Petra Poelzl – HAU Hebbel am Ufer – Feature

Petra Poelzl: „Kuratieren ist immer ein Risiko“

Petra Poelzl (Copyright: Dorothea Tuch)

Die Dramaturgin und Researcherin Petra Poelzl ist seit April 2022 neue Kuratorin für Tanz & Performance am HAU Hebbel am Ufer in Berlin. Zeit für eine erste Zwischenbilanz.

 

Petra Poelzl ist für ihren Job am HAU Hebbel am Ufer im April 2022 aus Innsbruck nach Berlin zurückgekehrt, wobei sie die Stadt seit 2006 ihr homebase nennt, auch wenn sie zwischenzeitlich als Dramaturgin beim steirischen herbst in Graz, als Künstlerische Leiterin & Geschäftsleitung von Kunstpavillon und Neue Galerie Innsbruck und als freie Kuratorin in China tätig war. Ihre Rückkehr nach Berlin fiel just in die – nennen wir es mal – post-pandemische Wiederöffnungzeit des Hauses. Rückblickend spricht Poelzl von einem Moment des Aufbruchs. „Am Anfang war es noch zaghaft, aber schnell waren die Vorstellungen wieder ausverkauft; die an das Haus angegliederte CAN Bar hatte wieder offen und es wurde ausgiebig getanzt, gefeiert und Kunst geschaut.“

Während der Pandemie bedingten Zeit der geschlossenen Häuser und digitalen Ersatzwelten wurde viel darüber philosophiert, wie sich diese Erfahrungen längerfristig auswirken werden. Während die einen mit einer neuen Experimentierfreude rechneten, prognostizierten andere eine Phase des Wertkonservatismus, des Festhaltens an bewährten Namen und Inhalten. Letztlich ist je nach Standort beides Realität geworden, wobei Poelzl für Berlin aktuell schon erstes als das prägende Paradigma diagnostiziert. Dabei schwärmt sie vom euphorischen Publikum, welches die Vorstellungen geradezu aufsauge. „Ich habe früher in Berlin nicht so viele standing ovations erlebt“, führt sie aus, „da schwingt momentan bei den Zuschauer:innen oft schon eine besondere Begeisterung mit.“

Natürlich hat Poelzl als neue Kuratorin für Tanz & Performance die Ambition eigene Positionen zu setzen, sie betont aber auch, dass es ihr zugleich darum gehe, die guten langfristigen Beziehungen zu Künstler:innen, die das HAU Hebbel am Ufer über viele Jahre etabliert hat, weiterzuführen; zumal sie ja keine konträren Positionen verhandle, sondern sich in bester HAU-Tradition unter anderem auch postkolonialen und queeren Narrativen widmet. Was jedoch auffällig ist, ist ein besonderes Augenmerk auf Künstler:innen aus dem asiatischen Raum. Eine Tatsache, die wohl ihrem Studium der Sinologie und chinesichen Sprache, sowie ihren längeren Aufenthalten in China oder auch auf den Philippinen geschuldet ist. Aber dazu gleich mehr.

Poelzl weist auf den elementaren Unterschied zwischen einem Haus wie dem HAU und der Arbeit an einem Festival wie dem steirischen herbst hin, für den sie zuvor zwischen 2012 bis 2017 gearbeitet hat: „Bei einem Festival gibt es meistens nur einige wenige Künstler:innen, mit denen man über die Jahre immer wieder arbeitet.
Ansonsten erfindet sich ein Festival in der Regel mit jeder Ausgabe neu. Hier am HAU haben wir zwar punktuell Festivals, es gibt aber auch ein stetig laufendes Programm. Das war für mich erstmal eine neue Form des Programmierens. Dabei gibt es eine große Anzahl von Künstler:innen, die schon lange mit dem Haus assoziiert sind, deren Arbeiten ich aber auch schon seit Jahren beobachte und schätze. Nicht zuletzt deshalb, weil ich ja vor meiner Anstellung am Haus bereits leidenschaftliche HAU-Gängerin war. Es ist einfach toll Künstler:innen auf ihrem Weg zu begleiten und gemeinsam zu wachsen.“

Ariel Efraim Ashbel and friends, “The Names / שמות” (Copyright: Frank Sperling)

