Sara Glojnarić: „Für mich ist der Sound nicht nur ein akustisches Signal”
Der Familienlegende im Hause Glojnarić nach äußerte die dreijährige Sara bereits den Wunsch, Komponistin zu werden. Zumindest erzählt ihre Mutter die Geschichte so. Unwahrscheinlich klingt sie keineswegs, kommt Sara Glojnarić doch aus einer Vorzeige-Künstler:innen-Familie: der Großvater der 1991 in Zagreb (Kroatien) geborenen Komponistin war Dirigent, Schlagzeuger und Mitglied des Zagreb Jazz Quartetts, dem zu Zeiten des Kalten Kriegs das Kunststück gelang gleichermaßen in den USA und Russland zu touren; ihre Großmutter war Balletttänzerin; und ihr Vater Opernsänger.
Sara Glojnarić führt bei unserem Treffen in Ihrer Stuttgarter Wohnung Anfang Januar 2023 aus, dass ihre Eltern starken Einfluss auf ihre musikalische Biographie hatten. “Meine Mutter war immer dabei und gab mir enorme emotionale Unterstützung und wertvolle professionelle Tipps. „Mein Vater hat sich super viel Zeit genommen und stundenlang Musik mit mir gehört.“ Die Einflusslinie dieser frühen Musiksozialisation hält bis heute an, betont sie. „Viele Einflüsse und Quellen meiner Kompositionen stammen aus dieser Zeit. Mein Vater hat meinen Geschmack total geprägt, hat mich dafür sensibilisiert, meinen musikalischen Horizont offen zu halten.“
Lange Zeit wollte Sara Glojnarić Pianistin werden – bis sie mit 16 sich aber eingestehen musste, dass ihr die Interpretation allein zu wenig Spielraum für ihre künstlerische Kreativität gibt, es zog sie hin zum Schreiben eigener Werke. Ebenso intuitiv war ihr früh klar, dass Oper und klassische Musik zu eng sind, um ihre eigene Soundvision zu beherbergen. Die Neue Musik lockte mit „punkigeren“ Möglichkeitsräumen, wobei Glojnarić im Gespräch sofort nachschiebt, dass man das natürlich relativ sehen müsse und „Neue Musik letztlich auch oft so alt ist wie das klassische Repertoire und nur etwas schräger klingt.“
Nichtdestotrotz war es die Neue Musik, die sie auf der Suche nach neuer Inspiration nach Stuttgart lockte. Angeregt von ihrem ehemaligen Kompositionsprofessor Davorin Kempf in Zagreb, der selbst an der HMDK Stuttgart studiert hatte (die einen Erasmus Austausch mit der Hochschule Zagreb unterhält), erhoffte sie sich hier ihren klangästhetischen Horizont als Komponistin von falschen Limitierungen zu befreien und offener mit der möglichen Soundpalette zu operieren. Ein Unterfangen, das ihr gelungen ist. In Stuttgart reifte Glojnarić durch das Studium bei Martin Schüttler zu einer mittlerweile viel gefragten Komponistin, deren Werke bei der Edition Juliane Klein verlegt werden.
Trotzdem sollte auch für Sara Glojnarić die Pandemie einen harten Einschnitt bedeuten. Sie hatte zwar mit „Im Stein“ und „Kein Mythos“zu diesem Zeitpunkt zwei Opernprojekte am Laufen, doch fehlte urplötzlich jedes Gefühl für die Zeitachse, eine Unsicherheit, die sich auch auf das Budget auswirkte. Insofern erschien die Möglichkeit, sich auf ein „Neustart Kultur“ Stipendium beim Musikfonds zu bewerben wie ein Deus Ex Machina Geschenk. Zuvor war Glojnarić zwar oft mit den in der Freien Szene angesiedelten Projekten in ihrem Portfolio (wo in Abgrenzung zu Operprojekten das finanzielle Setting eben eher mau aussieht und man auf Zuschüsse sehr angewiesen ist) Teil von Anträgen gewesen, hatte aber nie selbst einen gestellt. „Doch jetzt, wo viele Uraufführungen abgesagt waren“ nahm sie sofort die Chance wahr, zumal „die Antragstellung super easy war“, wie sie anmerkt. So konnte Glojnarić an den beiden Opern weiterarbeiten, als ob die Uraufführungen wie geplant stattfinden würden.
