Johann Scheerer im Interview über „The Clouds Hill Tapes Part I, II & III“ von Omar Rodriguez Lopez

Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe – Omar Rodríguez-López im Studio mit Johann Scheerer

Johann Scheerer & Omar Rodriguez Lopez


Den Hamburger Musiker und Produzent Johann Scheerer und den The Mars Volta- und At The Drive-In-Bandleader Omar Rodríguez-López verbindet eine lange Freundschaft. Kennengelernt haben sie sich in den Nullerjahren, seitdem kam es immer wieder zu künstlerischen Zusammenarbeiten. Ende 2019 haben sich die beiden nun in Scheerers Hamburger Clouds Hill Studio getroffen, um sich gemeinsam Omar Rodríguez-López Soloarbeiten der letzten beiden Dekaden vorzunehmen. Das Ergebnis erscheint nun in drei Kapitel unterteilt auf dem an das Studio angegliederten Clouds Hill Label unter dem Titel „The Clouds Hill Tapes Part I, II & III“.

Thomas Venker hat Johann Scheerer über den Aufnahmeprozess befragt. 

Johann, kannst du dich an deine erste Begegnung mit Omar erinnern?
Nachdem Omar und ich uns durch einen gemeinsamen Freund kennen gelernt hatten, meldete er sich bei mir, als er gerade in Europa auf Promo-Tour war. Das ist so eine amerikanische Sache, der Gedankengang, dass man sich bei jemandem in Hamburg meldet, weil man gerade in Europa ist. Da ich gerade eine Aufnahme Session hatte, habe ich ihn dann spontan eingeladen und er hatte Lust zu kommen – nur leider streikte die Deutsche Bahn ausgerechnet an diesem Tag. Ich hab ihm dann tatsächlich eine Taxifahrt von Berlin nach Hamburg und zurück spendiert. Rückblickend sicherlich eine der besten Investitionen meines Lebens.

Was ist das erste, was dir an ihm aufgefallen ist, was du als besonders anziehend empfunden hat? Was hat dich gereizt, ihn näher kennenlernen zu wollen?
Während eben jener Session habe ich ihn dann gebeten ein Gitarrensolo in der Mitte eines Stückes zu spielen. Ich hab das irgendwie vorsichtig formuliert, also eher so nach dem Motto “Bei diesem Stück musste ich an dich denken“ oder so ähnlich. Er hat dann das Stück ein paarmal angehört, aber eben nicht an der offensichtlich für ihn freigelassen Stelle in der Mitte gespielt, sondern ganz spontan nur ein paar einzelne Noten am Ende des Lieds als eine Art Outro. Er hat mir dann noch sehr genaue Anweisungen gegeben, wie ich diese einzelnen Noten Soundästhetisch zu bearbeiten hätte – die einzelnen Noten sollten im Computer zerschnitten und in der gleichen Reihenfolge jede für sich einzeln rückwärts abgespielt werden, dann sollte ein sehr langer Hall drauf, um dann die Noten und die Hall-Fahne gemeinsam wieder umzudrehen, so dass sich die Noten mit dem ursprünglichen Ausklang aufbauten.
Er sagte dann noch, dass der Mittelteil so wie er jetzt ist für ihn viel besser wäre und dass er an der Stelle nicht spielen will. Mir war ehrlich gesagt sofort klar, dass Omar einen sehr eigenen, sehr speziellen Blick auf Musik hat. Er besitzt ein großes Ego und eine große Selbstsicherheit was musikalische Entscheidung anbelangt, er ist aber dazu auch noch sehr stilsicher. Das hat mich beeindruckt. Vor allem aber hat die Zusammenarbeit sofort Spaß gemacht.

Würdest du sagen, dass die Interaktion mit Omar im Studio deinen Erwartungen im Vorfeld entsprach?
Ich könnte mir vorstellen, dass viele, die an Omar denken, sich vorstellen, dass Omar im Studio allen möglichen Klischees entsprechen könnte. Nichts davon ist aber wahr. Eine Tatsache ist, dass er eine sehr klare musikalische Vision hat–  die aber auch durchaus offen ist für Strömungen von außerhalb oder von Meinungen. Man darf aber nicht glauben, dass er sich leicht beeinflussen ließe. Alles was ich musikalisch zu seiner Vision hinzufügen möchte, muss ich sehr gut begründen und argumentieren ansonsten wird er sie früher oder später wieder rückgängig machen. Omar setzt alles daran nicht als Gitarrist wahrgenommen zu werden. Auch das ist ein Charakterzug, den ich sehr mag. Einerseits einer der einflussreichsten Gitarristen seiner Generation zu sein und zeitgleich nicht Gitarrist genannt werden zu wollen. Kommt irgendwie gut.