Kat Valastur, “Eye Lash” (Copyright:Leon Eixenberger)

Kontinuität in der Zusammenarbeit ist Poelzl nicht nur aus sozialen und hausstrategischen Gründen ein Anliegen, sondern auch ökologisch wichtig. „Oft werden Stücke nur wenige Male gezeigt, um dann wieder weggepackt zu werden. Warum aber nicht auch über Wiederaufnahmen nachdenken? „Macho Dancer“ von Eisa Jocson, das wir im Rahmen unseres Festivals „Geister, Dschinns & Avatare – Über das Magische im digitalen Zeitalter“ (02.–12.03.2023) zeigen, ist ein gutes Beispiel. Das Stück ist von 2013, also zehn Jahre alt, aber noch immer von hoher Relevanz. Das ist nur ein Beispiel von vielen.“

Auf meine Frage, ob sie die Arbeit am HAU auch als Druck empfinde, kommentiert Poelzl zunächst lachend „dazu möchte ich nichts sagen“, verweist danach zu Recht selbstbewusst auf die bereits gut gelaufenen Programmpunkte der vergangenen Monate. Sie spricht aber auch davon, dass es nun zu sehen gilt, wie die für das Berliner Publikum noch neuen Namen wie Wen Hui, Tianzhuo Chen oder Joshua Serafin angenommen werden: „Neue Namen sind immer ein Risiko. Kuratieren ist immer ein Risiko. Ein Spannungsfeld, welches ich eigentlich sehr gerne mag.“

Weiche Zäune

Das HAU Hebbel am Ufer ist seit jeher ein Haus der interdisziplinär weichen Zäune, an dem Mitarbeiter:innen und Künstler:innen im intensiven Dialog über die Grenzen der eigenen Disziplin(en) hinaus gehen und den Austausch zwischen Performance, Tanz, Film, Musik, Diskurs und Bildender Kunst suchen. Ein Blick auf die von Petra Poelzl in den vergangenen Monaten umgesetzten sowie auf die für die nächste Zeit geplanten Produktionen – unter anderem Zusammenarbeiten mit der Südkoreanischen Choreografin, Performance Künstlerin und Bildenden Künstlerin Geumhyung Jeong, eine Kollaborationsarbeit von Paul Maheke, Nkisi und Ariel Efraim Ashbel sowie eine performative Filmproduktion von Samira Elagoz – zeugen davon, wie gut sie in das HAU-Milieu passt.

Anhand von zwei Beispielen verdeutlicht Poelzl, dass diese Prozesse weniger strategische Setzungen sind, sondern eher aus dem Fluss der kontinuierlichen Zusammenarbeiten zustande kommen. So sei beispielsweise der Abend mit dem aus Farahnaz Hatam und Colin Hacklander bestehenden Künstler:innenduo Labour im vergangenen Dezember, durch deren frühere Zusammenarbeiten am HAU mit unter anderem caner teker entstanden. Waren sie in diesen Produktionen ausschließlich für die Musik zuständig gewesen, so gestalteten sie diesmal, aufbauend auf ihrer für das Atonal entwickelten Performance „Sungazing“, das gesamte Werk.

Ein anderes Beispiel ist „Sènsa“, eine Kollaboration von Paul Maheke, Nkisi und Ariel Efraim Ashbel im Rahmen des aktuell stattfindenden” Geister, Dschinns & Avatare”-Festivals, bei der alle drei Künstler:innen sich fluide in den Prozess einbringen und der eigentlich ausgebildete Regisseur Ariel Efraim Ashbel das Licht macht.

Nicht zuletzt durch solche genreübergreifenden, kollektiven Arbeitsweisen bedingt, konnte man bereits vor der Pandemie, eine stete Zunahme von (Tanz)Performances im Club- und Musikkontext registrieren, die bis dahin sonst vornehmlich auf klassischen Bühnen vorzufinden waren. So ist es mittlerweile üblich, dass im Rahmen eines Musikfestivals wie dem Atonal Performances von Pan Daijing oder Labour stattfinden können oder in einer Location wie der Trauma Bar und Kino Durational Performances und Clubnächte ineinander übergehen.

