Claudia Rorarius filmt Ken Stringfellow

Imitations of Life

Was passiert, wenn einem erfolgreichen Rocksänger während einer Tournee die Stimme wegbricht? Die Berliner Regisseurin Claudia Rorarius will es herausfinden und setzt für “Ken – The Movie”  nicht nur auf die Filmförderung, sondern vor allem auf die Crowdfinanzierung, in erster Linie durch die Fans ihres Hauptdarstellers Ken Stringfellow.

Ein Beitrag von Ralf Krämer. 

In seiner Rolle als Sänger, Gitarrist und Gründungsmitglied der Power-Pop-Veteranen The Posies kann man Ken Stringfellow beobachten, wie er mit seinem lärmenden Instrument eins wird, sich mit jedem Akkord in eine neue Richtung zu werfen scheint. Er verrichtet höchst schweißtreibende Arbeit auf der Bühne, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch jetzt wieder, in diesem Moment. Denn der bald 47jährige gibt aktuell wieder jede Menge Posies-Konzerte. Stringfellow und Jon Auer, sein Band-Buddy der ersten Stunde, haben sich seit  2000 in einen entspannten Rhythmus eingegroovt, nach dem exakt alle fünf Jahre auf ein neues Album auch die standesgemäße Tour durch die USA und Europa führt. „Solid States“, das mittlerweile achte Studioalbum der Posies, erschien vor wenigen Monaten, Ende April. Als wäre das nicht genug, tourt Stringfellow parallel solo, mit Big Star Third und als Sänger mit dem einstigen Ramones-Drummer Marky Ramone.

Es fällt nicht ganz leicht, sich bei einem Posies-Auftritt vorzustellen, dass die natural born Rampensau Ken Stringfellow sich auch umstandslos in die zweite Reihe zurücktreten kann, prominentester Weise als langjähriges assoziiertes Mitglied von Big Star und R.E.M. Denn auch außerhalb von Band-Kontexten weiß er die Bühne für sich einzunehmen – allein mit einer akustischen Gitarre und unverminderter Intensität, einer eher nach innen gerichteter Energie, die aber auch im kleinen Rahmen aus sich herausbrechen kann. Bei einem solchen Club-Konzert in Köln, sind sich Stringfellow und die damals noch in Köln lebende Berliner Filmemacherin Claudia Rorarius zum ersten Mal begegnet. Der Musiker holte sie spontan während des Konzertes auf die Bühne, wohl eine von Stringfellow gelegentlich praktizierte Mischung aus Publikumskontakt und Stand-Up-Improvisation.

Nur ahnte er da wohl nicht, dass auch Rorarius’ Arbeit von einer besonderen Beziehung zwischen ihr und ihren Protagonisten geprägt ist, die gleichsam auf Respekt, Neugierde und gemeinsamer Bereitschaft zum Experiment beruht. Schon ihren Portraits von so unterschiedliche Musikern wie Lemmy Kilmister, Karl Bartos oder Erlend Øye, die sie als langjährige Fotografin (unter anderen für Spex oder Wire) inszenierte, merkt man an, dass da eine hinter der Kamera stand, die sich zwar auf ihr Gegenüber einlässt, dabei aber genau weiß, was sie will. Diese Portraits macht Rorarius in der Regel immer noch mit analogem Film – da wird jeder Klick mit dem Auslöser zum Statement, zum Ausdruck einer künstlerischen Entscheidung.

Aktuell bereitet Rorarius, nach etlichen Musikvideos, Kurz- und Dokumentarfilmen und ihrem Spielfilmdebüt „Chi l’ha visto – Wo bist Du“, mit denen sie weltweit auf Festivals eingeladen worden war, gleich drei neue Spielfilme vor. Doch weil der Modus Operandi des deutschen Filmfördersystems einem rasch mal einige Monate Pause zwischen fertigem Drehbuch und beginnender Produktion verordnen kann, nutzt sie die Chance, um ein lang geplantes Lieblingsprojekt umzusetzen: „Ken – The Movie“, gemeinsam mit Ken Stringfellow. Das Besondere an ihm dürfte weniger sein, dass hier eine Regisseurin genau weiß, wie sich Musiker inszenieren und inszeniert werden wollen – auch wenn dieses Wissen durchaus hilfreich sein kann, um Fallstricke der selbstbespiegelnden Eitelkeit zu umgehen. Wesentlich ist auch nicht die Tatsache, dass der Musiker Stringfellow hier als Schauspieler agiert, sondern das Setting dafür: Der von Ken Stringfellow gespielte US-amerikanische Musiker Ken tour nach Jahren erstmals wieder in den USA, als er mitten während eines Konzerts seine Stimme verliert. Kurz entschlossen begibt er sich auf die Suche nach den Spuren seiner Familien somit auf eine Reise in die eigene Vergangenheit.