Nun habt ihr mittlerweile öfters zusammen gearbeitet. Kannst du sagen, ob und was sich über die Jahre verändert hat?
Es gibt dieses Narrativ, dass sich Omar irgendwann vom Diktator zum Demokraten verändert hat. Ich halte das für Quatsch – abgesehen davon kann ich an einem Diktator-dasein in der Musikproduktion nichts schlechtes erkennen. Es braucht jemanden der klare und begründete Entscheidung treffen kann. All das trifft auf Omar zu; natürlich verändert sich seine Rolle je nachdem in welcher Band er spielt. Den Dingen einfach freien Lauf zu lassen, ist aber generell nicht sein Stil. Egal ob es At the Drive-In ist, seine Soloband, er allein oder Bosnian Rainbows, Omar hat immer eine klare Vision und entweder setzt er sich selbst durch oder er hat seine Leute, um sie durchzusetzen. Ich finde das absolut angemessen – und ich bin mir bewusst, dass ich mich glücklich schätzen kann, dass wir seit Jahren eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe etablieren konnten.

Aktuell erscheinen gleich drei Alben von Omar, die du produziert hast, formal streng und klassizistisch „The Clouds Hill Tapes Part I, II & III“ betitelt. In der Summe befinden sich darauf zwanzig Stücke. Wie kam es zu diesem Großprojekt?
Ich hatte Omar 2018 gefragt, ob er nicht mit At the Drive-In in auf dem Clouds Hill Festival spielen wolle. Das hat dann aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt, unter anderem weil die Band noch eine Woche zuvor in Südamerika unterwegs war und alle zu ihren Familien nach Hause wollten, aber auch weil die Band, so glaube ich, grundsätzlich keine Lust mehr hatte viel gemeinsam zu reisen. Sie hatten ja gerade zwei Welttourneen hinter sich gebracht.
Omar selbst hatte allerdings kein Problem damit, alleine direkt aus Südamerika nach Hamburg zu kommen. Also habe ich ihm vorgeschlagen quasi zur Entspannung mit mir gemeinsam etwas aufzunehmen. Was das dann genau werden sollte, war überhaupt noch nicht klar. Omar hat dann sehr schnell eine Band zusammengestellt, mit der er auf dem Festival spielte und direkt am nächsten Tag haben wir mit den Aufnahmen begonnen. Er hatte mir im Vorfeld sieben Stücke geschickt, die wir dann mit der Band gemeinsam aufnahmen. Im Zuge dessen wurde klar, dass er noch mehr Stücke machen wollte. Irgendwann setzte er mich darüber in Kenntnis, dass er einen Pianisten aus Argentinien ein fliegen würde, der dann auch direkt am nächsten Tag auf der Matte stand. Omar erklärte mir, dass er sechs weitere Stücke mit diesen Pianisten in einem sehr reduzierten Set-Up aufnehmen wollte. Schon da war mir klar, dass wir mit den angepeilten fünf Tagen nicht hinkommen würden und wir auch die Nächte hinzu nehmen mussten. Außerdem mussten wir parallel gemeinsam mit Linda und Sebastian, die bei mir im Clouds Hill Studio arbeiten, in den anderen beiden Studios arbeiten, um das Pensum zu schaffen. Am Ende des dritten Tages offenbarte Omar mir, dass es noch sechs weitere Stücke gäbe, die er mit seinem Bruder vor produziert hatte und von denen er möchte, dass ich sie nur zu Ende bringen. Da diese drei sehr unterschiedlichen Blöcke ein merkwürdiges Album ergeben hätten, schlug ich ihm vor ein dreiteiliges Album zu machen. Ich hatte mir gerade das John Coltrane Boxset „The Atlantic Years In Mono“ gekauft und schlug Omar daher kommende den Titel vor, der es nun auch wurde. Tatsächlich haben wir alle 20 Stücke innerhalb von fünf Tagen und Nächten zu dritt in zwei Studios parallel aufgenommen. Er kam dann im Januar noch mal für zweit Tage Gitarren-Aufnahme nach Hamburg – und dann habe ich alles in drei Wochen gemischt. Crazy indeed.