Sara Glojnarić: “Sugarcoating #4” für Orchester (Deutsche Erstaufführung) – ab 18.55 min
weitere Werke: Matana Roberts: “Elegy for Tyre: “Welcome to the World through my eyes” / Clara Iannotta: “where the dark earth bends” / Éliane Radigue & Carol Robinson:
“Occam Océan Cinquanta”
„Kein Mythos“
Die Idee zu „Kein Mythos“ geht auf einen von der Deutschen Oper Berlin alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Hanns Eisler ausgeschriebenen Wettbewerb zurück. Gesucht werden drei Komponist:innen, die eine Kammeroper für das Haus schreiben. Glojnarić hatte 2019 die Ausschreibung gewonnen und war somit inmitten des Arbeitsprozesses – in der Regel dauert es circa zwei Jahre ein Stück zu entwickeln und auf die Bühne zu bringen.
Auch wenn man als Außenstehender es nicht unbedingt erwarten würde, so beginnt der Arbeitsprozess an einer Oper zumeist mit dem Text. „Da ich bislang noch nie eine Story gesehen habe im Opernmilieu, die sich auf irgendeine Art und Weise mit queeren Geschichten beschäftigt, dachte ich, das sei eine tolle Gelegenheit diesen Raum hierfür zu nutzen“, gewährt Glojnarić Einblick in die Genese von „Kein Mythos“. Der Text zu dem Stück, oder das Libretto wie es im Opernkontext richtig heißt, stammt von Dorian Brunz. Er erzählt die fiktionale Geschichte von zwei Frauen, die sich in der DDR verlieben, da jedoch eine von ihnen minderjährig ist – was nach der damaligen Gesetzeslage nicht erlaubt war –, hatte diese Liebe keine Chance. „Im Stück sehen wir diese beiden Frauen 30 Jahre später auf einem Flughafen“, führt Glojnarić aus. „Eine sieht die andere – doch wir wissen nicht, ob diese sie auch sieht. Die ganze Story passiert innerhalb eines drei-sekündigen Blickaustausches der beiden Frauen. Die Pointe: auch queere Liebesgeschichten sind nicht nur tragisch. Es gibt sehr viele Umstände, die einer Liebe ihren Raum verwehrt – in diesem Fall gesetzliche, eine homophobe Gesellschaft, die es schlichtweg nicht erlaubt –, aber das Leben geht auch für die Frauen weiter!“
Das sei zwar nicht schön, aber letztlich genauso romantisch-tragisch wie bei allen anderen Beziehungen, die Menschen unterhalten, ergänzt Glojnarić. Es geht darum, eine Geschichte auf die Bühne zu bringen, die aus einer anderen Perspektive als sonst üblich erzählt wird.“
Das klingt nun allerdings alles leichter als es ist. Die Strukturen an den Opernhäusern sind oft nicht nur veraltet und behäbig, sondern geprägt von „Heteronormativität innerhalb des Genres, mangelnder Introspektion und Verantwortlichkeit in Bezug auf Frauenfeindlichkeit, Rassismus und privilegierte Machtstrukturen innerhalb der Szene als Ganzes“, wie sie ausführt.
Glojnarić geht es darum, neue Opern zu entwickeln, die sich der „Schönheiten der Oper bewusst sind, aber „sorgsamer mit ihren Tropen umgehen und so eine andere, genreübergreifende, intersektional-feministische und antirassistische Version davon anbieten.“ Sie betont, dass es keinen anderen Weg gibt, um die Oper ins Heute zu bringen, als die Strukturen grundlegend zu ändern.„Die Oper muss holistischer werden, ganzheitlicher, es gilt ein gesünderes Wesen zu kultivieren, so dass der interne und externe Diskussionsprozess auf einem gewissen Niveau startet und nicht eigentlich selbstverständliche Verhaltensweisen noch geklärt werden müssen“, führt Glojnarić weiter aus. Es sei nicht so, dass die Institutionen und Protagonist:innen nicht selbst das Bedürfnis hätten, Veränderungen zu initiieren. Doch der Weg sei eben lang und sehr gewunden. „Es gibt an vielen Häusern in Deutschland Sensibilität für das Thema, es wird also zumindest nicht komplett abgelehnt oder ignoriert. Aber man kämpft innerhalb der Struktur mit so vielen Menschen und Betriebsregeln.
Letztlich muss man also auf drei Ebenen gleichzeitig agieren: es gilt das Haus zu verändern und in diesem Prozess das Personal äußerst sensibel zu überzeugen, es gilt neue Narrative für die Opernstücke zu etablieren, und es gilt das Publikum für diese zu öffnen. Ihr Idealzustand beschreibt die Oper als eine Art Radiosender, „dessen Inhalte von vielen unterschiedlichen Menschen gestaltet und vom Haus gesendet werden.“ Für den Arbeitsprozess an „Kein Mythos“ bedeutete dies, dass die Geschichte von Dorian Brunz allein Sara Glojnarić noch nicht als Nährboden für ihre Komposition ausreichte. Was keine Kritik an der Geschichte sein soll, sondern auf ihre generell sehr Recherche und Vorarbeitsintensive Arbeitsweise verweist, eben da sie die Grundlage darstellt für die Überzeugungsprozesse in das Opernsystem hinein. „Ich brauche immer viel Anlauf und Stoff“, berichtet sie aus ihrem kompositorischen Alltag. Angeregt von einem anderen Opernprojekt mit den apokalyptischen Tänzer*innen, einem Theaterkollektiv aus Stuttgart, für das sie viel mit Menschen über ihre Erfahrungen und Erinnerungen sprach, suchte Glojnarić den Austausch mit queeren Menschen aus der ehemaligen DDR.
