos der Festivalmacher:innen und das spezielle Set-Up des Festivals zu würdigen, in dem sie eine Friends-Gagen-Offerte akzeptieren.
Close Reading im Kesselraum – die Verhältnisse, sie bleiben optimistisch kompliziert
Das Festival wird über vier Tage kultiviert, wobei der Opening Day zum Warm-Up dient; es werden noch nicht alle Bühnen bespielt (die große Halle und der Backyard bleiben noch geschlossen), und es sind auch noch lange nicht so viele Besucher:innen angereist, jedoch genug, dass alle geöffneten Floors (Kühlraum, Kesselhaus, Speicher, Heuboden) angenehm gefüllt sind.
Aufgrund meiner persönlicher Involvierung verbringe ich den ganzen Abend im Kesselraum, wo neben LABOUR (denen ich beratend zur Seite gestanden habe im Vorfeld des Festivals; ich habe sie mit dem Meakusma für den Auftritt in Kontakt gebracht) an diesem Abend noch Farahnaz (Farahnaz Hatam von LABOUR), Lamin Fofana und Katatonic Silencio auftreten, was mir die Gelegenheit zum close reading gibt.
Das den Abend eröffnende Set von Farahnaz ist eine willkommene Erinnerung daran, dass in jedem Klangmaterial ein deeper groove verborgen liegt, wenn man sich nur auf es einlässt. Farahnaz kreiert aus abstrakten Music-Concrete- und Industrial-Sounds einen spirituellen Rhythmus, Wunden schneidend und dennoch von sensibler, geradezu pflegender Wärme. Mit eleganten Bewegungen putzt sie die Platten vor der Benutzung, um den Staub als Element des Zufalls zu minimieren und so die Artefakte als die magische Tonquelle, die sie sind, noch markanter auszustellen. Passend der majestätische Schluss ihrer Performance: abrupt nimmt sie den Tonarm von der Platte. That´s it!
Ganz anders das Set von Lamin Fofana. Eine faszinierende Nervosität flirrt durch den in voller Dunkelheit gehaltenen Raum. Man spürt die Anwesenheit anderer Menschen, aber man sieht sie nicht – und doch stellt sich ein Gefühl der Nähe und Sicherheit ein.
Nach behutsamen Einstieg leitet Fofana die zweite Hälfte seines Sets mit grollenden Sounds ein, ein Gewitter liegt in der Klangluft, entlädt sich aber nicht, sondern zieht sich in ein schwarzes Klangloch zurück, oder wird reingezogen, so genau kann man es nicht sagen, dafür öffnet aber ein kristalliner Sound den Raum für eine von deren vielen Begegnung mit uns selbst, die das Set des in New York lebenden Produzenten und DJs offeriert – ja, die Musik von Lamin Fofana kann so etwas auslösen, sie ist ein Verstärker unserer Gedanken und Gefühlen, und sie ist eine eindringliche Erinnerung, dass der Ambient-Floor auf den Partys der 90er Jahre einst das eingelöste Futurismus-Versprechen von Techno erst möglich gemacht hat als Partner in Crime zur Körperlichkeit der Hauptfloors mit ihren anderen Gesetzen.
Wo sonst kann man sich in endlosen Soundwelten verlieren, in denen der Sauerstoff zwar auszugehen droht, man aber trotzdem keine Angst vorm Ersticken bekommt, da man anders zu atmen gelernt hat.
Lamin Fofana ist für mich schon zu diesem Zeitpunkt meine Meakusma 2024 Entdeckung, denn auch wenn ich seine Musik schon vorher kannte, so fühle ich nun sein immenses Potential als unsichtbarer Zeremonie-Wizard erst in Gänze; am nächsten Abend wird er ein weiteres grandioses Set auf dem Speicher spielen.
Als zum scheinbaren Ende des Sets schon alle klatschen, schiebt Lamin Fofana den Applaus mit bestimmter Geste nochmals zurück in den Saal und setzt zu einem electrifying letzten Track an, dessen warme Funkbrise den historischen Staub aus Chicago und Detroit in den Schlachthof zu wehen scheint, ein Stück (wie alles, was er in diesem Set spielt von ihm selbst) von unglaublicher Intensität, obwohl nur wenige Minuten lang wirkt es wie eine ganze, nie enden wollende Nacht auf dem Dancefloor.
Das nun wirklich kommende Ende flankiert der Licht-Mischer mit kongenial gesetzten, flackernden Blitzen. Meine Haut ist nicht eine sondern gleich mehrere Gänsehäute, Musik, more brilliant than the sun, um es mit Kodwo Eshun zu sagen.
