Interview

Wolfgang Pérez “Ich versuche, dass meine Musik gnadenlos ehrlich ist”

Wolfgang Pérez (Foto: Marisa Eul Bernal)

Mit seinem zweiten Studioalbum “AHORA” hat Wolfgang Pérez ein hochemotionales, ebenso experimentelles wie gemütliches Werk geschaffen, das sich musikalisch an seinen spanischen Wurzeln orientiert und auch inhaltlich viel zu bieten hat. Wie diese wirklich besondere Platte zustande kam – und inwiefern Improvisation und Spiritualität dabei eine Rolle gespielt haben –, besprach Pérez im Interview mit Kaput…                 Fotos: Marisa Eul Bernal

In welcher Ausgangssituation befandest du dich, als du mit den Arbeiten an „AHORA“ begonnen hast?

Es war noch gar nicht so lange her, dass mein Debütalbum „Who Cares Who Cares“ fertig war, als ich schon wieder Lust bekam, etwas Neues zu machen – und zwar etwas sehr Gegensätzliches zu meinem Debüt, wo ich mir bewusst keine Grenzen oder strengen Regeln auferlegt habe. Bei dieser neuen Platte wollte ich sowohl klanglich als auch inhaltlich einen relativ strengen Rahmen haben, also hab ich mich diesmal dazu entschieden, für eine für eine ganz klare Besetzung zu schreiben; auch weil das Arrangieren für mich gerade eine neue Passion geworden war. Ich entschied mich dazu, für Cello, Saxofon, Gitarre, Drums und Gesang zu schreiben. Diese Besetzung entstand außerdem, weil ich unbedingt mit ganz bestimmten Musiker*innen arbeiten wollte. Auch wegen Corona habe ich viel in der Isolation musiziert, mich viel mit meinen spanischen Wurzeln befasst und alte spanische Lieder aus dem frühen 20. Jahrhundert gehört.

Nochmal ein kleiner Schritt zurück: Wie würdest du – ganz generell – deine bisherige Geschichte als Musiker beschreiben?

Ich habe immer in Bands gespielt. Es ging mit einer Punkband los, bis das irgendwann eher in eine Indie-Richtung ging. Später kam dann die Band GOLF, mit der ich viel unterwegs war und zwei Alben veröffentlicht habe. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich mich noch tiefer mit Musik beschäftigen möchte. Also hab ich angefangen, Musik und Komposition zu studieren. Irgendwann ist dann ein eigenes Soloprojekt entstanden. Mein erstes Album war soundmäßig noch näher an meiner musikalischen Vergangenheit, bis Stück für Stück neue Interessen und Einflüsse dazukamen.

Damit einher geht ja auch der Wechsel zur spanischen Sprache, der von Album 1 zu Album 2 stattfand. Gibt es konkrete Dinge, die du mit der spanischen Sprache verbindest und auf Deutsch oder Englisch gar nicht ausdrücken könntest?

Wolfgang Pérez (Foto: Marisa Eul Bernal)

Einerseits kam dieser Sprachwechsel einfach, weil ich mich viel mit spanischer Musik beschäftigt habe. Ich habe es aber auch genossen, dass mir die spanische Sprache eine Art Narrenfreiheit gegeben hat: Ich bin zwar Muttersprachler, weil meine Mutter Spanierin ist und wir zuhause teilweise spanisch gesprochen haben, aber ich habe nie dort gelebt uns es war nie meine Alltagssprache, sodass mein Spanisch auch nicht perfekt ist. Auch auf dem Album sind ein paar Fehler drin geblieben, weil ich solche Fehler auch zulassen möchte; so wie das eben auch teilweise musikalisch passiert. Ich hatte das Gefühl, dass ich im Spanischen weniger Angst davor hatte, direkt zu sein. Auf dieser Platte habe ich angefangen, eine poetische Sprache für mich zu entdecken – oder mich daran zu versuchen – und ich habe halt die Ausrede, dass es nur spanisch ist und ich das ja nicht richtig kann [lacht]. Das ist bei vielen Elementen auf dieser Platte so: Arrangement, Sprache – und auch bei der Art und Weise, Gitarre zu spielen.

Der Albumtitel „AHORA“ ist ja das spanische Wort für Jetzt, wodurch gewissermaßen Improvisation suggeriert wird. Wie viel Improvisation steckt in dieser Platte?

Relativ viel! Es gibt immer wieder Stellen, wo Improvisationsparts auftauchen. Es gibt auch ein Lied, das einfach „Sketch #1“ heißt und ausschließlich aus Improvisation besteht. Ich hab mir dafür nur ein alternatives Gitarren-Tuning abgeguckt, was ich total schön fand, und damit rumgespielt. Das habe ich dann – ohne dass wir das vorher geprobt haben – einfach in die Sessions mitgebracht, und wir haben dazu improvisiert. Die ganze Art und Weise, wie die Arrangements entstanden sind, war also teilweise improvisiert: Häufig gab’s zwar schon eine Melodie, aber noch kein ausgearbeitetes Arrangement. Ich habe alles aufgenommen und mir diese Improvisationen später angehört – und daraus dann die eigentlichen Arrangements gebaut.

Ich höre das Album als Reise mit einem klaren Anfang und einem klaren Ende. Sowohl inhaltlich als auch musikalisch ist es am Anfang noch schwieriger, sich zurechtzufinden, bis am Ende alles geordneter wirkt. In einem der ersten Songs beschreibst du Leid noch als integralen Teil deines Lebens, doch am Ende singst du dann davon, dass du die Augen öffnest und deinen Weg weitergehst. Wie würdest du diese Reise in eigenen Worten beschreiben?

Wolfgang Pérez (Foto: Marisa Eul Bernal)

Die Heilung ist für mich schon immer eine tolle Funktion – oder Möglichkeit – von Musik gewesen. Ich versuche, dass meine Musik so gnadenlos ehrlich ist, dass man darüber etwas herausfinden kann und sich darüber heilen kann; in irgendeiner Form. Mir ging es immer schon darum, mich in meiner Musik selber angreifbar und verletzlich zu machen, um dabei etwas zu lernen. Es gibt Seiten in mir, die extrem introvertiert und ängstlich sind, doch es gibt auch Teile in mir, die total nach außen gekehrt sind. Es geht darum, aus einem ganz ehrlichen, kompromisslosen Blick nach innen etwas zu ziehen – und das dann in die Welt rauszutragen.

Inwiefern spielt Spiritualität eine Rolle für dich und deine Musik?

Ich hab eine Zeit lang in Brasilien gelebt, dort spielt Spiritualität eine extrem große Rolle in der Musik; das hat mich wahnsinnig inspiriert. Ich habe einfach gemerkt, dass es dort in der Popkultur eine gewisse Tiefe gibt und die Dinge für jeden Menschen eine Bedeutung haben. Das ist etwas, was ich auch in meiner Arbeit suchen möchte.

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