Rein rechnerisch hätten man die drei Alben auch als zwei anlegen können. Ihr habt euch aber für drei entschieden. Kannst du die künstlerischen Austauschprozesse, die zu dieser Gruppierung geführt haben, erläutern?

Naja, Omar ist ein sehr viel beschäftigter Mann –  das schwierigste an der Veröffentlichung war es, den richtigen Zeitpunkt zu finden.Ich wollte mir keine Kampagne ausdenken, bei der wir drei Alben über 18 Monate veröffentlichen. das hätte uns vermutlich beide irgendwie gelangweilt. Außerdem läuft man bei Omar immer Gefahr, dass sich die Projekte gegenseitig Konkurrenz machen. Insofern gefiel mir die Idee, gleich alles als Box zu veröffentlichen. “The Atlantic Years” vs. “5 days at Clouds Hill” … haha.

Die drei Alben sind in gewisser Weise eine Werkschau des Werkzyklus, den Omar in den letzten beiden Dekaden solo vorgelegt hat. Es handelt sich aber nicht um bloße Wiederveröffentlichungen, das Material wurde gemeinsam mit dir quasi neuinterpretiert.
Wie seid ihr da herangegangen? Habt ihr die Songs gemeinsam im Clouds Hill Studio neu arrangiert und angelegt?
Wieviel Rumexperimentieren habt ihr euch erlaubt?
Rum experimentiert habe ich erst beim Mix als ich meine Ruhe hatte. Vorher war es wirklich im wahrsten Sinne des Wortes Kreativarbeit. Omar hatte die Stücke zwar vorher schon einmal veröffentlicht, allerdings war er mit diesen Aufnahmen nie richtig glücklich. Es spielte sicherlich eine große Rolle, dass seine Mutter vor ein paar Jahren gestorben ist und er alle Aufnahmen, die in dieser Zeit passierten, nun in einem gänzlich anderen Licht wahrnahm. Er hat mir mal gesagt, dass er sich die Stücke gar nicht mehr anhören kann, weil er so ein großes Leiden hören kann, wenn er diese alten Aufnahmen hört. Ich glaube, er wollte vor allem diese 20 Stücke so aufnehmen, dass er sie selber irgendwann wieder hören kann.
Was die gemeinsame Arbeit betrifft, kann ich nur sagen dass Oma mir viele viele Freiheiten in der Zusammenarbeit einräumt. Meine Entscheidung war es auch, dass es auf dem zweiten Teil kein Schlagzeug gibt. Es hat zwar zwei Tage gedauert ihn davon zu überzeugen, aber letztendlich hat er sich überzeugen lassen. Das rechne ich ihm natürlich hoch an. Omars Entscheidung zum Beispiel war es, dass der Gesang auf allen drei Alben im absoluten Zentrum steht – man könnte auch sagen, dass er sehr laut ist. Seine Gitarre  hingegen wollte er auf diesen Alben sehr leise; bei mir wiederum hat es etwas länger gedauert, mich davon überzeugen zu lassen, aber wie man hören kann, hat er sich letztendlich durchgesetzt.

 

In einem Post über die Clouds Hill Social Media Kanäle, der sicherlich auf deine Einflüsterungen zurück geht, wurden die Fans von Omar gewarnt, dass die drei Tapes ihnen nicht das präsentieren werden, was sie primär von ihm erwarten? Meinst du sie hadern tatsächlich damit – und warum?
Die Fans von Omar gehören zu den stärksten aber auch aggressivsten Fans, die ich jemals erlebt habe. Sie lieben Omar und hassen jeden der der sich anmaßt innerhalb dieses Liebes-Kosmos eine Rolle zu spielen, die ihnen nicht gefällt. Gleichzeitig sind sie wahnsinnig kritisch, was Omars musikalischen Output betrifft. Im Grunde wünschen sich alle einer Reunion von The Mars Volta – und alles, was davon ablenkt, wird erstmal kritisch beäugt.