Immersion & Frontalbespielung

Es sei aktuell schon so, dass viele Künstler:innen „immersive Bühnen-Settings präferieren. Also die klassische Bühnensituation auflösen und sich mit dem Publikum auf eine Ebene begeben.“ Eine Intention dahinter könnte sein „Barrieren und Distanz abzubauen; Nähe zu schaffen“. Für ein Haus wie das HAU Hebbel am Ufer bedeutet dies aber auch oft eine stark reduzierte Zuschauer:innenzahl und entsprechend weniger Ticketverkauf – eine Einbuße, die man hier im Sinne der Kunst und des Kunsterlebnisses immer mal wieder in Kauf nimmt. „Immersion ist in der Kunst wichtig geworden“, führt Poelzl aus und verweist auf ihre seit 2015 kontinuierlich stattfindenden Zusammenarbeiten mit dem Chinesischen Künstler Tianzhuo Chen, der in seinen Performances Bildende Kunst, Clubkultur, Fashion und Performance zusammen denkt. „Es ist immer wieder beeindruckend wie Tianzhuo Szenarien schafft, in welche das Publikum komplett eintauchen kann, um sich letztlich in seinen Welten aufzuhalten“, berichtet sie. „In ,An Atypical Brain Damage‘, das wir 2017 gemeinsam rausgebracht haben, haben wir beispielsweise mehrere kleine Plattformen im Raum errichtet und das Publikum bewegte sich gemeinsam mit den Performenden durch diesen Raum.“ Das bedeute aber nicht, dass die klassische Frontalbespielung ein Relikt der Vergangenheit ist, das Gegenteil sei der Fall, betont Poelzl, sie reizen die damit einhergehenden Herausforderungen sehr: „Wie kann ich eine Bühne so bespielen, dass da teils mehrere hundert Menschen davor sitzen und alles um sich ausblenden und in eine andere Welt eintauchen? Mit welchen Mitteln passiert das?“

 

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„Trance“ by Tianzhuo Chen – “Trance” ist eine Produktion des Theater Kampnagel Hamburg und partner in crime in Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin und Dark Mofo. Gefördert von der Ruschstiftung und der Kulturstiftung des Bundes. In Berlin wurde „Trance“ im Zuge des „Schall und Rausch-Festivals“ im KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst gezeigt. Petra Poelzl war für dieses immersive Werk als Dramaturgin tätig.

 

Auf meine Frage, wo sie selbst derzeit die inspirierendsten Arbeiten sehe, verweist Petra Poelzl, neben einem steigenden Interesse für Ballett und Oper, abermals auf das Spannungsfeld aus Clubkultur, Bildender Kunst und Performance und legt auch sofort dar, was das für ihre Arbeit am HAU bedeutet: „Mir liegt es am Herzen an ausgewählten Abenden immer wieder kleine Gatherings zu schaffen. Abende, an denen man auch mal mehrere Shows oder Veranstaltungen besuchen kann – und den Abend dann im Gepräch oder tanzend bei guter Musik ausklingen lässt.“ Zur Verdeutlichung skizziert sie, wie ein idealer Abend im HAU-Biotop für sie aussehen könnte: „Das kommende Festival ‚Geister, Dschinns und Avatare‘, welches ich gemeinsam mit meinen Kolleg:innen Sarah Reimann und Tobias Schurig kuratiert habe, bietet für mich sehr schön gebaute Abende. Zur Eröffnung am 2. März kann man sich beispielsweise die neue Arbeit „FANTASMAGORIA“ von Philippe Quesne im HAU2 ansehen. Dann zur rituellen Zar-Performance von Mazaher aus Kairo ins HAU1 gehen, im Anschluss zur Berliner DJ MaryLou in die CAN Bar, zwischendurch bildende Kunst-Setzungen in den Theater-Foyers anschauen und zu Hause dann noch einen tollen Film auf HAU4 streamen. Solche Abende werden sich durch das Festival ziehen.“

„Geister, Dschinns & Avatare” – Opening Party (Copyright Dorothea Tuch)