„Evil Does Not Exist “ heißt der neue Film von Ryusuke Hamaguchi, das Set von LABOUR könnte man als Antwort darauf lesen: es gibt keinen Ort, an dem das Böse nicht lauert. Von der ersten Sekunde an brodelt die Erde, spürt man die heiße Lava die Füße hochkriechen, ahnt man die kommenden Ausbrüche, kratzt das, was bei Steven King namenlos ES heißt, an der dünnen Membran, die die Welten voneinander trennt. Ich muss an die vielen 80er Jahre Horrorfilme denken, die die Welten über Bildschirme, Spiegel etc. trennten und verknüpften, ein so einfaches wie wirksames Raum-Zeit-Konstrukt, doch hier und heute in Eupen liegen die Welten vielschichtiger ineinander verwoben. Das, was einem eben noch freundlich gesinnt war, ist plötzlich eine Bedrohung – und andersherum lösen sich Ängste urplötzlich in einem Nebel der Zärtlichkeiten auf. Es ist nicht immer leicht, die(se) Welt zu lesen, schon gar nicht, wenn es derer multiplere mit jeder Sekunde werden.
Selten wird man derart unmittelbar mit dem radikalen Potential von Musik konfrontiert. Aber ja, Musik kann auch 2024 noch alles von einem verlangen und bekommen, wenn die Protagonist:innen selbst bereit sind all das einfließen zu lassen, was sie umtreibt, ungezügelt und lustvoll.
Auch die LABOUR Performance ist in mehreren Akten angelegt. An einer Stelle verlässt Colin Hacklander sein Drum-Set und gruppiert sich zu Farahnaz Hatam, um andere Drums nun digital statt analog zu spielen, mit der seltsamen Wirkung, dass sie organischer wirken, geradezu funkig im Geiste früher HipHop-Produktionen, als die Genres noch nicht enge Boxen, sondern fließende Korridore waren – was, wenn ich es mir genau überlege, nicht wenig an den parallel von Farahnaz Hatam eingespielten Sounds liegt. Alles dreht und stapelt sich und steigert sich ins Inferno einer Welt, die niemals nicht aufgewühlt sein wird.
Das Finale ein Engtanz aus Industrial und Old School House Feelings (wahrscheinlich so nur von mir gehört und gefühlt), die Verhältnisse, sie bleiben optimistisch kompliziert.
Mit der Ruhe nach dem Sturm kommt abermals die Erkenntnis, dieser Raum ist von Sauerstoff befreit. Eine gute Ausgangsbasis für , deren Set zunächst sehr gut dazu passt, dass fast der gesamte Saal auf dem Boden sitzt. Eine Angewohnheit, die ich kategorisch ablehne, aus organisatorischen Gründen, da es den Raum unnötig verkleinert, aber auch wegen der unfreundliche Geste gen Performer:innen, die darin angelegt ist.
Das Set wirkt, gerade nach LABOUR, wie eine liebevolle Umarmung, für sich allein gelesen trägt es aber nicht nur shinny happy feelings in sich, sondern auch trippy Echolot-Schallwellen aus Gefühlsregionen, die man nicht sofort verortet bekommt. Mehr und mehr lässt Katatonic Silencio,
sphärische Brüche zu, reißen Breakbeats den Vorhang auf – und schließlich stehen die Leute endlich auf und manche bewegen sich gar.
Das als Finale angekündigte B2B2B aller Musiker:innen wird zu einem B2B von Katatonic Silencio und Lamin Fofana, doch so reizvoll es auch beginnt, ich habe für heute genug exzellente Musik gehört, irgendwann muss man sie ja auch sacken lassen und verarbeiten. Auch das eine wichtige Lektion eines so tight mit herausragenden Performances kuratierten Festivalprogramm.
Tape Loops, Orgeln und fast gebrochene Knochen
Das Meakusma Programm konzentriert sich zwar auf den Schlachthof, bietet aber noch viele weitere Highlights in Kirchen, Galerien und Off-Spaces in Eupen. Manche durchaus in nicht geringer Distanz gelegen – doch man sollte sich vor einem dreißigminütigen Spaziergang (one way) nicht scheuen, am Ende warten immer besondere Erlebnisse.
Beispielsweise in der Galerie Vorne und Oben , wo das von Nguyen Phuong-Dan betriebene Label dispari eine Ausstellung von Klangobjekten mit Performances von TinTin Patrone und Angela-Anzi präsentiert.
