Die Zimmermänner / Skafighter – Interview

Zimmermänner ist wie Urlaub

Christian Kellersmann, Detlef Diederichsen, Timo Blunck aka Die Zimmermänner


Bevor Timo Blunck und Detlef Diederichsen Die Zimmermänner ins Leben riefen und grandios-rätselhafte Songs wie „Ich werde in der Sonne immer dicker“ (1982) veröffentlichten, gab es Skafighter: Eine Hamburger Schülerband, die begeistert auf der aus England kommenden 2Tone-Ska-Revival-Welle ritt. Skafighter spielten nur auf Partys und Schulfesten – bei einer dieser Gelegenheiten wurden sie von Alfred Hilsberg entdeckt, der mit ihnen eine EP auf seinem legendären ZickZack-Label herausbrachte. Allerdings hieß die Band da schon nicht mehr Skafighter, sondern Ede & Die Zimmermänner (nach Eduard „Ede“ Zimmermann/Aktenzeichen XY ungelöst). „Ede“ verschwand bald aus dem Namen, und Ska aus der Musik – Die Zimmermänner machen (immer mal wieder) weiter, bis heute: Auf ihrem neuen Album beleben sie die alten Skafighter-Songs wieder, beziehungsweise präsentieren Blunck, Diederichsen und Christian Kellersmann ein Album, das 1980 nicht aufgenommen wurde und heute natürlich anders klingt, als es damals hätte klingen können. Und gehen sogar auf Tour – lest hier das Interview mit Timo Blunck.

 


Das letzte reguläre Zimmermänner-Album “Ein Hund namens Arbeit” erschien 2014, danach zwei üppige Compilations – wie kommt es zur jetzigen Reunion der Zimmermänner?

Timo Blunck: Die Zimmermänner sind ja in dem Sinne keine Band. Wir folgen keinem Release-Schedule, haben keine Strategy-Meetings und erst recht keine Marketing-Workshops. Wir sind keine Brand, wir sind ein lockerer Verbund von Freunden, in deren Mitte Detlef Diederichsen und ich stehen. Detlef oder ›Ewald‹, wie wir ihn alle nennen (nach Ewald Braunsteiner, seinem Pseudonym zu Sounds-Zeiten. Da war sein Bruder Diedrich Chefredakteur und mit dem Namen wollte man einem möglichen Nepotismus-Vorwurf vorbeugen) ist mein bester Freund seit 1978. Deshalb ist Musikmachen mit ihm genauso Teil meines Lebens wie meine Kinder oder meine Hood St. Georg in Hamburg. Also empfinde ich eine neue Platte nie als Reunion.

Wie hält man sich selbst und die anderen bei Laune bzw. kommt immer wieder auf die Zimmermänner zurück? Schließlich seid ihr ja alle anderweitig eingebunden – oder stellt sich diese Frage nicht?

Die Zimmermänner sind Ewalds und meine musikalische Heimat. Zwar haben wir beide auch anderweitig Musik gemacht, aber es hat nur in dieser Kombination so langfristig funktioniert. Das liegt daran, dass wir sehr viel Respekt voreinander haben. Nicht nur menschlich, sondern auch inhaltlich. Wir sind als Songschreiber und Texter einander ebenbürtig, was ich ihm als praktischer Musiker und Produzent voraushabe, gleicht er durch musiktheoretisches und literarisches Wissen aus. Er ist der Stratege, ich der Macher. Wir halten uns bei Laune, weil wir einen beinahe identischen Humor haben. Ich lache mit niemandem so wie mit Ewald, und dieser Spaß überträgt sich auch auf unsere restlichen Kollaborateure wie zum Beispiel Christian Kellersmann oder Frank Schmiechen. Zimmermänner ist wie Urlaub. Den wir erst recht brauchen, weil wir sonst so eingespannt sind.

Wie ist die Dynamik zwischen euch? Gibt es feste Rollen (in Bezug auf Texte / Musik / Arrangements), oder wechselt ihr ab?