Eine andere Möglichkeit für mehr Austausch und Interaktion beim Besuch von Kulturveranstaltungen sind natürlich Talks mit den Künstler:innen, die dem Publikum den Rückkanal öffnen und einen gemeinsamen Diskurs ermöglichen. „Wir haben jetzt im März zum Beispiel die Arbeit „I am 60“ von Wen Hui eingeladen. Wen Hui ist Vorreiterin des zeitgenössischen Tanzes in China und Anfang 60. Das Stück ist auf Grundlage ihrer eigenen Geschichte entwickelt. Nach der Vorstellung wird es ein Gespräch mit der Philosophin Wang Ge geben, das sich aber nicht ausschließlich mit der künstlerischen Praxis von Wen Hui beschäftigt, sondern vorwiegend mit der Rolle der Frau in China im Allgemeinerem, da kann sich dann auch das Publikum einbringen.“

 

Cash, Geister & Liebe

Seit 2006 ist Poelzl regelmäßig in China gewesen. Sie hat im Zuge ihrer Recherchen viele Gespräche mit Künstler:innen und Kurator:innen geführt. Bei ihrer Zusammenarbeit mit dem Asia Art Archive in Hong Kong interessierte sie sich vor allem für die performativen Künste in Süd-West-China während der 1990er Jahre. Eine Zeit, in welche die Student:inneproteste von 1989 deutlich hineinwirken und welche die Gesellschaft in China bis heute prägt. „Viele chinesische Künstler:innen haben seither das Land verlassen. In ihren Arbeiten reflektieren sie das damals Erlebte und ihre Erfahrungen. Die Kunst dient ihnen als Reflektionsraum zur Aufarbeitung von Geschichte, als Mittel für deren Vermittlung und Space, an dem davon ausgehende Utopien von Zukunft entworfen werden können.“
Insofern ist es kaum verwunderlich, dass die meisten Produktionen, die Petra Poelzl verantwortet, einen explizit politischen Charakter haben und auf intensiver Recherche beruhen. Es sei auch generell so, dass es hier eine Zunahme festzustellen gäbe, einen „research turn“, wie sie es nennt, Künstler:innen würden sich aktuell sehr viel anlesen bevor sie sich an ein Stück machen. Da verwundert es auch nicht, dass die PhD Programme für Künstler:innen aktuell immer mehr werden. Poelzl verweist aber auch auf ihren eigenen Wahrnehmungskosmos: „Es gibt mittlerweile oft Bibliographien zu den Stücken, in welchen die Werke gelistet sind, die die Arbeit maßgeblich beeinflust haben. Das kenne ich von meiner kuratorischen Praxis in der Bildenden Kunst, wo ich auch immer gerne die Literatur angebe, die ich für die Ausstellungsvorbereitung gelesen habe. Bei einer Ausstellung habe ich sogar sämtliche dieser Bücher in die Galerie geschleppt, das Publikum explizit eingeladen, darin zu lesen und sie auch dazu angehalten ihre eigenen Lieblingsbücher mitzubringen. Für mich selbst genommen, finde ich es immer toll, wenn ich durch eine Austellung oder eine Performance neue Wissensfelder eröffnet bekomme.“

Aktuell steht mit „Geister, Dschinns & Avatare“ nun ein zehntägiges Festival an, das über das „Magische im digitalen Zeitalter“ nachdenkt. „Es geht zunächst um die Frage, wo wir das Magische in unserer sich zunehmend digitalisierenden kapitalistischen Gegenwart finden können? In Apps oder Devices? Oder doch in ganz anderen Sphären? Und wie ist oder wird es wahrnehm- und erfahrbar? Außerdem fragen wir, wohin sich das Magische im Zuge der digital-gesellschaftlichen Transformation weiter entwickeln könnte und welche Räume eine postkoloniale und antikapitalistische Bezugnahme auf das Magische eröffnen beziehungsweise wieder eröffnen kann?“

Parallel arbeitet Petra Poelzl bereits auch schon am nächsten Festival, das im April 2024 am HAU stattfinden wird und sich der „Liebe“ widmet. „Aber davon erzähl ich dir ein andermal“, moderiert sie lachend unser Gespräch ab.

Danielle Brathwaite-Shirley “Pirating Blackness / BLACKTRANSSEA.COM
Installation im Zuge von „Geister, Dschinns & Avatare: Über das Magische im digitalen Zeitalter“
(Copyright: Dorothea Tuch)

 

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