Revolution junger Journalisten – über die eigene Branche spricht man nicht
Texte, die nicht auf Klarheit redigiert werden, sondern auf stupide Einfachheit. Magere Honorare für pünktlich gelieferte Arbeiten. Dazu gibt es Tausende Geschichten von freien Journalisten. Nur öffentlich geredet wird darüber nicht. Oft heißt es, vergraule es dir nicht mit diesem oder jenem Medium. Ich frage: Wollen wir wirklich für diese Medien schreiben? Von LAURA NUNZIANTE
Eigentlich bin ich freie Schriftstellerin. Meine kleinen Ausflüge in die Welt des Journalismus hatte ich bisher dennoch als befruchtend empfunden, mein Gesamteinkommen hing ja auch nicht davon ab. Mir wurde aber, je tiefer ich in die Branche eintauchte, immer klarer, dass es unmöglich ist, von dieser Kunst zu leben. Geistig zunächst – und im zweiten Schritt finanziell.
Es sind wenige Redaktionen und Verlage, die Verantwortung für die Arbeit ihrer Freien übernehmen. Die wenigsten, die Potenzial erkennen und Autorinnen aufbauen. Gerade in Zeiten, in denen es mal nicht so läuft. Handwerkliche Schreibe ist kaum gefragt, der Respekt vor dem Stil erscheint nicht mal zweitrangig. Die Autorin muss mit jeder Arbeit neu beweisen, was sie kann. Als ob sie nicht schon jahrelang an ihrer Schreibe gearbeitet hätte, die ihr Buchverträge, Lesungen oder Aufträge bei namhaften Medien eingebracht hat. All das ist bei jedem neuen Pitch egal.
Frei nach Sven Hillenkamp ist das die Perversion der Arbeitskraft im heutigen Zeitalter. Der Erfolg von gestern ist nicht mehr gut genug, jeden Tag müssen wir uns selbst übertreffen. Dabei strotzen die Onlinemedien mittlerweile von schlechten Texten und leben uns damit eine andere Wahrheit vor. Clickbait ist längst kein Fremdwort mehr. Und die, die noch Platz für schöne Zwischentöne in ihren Blättern haben, zahlen unfassbar schlecht.
So erwächst auch im Nachwuchs weder Loyalität noch Freude am Erwachsenwerden in der Kreativbranche. Im Gegenteil, so wird alle Kreativität getötet. Der Markt ist keine Spielwiese für die Talentierten. Eher wirkt er wie ein sauber gejätetes Fußballfeld, in der die Mannschaften auf ein Endergebnis hin geschmiert wurden. Für das Publikum ist die Partie oft auch wenig spannend. Die Kritik am Stil der neuen jungen Medien ist heute allgegenwärtig.
Das Gros der Journalisten und Autorinnen wirkt wenig selbstbewusst. Sie wüten zwar über alles und jeden; produzieren unzählige Rants über die AfD und die Liebe der Deutschen zu Bargeld. Nur über die eigene Branche wird nichts erzählt. Wo ist sie, die junge Welle der Schreibzunft, die mal etwas wagt, die durch ihren originellen Stil auffällt; die die Suppe des Journalismus nicht nur würzt, sondern vernichtende Lava daraus macht?
Sicher, journalistische Standards sind wichtig, sie begründen das Fundament der Arbeit. Nicht jeder informierende Text muss dem einer Juli Zeh gleichen. Aber es gibt eben noch Platz für so viel anderes. Wo er zu finden wäre, herrscht oftmals Leere.
In den Redaktionen geschieht das täglich. Texte werden dahin redigiert, dass sie sich die sich aus einem Guss lesen lassen. Autorin Bianca Jankovska schreibt darüber eindrücklich in einem Gastbeitrag. Sie erzählt, wie sie selbst in einem schieren Redigierstrudel einer großen Wiener Wochenzeitschrift wiederfindet: „Wenn in einen stilistisch an sich inhärenten, gut formulierten und pointierten Text Fehler und Floskeln eingebaut werden, frage ich mich schon, warum ich mir überhaupt die Mühe gemacht habe, den Text zu verfassen – wenn ihn jemand anderes doch scheinbar schon im Kopf hatte?“
Sicher ist der hauseigene Duktus bisweilen entscheidend. So schaffen sich die Redaktionen ihre geliebte Konsistenz, ihre ganz eigene Wagenburg. Bahnbrechendes entsteht dabei allerdings nicht.
Bekannt dazu geworden ist der Fall des Journalisten Christian Jungblut, der vor Gericht einklagen wollte, dass die GEO-Redaktion seinen Text nicht beliebig redigieren und daraufhin drucken durfte, wie sie es wollte. Die letzte Instanz hielt er aus Angst vor finanziellen Engpässen nicht durch, es kam zu einem Vergleich. Und warum kämpfen wir nicht weiter?
Ich bin ja selbst schuldig geworden. Viel zu oft habe ich schweigend Änderungen angenommen, obwohl ich wusste, dass zumindest handwerklich gut war, was ich geliefert hatte. Ich habe viel zu oft guten Willen gezeigt, als Anwältin der Redaktionen geredet; ihr objektiver Blick auf mein Werk erschien mir von großer Bedeutung. Aber egal, wie viel Erfolge ich einfuhr, ich hatte stets das Gefühl, dass ich vor der ersten Stufe der Karriereleiter liegen bleibe, auf die ich gefühlt so viele Treppen aufgestiegen war. Heute werden eben Ideen als Produkte eingekauft, nicht der Stil oder das Gesamtwerk der Autorinnen.
Die Vehemenz, mit der die Texte in Zeiten des Onlinemediums nach einem stupiden Duktus formuliert werden sollen und in der notwendige Komplexität immer mehr tumber Leichtverständlichkeit anheimfällt, ist bemerkenswert. Sie nimmt mir die Lust am Medium, am Schreiben, am Geldverdienen. Und sie berührt mich, weil der Respekt vor dem Text dem Willen der Redaktion gebeugt wird, weil sie sich anmaßt zu verstehen, was die klickende Masse will. Publikationen, die mir wiederum kreative Freiheit versprechen, aber dafür nicht mal eine Zigarettenschachtel bezahlen wollen? Können mir gestohlen bleiben.
Diejenigen, die alles Eigene so dreist im Keim ersticken wollen, haben es nicht verdient von uns, die dieses produzieren, geschützt zu werden. Nicht nur BILD ist unser Feind, sondern der Feind liegt in unserem eigenen Blatt. Wir müssen unseren Fokus darauf richten, um gemeinsam eine Kultur der Qualität zu erschaffen. Texte zurückziehen, notfalls Verbindungen zu Redaktionen abbrechen. Wir sind es, die am längeren Hebel sitzen. Wir haben uns weitergebildet; wir arbeiten mit Worten und wissen diese einzusetzen. Die Chefredaktionen sind es, die Angst vor uns haben sollten. Nicht umgekehrt.
Text: Laura Nunziante