Jeder von uns komponiert, textet und arrangiert seine Songs. Manchmal schreiben wir zusammen, aber das kommt eher selten vor. Ewald ist oft derjenige, der das allgemeine Motto für eine Platte ausgibt, er hatte auch die Idee für »Die Zimmermänner spielen Skafighter«.
Ich bin schneller und schreibe ungefähr dreimal so viele Songs wie er, deshalb gibt er mir manchmal Ideen und Titel für einzelne Lieder, die er nicht schafft. Ich produziere und mische, spiele einen Großteil der Instrumente und bin für die allgemeine Organisation der Produktion zuständig. Ich leite auch die Live-Band und kümmere mich um alles Finanzielle und Praktische. Ewald dealt mit der Plattenfirma, schreibt die Liner Notes oder ähnliches und gibt die meisten Interviews.
Unser Saxofonist und Flötist Christian Kellersmann, oder ›Pork‹, wie wir ihn alle nennen (der als Chef von Modern Recordings ein Record-Industry-Profi ist) kümmert sich neuerdings um Promo und Remixe – da kommt ein sehr toller von Matthew Herbert, Pork plant eine Remix-EP. Zur Zeit hat Ewald am meisten Zeit, weil er nicht mehr stellvertretender Intendant des Hauses der Kulturen der Welt ist, da fällt ein bisschen mehr auf ihn, also übernimmt er auch mal meinen Krams – er hat zum Beispiel gerade eine großartige Sendung mit Klaus Walter im WDR zum Thema ›KI im Musikjournalismus‹ am Beispiel der Zimmermänner gemacht und dafür extra einen Song geschrieben und produziert.

Zimmermänner spielen Skafighter ist ja eine Referenz an euch selbst beziehungsweise ein Re-Enactment eurer Anfänge mit der Band – sind es tatsächlich alles alte Stücke, die jetzt zum ersten Mal auf Platte gekommen sind? Oder sind auch neue Kompositionen dabei?

Ja, es ist eine Referenz an uns selbst, ein Re-Enactment unser Anfänge als Skafighter – schön gesagt, darf ich das in Zukunft so zitieren? (Aber sehr gerne! Anm. Christina)
Ewald hat in den Liner Notes zur Platte sehr gut beschrieben*, wie es dazu kam. Es ist tatsächlich nur eine neue Komposition dabei, und das ist »Junge Rümpfe«. Der Rest fällt in drei Kategorien:

A. Songs, die wir als Skafighter gespielt haben, die dann aber nicht ins Zimmermänner-Repertoire einflossen. Von diesen Songs gibt es keine Aufzeichnungen, wir mussten uns an sie erinnern. Was uns nicht mehr einfiel, haben wir uns neu ausgedacht, aber im Stil der Originale. Dies sind die meisten von Ewalds Liedern, denn er schrieb damals fast alle Songs und hat die beste Erinnerung.
Beispiele: »Lieselotte« oder »Eberhard Karolczak«.

B. Songs, die wir als Zimmermänner weitergespielt gespielt haben, aber dann als Pop-Songs. Die sind in ihrem Original-Arrangement auf der Platte, natürlich ebenfalls re-imagined, denn auch da gibt es nichts auf Tape.
Beispiele: »Stefan und Kai-Uwe« und »Von Wedel bis nach Jericho«.

C. Songs, deren Musik aus den 80ern stammt, für die wir aber neue Texte geschrieben haben. Dies sind hauptsächlich meine Lieder, ich habe versucht mich in mein 17- bis 19-jähriges Selbst zurückzuversetzen.
Beispiele: »Blues ist, wenn es regnet« und »Liebe zwecklos«.

Hattet ihr bestimmte Vorbilder, Ska-Lieblingsmusiker:innen? Wolltet ihr die deutschen Specials sein?

Während der großen 2Tone-Welle Anfang der 80er waren wir riesige Madness-, The Specials- und The Selecter-Fans, liebten aber auch die 60ies-Ska-Originale aus Jamaica. Wir haben zusätzlich viel Reggae gehört, zum Beispiel Linton Kwesi Johnson. Wir sind sogar wie Rude Boys rumgelaufen, mit Hochwasser-Anzügen, schmalen Schlipsen und Pork Pie Hats. Aber wie jemand anders sein wollten wir nie. Ewald und ich können kaum Songs von anderen Musikern spielen, deshalb sind wir auch keine Party-Knaller, die mal schnell einen Beatles-, Nirwana- oder Oasis-Song zur Wandergitarre singen können. Wir wollten von Anfang an immer unser eigenes Ding machen, deshalb war dann auch schnell Schluss mit Ska. Vor allem aber hat Ska uns zusammengebracht. Wir kamen aus sehr unterschiedlichen Ecken des musikalischen Spektrums, der Sound war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns einigen konnten. Außerdem ist Ska sehr einfach zu spielen, das entsprach unseren damaligen Fähigkeiten.