„Für mich ist der Sound nicht nur ein akustisches Signal, ein Klang trägt immer sehr viel mehr in sich als nur das, was wir sofort hören“, verbildlicht sie ihre Klangsuche. „Wenn wir beispielsweise einen
Schnipsel eines Synthie-Sounds aus den 80er Jahren hören, so
öffnen sich mit diesem auch Assoziationen für die Zuschauerinnen,
die für Projektionen auf das Stück sorgen.“
„Im Stein“
Der Anstoß zu „Im Stein“ kam von Regisseur Michael v. zur Mühlen, der unbedingt Clemens Meyer Geschichte über die wirtschaftliche Entwicklung der ehemaligen DDR zur Wendezeit aus der Perspektive von Sexarbeiterinnen im Großraum Leipzig / Halle auf die Bühne bringen wollte. „Und da es keine andere Person auf der Welt gibt, die das Buch hätte umwandeln können“, wie Glojnarić betont, verfasste Meyer selbst zusammen mit Johannes Kirsten (mittlerweile Chefdramaturg am Berliner Gorki Theater) das Libretto – wobei Libretto eigentlich zu kurz greift, so Glojnarić. Ein Libretto sei ja zumeist lediglich „Ich liebe dich, du liebst mich, wir sind glücklich – eine dünne Geschichte, in der es um Pathos geht.“ Das Buch von Clemens Meyer sei aber soviel mehr: Ein Kampfgesang. „Das Buch schildert eine heftige Welt. Es ist ein krasser politischer Kommentar über die Entwicklung der ehemaligen DDR nach der Wende, es zeigt, wie der Kapitalismus die Markstrukturen der DDR für immer verändert hat.
Sara Glojnarić stellte die Textvorlage vor die große Frage: „Wie schreibst du da die Musik zu? In dem Buch steht ja schon alles.“ Aber bekanntlich sind Herausforderungen ja genau das, was man braucht, um künstlerisch über sich herauszuwachsen. Im Fall von Glojnarić war es zudem eine große Bestätigung darin, Oper als multidimensionalen Raum zu verstehen, für dessen Ausgestaltung die Ausstattung (Bühnenbild, Kostüme) und Videoprojektionen elementar wichtig sind. „Nur mit der Musik hätten wir diese Story nicht erzählen können“, bilanziert sie. „Alles musste zusammenkommen: Alle Wörter, alle Blicke, alle Videos, die gesamte Musik… – nur so konnte es eine Qualität entwickeln, die nicht mit dem Buch zu vergleichen ist.“
Kein einfacher künstlerischer Prozess, weswegen es von immenser Bedeutung sei, dass das Team aus Autor:in, Komponist:in, Regisseur:in, Klangregisseur:in und Ausstatter:in eng vernetzt agiert und quasi permanent im Austausch ist. “Die Zusammenarbeit ist der Schlüssel für eine interessante Produktion”, betont Glojnarić. ”Wobei ich die Schwierigkeit verstehe, die es für ein Haus bedeutet, ein großes Projekt mit Hunderten von Menschen zu organisieren und dafür zu sorgen, dass das gesamte Material rechtzeitig da ist, und die künstlerische Arbeit, die oft im Widerspruch zu den organisatorischen Abläufen eines solchen großen Projekts steht, vorallem, wenn an der künstlerischen Arbeit mehrere Personen beteiligt sind, in Einklang zu bringen.”
Bei „Im Stein“, das ab 2021 an der Oper Halle produziert wurde, kam erschwerend hinzu, dass die Arbeitsbedingungen alles andere als optimal waren. Lange Zeit wusste das Team nicht, ob das Stück letztlich wie geplant auf die Bühne gebracht werden kann – und letztlich war dies auch nicht der Fall: drei Monate vor der eigentlichen Premiere musste ein neues Konzept entwickelt werden, mit dem Ergebnis, dass ein Opernfilm produziert wurde. Ein Film, der, wie Glojnarić stolz erzählt, sogar für den renommierten Faust Preis nominiert wurde, also bundesweit große Aufmerksamkeit bekam.