Was an den Aufnahmen sofort auffällt ist zunächst die Freiheit, mit der Omar in seinen Songs agiert. Der Sound auf „Part I“ ist super warm, auf eine unprätentiöse Art und Weise jazzig, nicht zuletzt, da eine unangestrengte Internationalität in ihnen angelegt ist – damit meine ich, dass man Einflüsse aus dem Mittleren Osten und Nordafrika zu hören vermutet, aber derart fein eingearbeitet, dass sie mitschwingen und nichts an sich reißen. So bleibt der Sound immer bei sich, aber mit weichen Zäunen, wie man schön sagt. Wie lange habt ihr gebraucht, um euren Sound beziehungsweise die Sounds für das Projekt zu finden?
Die Zusammenarbeit zwischen Omar und mir ist von Natur aus international angelegt. Ich bin ganz klar mit westlicher Rockmusik sozialisiert, Omar hingegen eher mit einer Caribbean Music Infusion mit Punk. Wir treffen uns musikalisch dann wieder bei Kraut Rock und experimenteller Musik. Ich habe jahrelang damit verbracht, Bands wie Faust zu produzieren, das legendäre Avantgarde Festival in Schiphorst zu kuratieren und mit Damo Suzuki zusammen zu spielen – und Omar hat diverse Noise- und Experimental-Platten veröffentlicht, unter anderem ebenfalls mit Damo, Lydia Lunch oder Jeremy Ward. Dadurch entsteht eine gemeinsame Sprache, die für uns beide sehr gut funktioniert. Außerdem sind wir uns immer einig darüber, was wir als schlechten Geschmack empfinden. Das funktioniert wortlos und intuitiv.
Noch interessanter wird es dann natürlich, wenn Omar einen Pianisten aus Argentinien einfliegt. Aber auch die Schlagzeugerin und die Sängerin aus der Session haben einen vollkommen unterschiedlichen musikalischen Background. So entsteht ein wilder und interessanter Mix aus den unterschiedlichen Einflüssen. Und zwar nicht durch Zufall, sondern voll und ganz beabsichtigt.
Außerdem habe ich zu Beginn der Produktion ganz klare Einschränkung vorgegeben, beispielsweise wollte ich bei “Part I” keinen künstlichen Hall benutzen – sämtliche Klangräumlichkeiten von “Part I” sind nur die echten Räume des Clouds Hill Studios. Dadurch entsteht eine homogene Wärme und Räumlichkeit, die anders überhaupt nicht herstellbar wäre und auch natürlich an keinem anderen Ort. Entscheidungen wie diese finden wir beide auf künstlerischer Ebene sehr reizvoll. Da es darum geht, eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort einzufangen. Und musikalisch hörbar zu machen.

Mit „die Sounds“ meine ich, dass sich „Part I – III“ distinktiv von einander unterscheiden. „Part I“ habe ich eben schon etwas beschrieben. „Part II“ atmet eine so von Omar noch nicht gehörte Elder-Statesman-Artigkeit. Man fühlt sich zurückversetzt in die 1960s, jede Sekunde der Musik schwingt stillvoll-erhaben. „Part III“ hingegen überträgt diese performative Geste auf die Moderne, flirtet mit contemporary music, jedoch ohne dabei den Fehler zu begehen, sich affirmativ an die Sounds anderer anzulehnen, sondern den Raum, den diese Aufmachen für eigene Experimente zu nutzen.
Zunächst gefragt: kannst du mit dieser Lesart etwas anfangen?
Nun ja, im Grunde bestätigt deine Analyse meinen grundsätzlichen Produktionsansatz – beyond Erwartbarkeit. Es ging uns bei diesen 20 Stück niemals darum, Erwartungen zu erfüllen, weder was das Songwriting betrifft noch auf Soundästhetischer Ebene.Deshalb habe ich vorab auch verlauten lassen, dass Omar Fans sich warm anziehen müssen. Glücklicherweise glaube ich, dass die meisten Fans von ihm als Musiker, Komponist, Songwriter und Arrangeur genau das gut finden: die Unerwartbarkeit, gepaart mit einer musikalischen Souveränität, die zwischen den Genres und unterschiedlichen Stilen umher springt.
Um dein Bild des Elder Statesman aufzugreifen: ich kann mir Omar gut als eine Art Helmut Schmidt vorstellen, der äußerst souverän über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft referiert und dem dabei als einzigen erlaubt ist, in einer Talkshow zu rauchen — und der auch als einziger in eine Talkshow gehen kann und dabei nicht albern wirkt. In der Musikbranche gibt es dafür eine ganz furchtbare Phrase: er ist real. Er hat Credibility. Er ist …  Achtung, gruseliger Schweißgeruch: authentisch.