Wenn man die Tracklist von “Skafighter” anschaut bemerkt man mindestens einen Schwerpunkt, nämlich Songs mit Namen (zum Beispiel Adam und Ewald) – warum singt ihr so gern über Leute?

Wir sind wahrscheinlich die Band mit den meisten Eigennamen im Songtitel aller Zeiten, und zwar weltweit. Ich schreibe ja auch Romane, und verbringe viel Zeit damit, die richtigen Namen für meine Protagonisten zu finden. Ich denke mir immer zuerst meine Charaktere aus und die bestimmen dann die Handlung. Wenn sie nicht richtig heißen, stimmt auch meine Story nicht. So zu texten geht auf diese frühen Zimmermänner-Lieder zurück. Der Protagonist bestimmt die Lyrics, und wenn der in der dritten Person geschrieben ist, heißt dann eben auch das Lied so.
»Eberhard Karolczak« ist ein Junkie, und das funktioniert viel besser, als wenn er anonym bliebe. Er hat sofort mehr Persönlichkeit. Außerdem kann man mit Namen auch Songs in einer bestimmten Zeit verankern, weil heute eben kaum einer Eberhard oder Lieselotte heißt. Wir singen übrigens ab und zu auch über uns selbst – »Adam und Ewald«, »Timo Blunck« oder »Ich heiße Timo«. »Christiane Paul« ist meiner Erinnerung nach der einzige Song, der von einer konkreten Persönlichkeit handelt.

Städte spielen auch eine wichtige Rolle (von Paderborn bis Zürich)… warum?

Eins meiner Zimmermänner-Lieblings-Lieder ist »Letzter Tango in Bad Ems«. Hier wird eine große Liebesgeschichte in einer kleinen Stadt erzählt, und das erzeugt einen besonderen Charme und ist gleichzeitig komisch, ohne eine offensichtliche Pointe haben zu müssen. Gleichzeitig ist das Prinzip automatisch sehr deutsch, denn die von uns besungenen Städte sind meist Provinzmetropolen, siehe Paderborn. Das von dir zitierte »Von Wedel bis nach Jericho« spiegelt die Sehnsucht eines jungen Mannes wieder, aus dem grauen deutschen Vorort in die große weite Welt aufzubrechen, ohne auch nur irgendeine Ahnung zu haben, wie sie aussieht. Er weiß noch nicht mal, wie man die fernen Ortsnamen richtig betont (»JE-ru-sa-LEM«).

In den letzten Jahren ist die deutsche Punkgeschichte in allerlei Werken be- und aufgearbeitet worden, jüngst zum Beispiel von Ulrich Gutmair in “Die Türken von morgen” – fühlt ihr euch gut repräsentiert, beachtet, charakterisiert? Oder haben Die Zimmermänner immer jenseits irgendwelcher Szenen existiert?

Die Zimmermänner waren nie Teil einer Szene. Wir hatten nie eine richtige Kategorie im Sinne von »klingt wie« (Musikexpress). Das hat es uns damals auch so schwer gemacht, einen Plattenvertrag zu bekommen. Wir sind erst nachträglich in den NDW-Topf geworfen worden und da ist jetzt unser Platz in der deutschen Musikgeschichte. Mir ist es aber ziemlich egal, ob ich in den entsprechenden Publikationen (als Punk habe ich mich übrigens noch nie gefühlt) gut repräsentiert, beachtet oder charakterisiert werde. Ich lese die auch nicht. Da geht es ja immer um die Vergangenheit, und die ist mir ziemlich egal. Darum kümmere ich mich, wenn ich tot bin. Ich mache hier und jetzt Musik und habe wenig Interesse, immer über die alten Zeiten zu reden. Ich weiß, das ist mittlerweile ein ordentliches Business, denn die ganzen Boomer haben richtig Kohle. Die hören seitdem sie 33 sind keine neue Musik mehr, aber investieren kräftig weiter in die Bands, denen sie bis dahin gefolgt sind. Auf dieser Welle reiten wir ja auch mit Palais Schaumburg, ich glaube, das erste Album ist schon mindestens zehnmal wiederveröffentlicht worden. Es vergeht kein Jahr, in dem mich nicht irgendein Journalist für ein Buch interviewt, das u.a. Schaumburg zum Thema hat. Leider machen wir keine neue Musik mit dieser nach wie vor tollen Band, sonst hätte ich ein sehr viel besseres Gefühl mit der Truppe auf die Bühne zu gehen. Ich habe echte Probleme, mich mit mir als reiner Nostalgie-Musiker abzufinden. Da ist es manchmal von Vorteil, dass die Zimmermänner nie richtig erfolgreich waren – wir können auch auf die Bühne gehen, ohne unsere größten Hits zu spielen, denn wir hatten nie welche!