Der Schauspieler Stringfellow muss sich hierfür in ein Spannungsfeld aus Selbstinszenierung und Authentizität begeben, seine Rolle in der Öffentlichkeit und seine persönlichsten Empfindungen ausbalancieren. Diese Gradwanderung zwischen Inszenierung und Improvisation, zwischen Fiktionalem und dokumentarischem Erzählen ist nicht zuletzt die künstlerische Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die strikte Trennung der beiden Formen keinem genaueren, kritischen Einblick in die dahinterstehenden künstlerischen Prozesse standhält.

In dem Sinne arbeiteten ansonsten eher Mockumentarys wie „I’m Still Here“ mit Joaquin Phoenix oder auch „Fraktus“, die freilich vor allem satirische beziehungsweise humoristische Enttarnungs-Strategien verfolgen, während jemand wie Alexander Kluge mit seinen Formaten, die erklärtermaßen „Facts und Fakes“ mischen, vor allem weitere Reflexionsräume für die kollektive Erinnerung öffnet. Rorarius steht jedoch mit beiden Beinen in der Gegenwart und sagt: „Kunst und Leben!” – eben weil sie einerseits an einem genauem Inszenierungswillen interessiert ist und andererseits  den aufmerksamen Blick für das nicht verliert, was sich ihrem Inszenierungswillen entzieht, was unmittelbar mit und im Protagonisten vor ihrer Kamera entsteht.

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Claudia Rorarius (©Soquietfilms)

Mit ihrer offene und experimentale Art der Inszenierung hat Claudia Rorarius bereits in „Chi l’ha visto“ eine außergewöhnliche Intensität erreicht. Es geht nicht darum, am Schreibtisch entworfene Szenen mit Leben zu erfüllen, sondern das Leben in den Rahmen eines fiktiven Films zu bannen. Ein Prozess, in dem Unvorhergesehenes eine ungleich größere Rolle spielt, als es im Rahmen einer herkömmliche Filmproduktion – und speziell innerhalb des deutschen Filmfördersystems möglich wäre, das in der Regel eine exakte Planung und theoretische Ausformulierung der eigenen Visionen in Pitchings, Exposés und Drehbuchfassungen erfordert. Daher setzen auch Rorarius und Stringfellow darauf, mit einer derzeit laufenden Kampagne auf der internationalen Crowdfundingplattform Indiegogo, zumindest ihre Anschubfinanzierung zu ermöglichen – im Tausch gegen die sogenannten Perks, spezielle Prämien, aus denen der geneigte Funder zum Beispiel ein „Shout Out“ via Twitter wählen kann (für 10 US $), oder zwei Studiotage mit Ken Stringfellow (für 1.999 US $).

Auch wenn sich einmal mehr zeigt, dass das seit Jahren viel gehypte Tool des Crowdfundings alles andere als ein Selbstläufer ist – selbst die offizielle Empfehlung der Kampagne auf der R.E.M.-facebook-Seite ergab zwar binnen Sekunden über 200 Likes, aber eher überschaubare Resonanz auf Indiegogo – die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich die Mühen der Ebene auch in der Welt der viralen Filmfinanzierung letztlich lohnen werden. Schließlich hat es Rorarius vor fünf Jahren auch mittels einer Crowdfunding-Kampagne geschafft, den deutschen Kinostart von „Chi l’ha visto“ zu finanzieren. Und einen Film, wie „Ken – The Movie“ hat es schließlich viel zu lange – genau genommen noch gar nicht gegeben. Er könnte als Referenzprojekt herhalten, damit auch in Zukunft– sogar im deutschen Kino – Dinge möglich werden, von denen man sich noch nie zuvor ein Bild gemacht hat.

Dich reizt das Leben als Filmproduzent? Dann bist du nur noch einen Click von der Realisierung entfernt: Ken the Movie.

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