In einem anderen musikalischen Milieu
Glojnarić argumentiert für eine Öffnung zu einer genreübergreifenden Oper, um die Vielfalt der zeitgenössischen musikalischen Positionen und damit verknüpften Ästhetik wiederzuspiegeln. Da seien für ihre Werke Materialquellen von großer Bedeutung, auch wenn sie nicht als direktes Zitat auftauchen, sondern eher verborgen mitschwingen. Wenn man diesen Weg nicht ginge, könne man schlichtweg die Oper nicht wieder für mehr Menschen zugänglich machen.“
In der Tat ist es aktuell so, dass Sänger:innen aus dem Avantgarde und Popkontext wie Diamanda Galás und Anohni eher mit ihren Opernhaften Songs ein größeres Publikum finden als die Opernsängerinnen selbst, die für diese oft als Klangreferenzen dienen.
Wir kommen auf ihren eigenen Kompositionsprozess zu sprechen. „Wenn die Leute Komponieren hören, denken sie zumeist an einen alten, weißen Mann, der auf dem Klavier komponiert“, merkt Glojnarić abwinkend an. „Bei mir ist nicht der Fall, ich arbeite viel mit Synthesizern, schreibe meine eigenen Algorithmen und Patches, die dann bestimmte Klänge erzeugen. Dafür reicht mir dieses Instrument nicht mehr, das 300 Jahre alt ist. Ich arbeite unter anderem mit Ableton und Premiere.“
Zwischen Post-Jugoslawien & der DDR
Gegen Ende unseres Gesprächs möchte ich von Sara Glojnarić wissen, ob ihre eigene Herkunft aus Kroatien, das einst Teil von Jugoslawien war, etwas damit zu tun hat, dass es sie zu Texten und Stücken zieht, die sich sowohl mit Fragen der queeren Identität und der politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen in der DDR vor und nach dem Mauerfall auseinandersetzen? „ Absolut“, antwortet sie ohne großes Nachdenken.„Das hat sicherlich eine Rolle gespielt. Ich konnte mich mit den Erlebnissen der DDR Bürger:innen identifizieren, auch wenn ich selbst nicht jene Zeit dort erlebt habt. Dieses Schmerzen, diese ganz besondere Sehnsucht nach Freiheit, das ist etwas ganz Eigenartiges. Weil du in keinem Gefängnis bist, ist dein Alltag nicht so stark wie im Gefängnis beschränkt – man kann dieses Gefühl nicht so gut beschreiben, ich wollte es aber in beide Stücke einbringen, weil es ein großer Motor war für die Veränderungen, die in beiden Ländern stattgefunden haben.“
Neben den vergleichbaren Erfahrungswelten – Jugoslawien und die DDR eint, dass es diese Staaten nicht mehr gibt –, sei es wichtig gewesen, dass sowohl Dorian Brunz als auch Clemens Meyer selbst aus der DDR kommen, sie also sehr nah an ihren Geschichten dran leben; und auch Glojnarić Partnerin stammt aus der ehemaligen DDR und hat noch heute Familie in Leipzig, was unter anderem den Ausschlag gab, dass sie Ende Januar nach Leipzig umziehen.
Für Sara Glojnarić der Beginn eines neuen aufregenden Kapitels. Sie habe nie gedacht, dass „Stuttgart meine Endstation ist“, kommentiert sie, dazu sei die Stadt schlichtweg zu eng, „aber ich empfinde große Dankbarkeit für all die Möglichkeiten zu wachsen, die die Stadt mir geboten hat.“ Der Abschied sei gewiss keiner für immer, dafür sorgen schon diverse berufliche und freundschaftliche Verbindungen. In Leipzig hingegen lebe nicht nur die Familie ihrer Partnerin, die Stadt reize sie auch künstlerisch, man spüre, dass dort viel geht – „und davon will ich Teil sein.“
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Dieser Beitrag ist originär im Rahmen der Dokumentation des MUSIKFONDS NEUSTART KULTUR STIPENDIENPROGRAMM (STIP) (2020 /2021) für den Musikfonds entstanden.
Die Stipendien eröffneten professionellen, freischaffenden Künstler:innen der aktuellen Musikszene die Möglichkeit, neue Arbeitsvorhaben umzusetzen. Dazu konnten beispielsweise Kompositionsvorhaben, die Entwicklung von Konzepten und/oder alternativen bzw. digitalen Formaten oder auch die Weiterentwicklung der individuellen Klangsprache zählen. Die Stipendien honorierten herausragende künstlerische Leistungen, die zum Erhalt der musikalischen Vielfalt beitragen. Sie gaben Künstler:innen die Möglichkeit, sich trotz stark eingeschränkten beruflichen
Möglichkeiten künstlerisch weiterzuentwickeln und im Beruf tätig zu bleiben.