Da Kristof Schreuf im Presseinfo zitiert wird: Wie sehr fasst es euch an, wenn Weggefährten (weiß gar nicht, ob ihr das wart) nicht mehr da sind? Denkt man dann, ups, jetzt aber unbedingt noch das machen, was wir vor langer Zeit mal vorhatten? Stichwort Vergänglichkeit…

Dass Kristof gestorben ist, hat mich schwer getroffen. Ich habe ihn relativ spät kennengelernt und gerade in der Zeit vor seinem Tod viel mit ihm zu tun gehabt (ja, er hat mich auch zu Palais Schaumburg interviewt). Ein ganz toller Mensch! Er war ein Jahr jünger als ich, aber Menschen sterben in jedem Alter, die Wahrscheinlichkeit wird nur höher, je länger man auf dem Planeten verweilt. Bei mir hat das Altern dazu geführt, dass ich mit noch größerem Druck kreiere. Die Zeit wird knapp und ich arbeite an meinem Nachlass. Jetzt bitte nicht lachen, denn ich meine es ausnahmsweise mal ernst: Ich bin der festen Überzeugung, dass ich erst nach meinem Tod richtig erfolgreich werde. Ich möchte möglichst viel hinterlassen, das ist testamentarisch mit meinen Söhnen alles geregelt. Ich habe schon ein fertiges Solo-Album und zwei Romane auf Halde. Ich schreibe gerade mein neues Buch, einen autobiographischen Kriminalroman. Den hatte ich wirklich schon seit langer Zeit vor, siehe unser Interview von 2007**. Ich bin irgendwann mal weg, aber ich werde etwas hinterlassen, das viel mehr ist als Immobilien und teure Uhren (habe ich beides nicht), nämlich Kunst, die es für immer geben wird.

Die Zimmermänner gehen auf Tour: Worauf freut ihr euch, was nervt jetzt schon? 🙂

Was jetzt schon nervt, ist Verstärker schleppen. Das ist aber auch meine einzige Klage. Wir bringen die wahrscheinlich beste Zimmermänner-Besetzung aller Zeiten auf die Bühne. Wir haben mit Vincent Golly am Schlagzeug und Falko Harriehausen am Bass eine irre gute Rhythmusgruppe, Frank Schmiechen spielt sehr kompetent Keyboards und Gitarre. Darauf ruhen sich Ewald an der Gitarre und ich an Keys und Gitarre aus. Pork spielt Saxofon und Flöte, er bestimmt ja den Sound des neuen Albums extrem. Außerdem singt Franziska Herrmann neben ihren Parts vom neuen Album die Songs meiner Schwester, wir haben fast alle Rica-Titel im Programm. Am meisten aber freue ich mich auf die Freundschaft, die uns alle verbindet. Wie gesagt, Zimmermänner ist wie Urlaub.

* Linernotes müsst ihr selber nachgucken – und euch das Album bei tapete records besorgen 😊
** Für satt.org hatte cm zur Veröffentlichung von „Fortpflanzungssupermarkt“ (also vor 16 Jahren!) mit Timo Blunck gesprochen: http://www.satt.org/musik/07_03_zimmermann.html


Die Zimmermänner: “Die Zimmermänner spielen Skafighter” (Tapete Records/Indigo, VÖ 26.5.2023)


Die Zimmermänner live:

14.6. Berlin, Badehaus
16.6. Hamburg, Knust
21.6. Frankfurt, Ponyhof
28.6. Schorndorf, Manufaktur
29.6. Düsseldorf, zakk

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