Siehe Kaput-Instagram, wo einige Live-Sequenzen des diesjährigen Meakusma festgehalten wurden.
Oder im Eupen Plaza die sehr schöne, aber auch sehr gefährliche Orgel-Installation von Maxime Denuc. Gefährlich, da die Absperrung irgendwie vergessen wurde und hinter dem Objekt ausgehobene Gruben wegen der fehlenden Beleuchtung fast für gebrochene deutsche Knochen in Ostbelgien gesorgt hätten – was wiederum fast die Taz-Headline zum Nachbericht von Lars Fleischmann geworden wäre, zumindest wenn es nach meinem egozentrischen Ich gegangen wäre.
Taz Link.
Im Schlachthof selbst gibt es unter dem Dach eine ganz besondere Die Tödliche Doris „Installation“ zu erleben – und mitgestalten, wenn man die Tape-Maschine in den Aufnahmemodus versetzt, kann man sich über das daneben positionierte Mikrofon in den ewigen Loop einschreiben. Manch einer lernt dabei die Bedeutung von Feedback als künstlerische Geste.
Koreanischen Nudelsuppe mit Käsegeschmack
Der Freitag beginnt schrecklich. Die im einzigen Shop der Eupener Unterstadt erworbenen Koreanischen Nudelsuppe mit Käsegeschmack verstößt definitiv gegen die Genfer Konventionen. Selbst der nach gespülte Whisky aus dem Bestand von Taz-Kollege Lars Fleischmann kann meinen Magen nicht mehr retten.
Doch damit hat es sich auch an Negativerlebnisse, der restliche Tag bietet viele Neuentdeckungen und überzeugende Sets und Konzerte von …
Rashad Becker
Vittoria Totale
Jessica Ekomane
Devon Rexi
Michael J Blood
Ciccio & 2mo
Lamin Fofana
Pausen, Psych-Trance und Fade Out
Festivals überfordern ja gerne mal. Es gilt Pausen zu machen, ansonsten vermischen sich leicht mal die Eindrücke bei faktisch um die 20 Shows pro Tag / Nacht, in die man zumindest kurz reinschaut.
Hilfreich beim Diskurs und Einordnen, dass die Kolleg:innen und Freund:innen immer um einen herum präsent sind, so dass oft nur Sekunden zwischen hören und aufarbeiten liegen. Props an dieser Stelle an Julian Weber von der taz und Marcel Bisevic von der Kaserne Basel, die neben meinem Flat-Partner-in-Crime Lars Fleischmann eine exzellente Peer-Group abgaben.
Trotz Pausen stellt sich am Samstag aber nicht der gleiche Sog ein als am Vortag, was teilweise an etwas maueren Sets liegt, sicherlich auch an der eigenen Erschöpfung
(man legt schon so zwischen 12 und 15 Kilometern am Tag zurück beim Meakusma).
Am späten Nachmittag treffe Fabien Leclercq, besser bekannt als Le Motel und Betreiber des Labels Maloca zum Interview (wird separat bald auf kaput publiziert). Er erzählt, dass er 2019 erstmals als Besucher nach Eupen gekommen war und es seitdem leider nicht mehr geschafft habe. Umso mehr freut es den in Brüssel ansässigen Dj, Produzenten und World Field Recording Traveller, dass er in diesem Jahr auch spielen darf. Sein zweistündiges Set auf der Open-Air-Hinterhof-Bühne wird später die Tanzende auf einen Trip zwischen Electro-Ambient und Psych-Trance schicken.
Ein anderer belgischer Act, den ich gerne gesehen hätte, sind Razen, deren Konzert aber leider kurzfristig abgesagt wurde.
Schade, aber irgendwie auch nicht so wild, schließlich mangelt es auf dem Meakusma nie am nächsten tollen Set. Am Samstag beispielsweise von ….
Kirk Barley
Carrier
FSK
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Honour
John Swing
Lawrence
Letzteres Set verpasse ich allerdings und liste ich hier nur, da ich mich sehr gefreut habe, Peter Kersten aka Lawrence auf dem Meakusma mal wieder zu treffen.
Mein persönliches Meakusma 2024 endet am Sonntagvormittag, wobei mich bereits im Bus zum Bahnhof eine Fomo-Welle erfasst, schließlich spielen heute doch noch Jules Reidy und Marcus Schmickler – und was ist erst mit all den verborgenen Überraschungen, die man nur vor Ort beim Meakusma entdecken kann?
Das Festival ist ein glühendes Manifest des kollektiven Erlebens von Musik.