 

Und dann weiter gefragt: Kannst du erklären, inwieweit man bei der Arbeit an den einzelnen Songs immer auch das Zusammenspiel im Blick hat?
Es geht immer um das Gesamtbild. In jedem einzelnen Song schwingt nicht nur das Album, sondern bei Omar auch immer das Gesamtwerk mit. Selbstverständlich hat man bei einem Künstler wie ihm alle 66 Alben seines Gesamtwerks im Blick, wenn man über die nächste Refrain spricht und wie laut da die Gitarre sein soll.
Für mich als Produzent ist das übrigens ein signifikanter Unterschied zu den allermeisten anderen Künstlerinnen und Künstlern, wo ich eher versuche, mich von der Vergangenheit frei zu machen, um etwas Neues erschaffen zu können. Aber Omar ist eben ein so vielseitiger Künstler, der mittlerweile auf eine sehr elegante Art und Weise selbst zur Referenzgröße geworden ist ohne dabei langweilig zu werden. Es bedeutet natürlich nicht, dass ich jede einzelne Komposition der letzten 30 Jahre im Kopf habe. Ich denke nur mit, dass man sich mit Omar bestimmt Dinge leisten kann, die woanders nicht gehen würden.

Was für mich dazu führt, dass ich durch den so stimmig angelegten Overall-Sound die Texte von Omar nochmals ganz neu gefühlt habe. Ist das etwas, was ihr im Studio ausführlich diskutiert habt?
Inhaltlich hat Omar die absolute Oberhand. Hier bin ich nur Dienstleister. Ich rede ihm in keinster Weise in die Texte rein. Das ist unausgesprochen glasklar zwischen uns.

Inwieweit geht es dir überhaupt auch so, dass du im Prozess der Aufnahmen und des gemeinsamen Lesens und Spielens der Songs diese neu erfahren hast?
Ich habe die Weite und Umfänglichkeit der Produktion tatsächlich erst in den Wochen des Mix’ erfahren. Das war für mich wie ein meditativer Trip. Anders ist so ein Projekt auch nicht zu stemmen.

Mir ist zum Beispiel erst jetzt aufgefallen, was für ein Jahrhundertstück „Houses Full of Hurt“ ist, nicht nur wegen der ganz eigenen, hypnotischen Stimmung, sondern auch wegen dieser speziellen Poesie, die sich um die Töne schmiegt und doch so brutal an einem reißt:
„You walk over the alley where your spirit was buried / The structure of your house was born and now you let go / You’re always howling tonight / You’re always howling
When the ocean moves inside you, makes the cancer crash your skin / And no one wants to kiss you anymore / You know you can’t leave me here to die / I know you won’t leave me here to die
You’re always howling tonight / You’re always howling
Reach back to touch truth and save face / It’s all or nothing in this house / Given shelter in this cause of faith / In this long road lost in chains / Break your heart through doubt and shame
You’re always howling tonight / You’re always howling / You’re always howling tonight / You’re always howling
Ja. Ich kann Dir da nur zustimmen. Sich mit diesem Song ein paar Tage intensiv zu beschäftigen, richtig einzutauchen, bis alle Details stimmen: Viel besser wird es in meinem Job nicht.

Was sind denn deine persönlichen Highlights auf den drei Alben?
Frag mich das bitte in zehn Jahre nochmal. Ich kann momentan keinen einzigen der 20 Songs mehr hören. Ich höre nur noch Fehler. Ich brauche ein paar Jahre Abstand.

Was denkst du, zeigen die drei Alben, was man so von Omar noch nicht gekannt und erfahren hat?
Meine Idee war es Oma als Songwriter voll umfänglich darzustellen. Ob mir das gelungen ist, das müssen andere beurteilen. Aus dem Bauch heraus würde ich jetzt sagen, das es sicherlich eine von Omars kommerziellsten Veröffentlichungen geworden ist. Ohne dabei erwartbare Sounds zu liefern und eingefahrene Hörgewohnheiten zu befriedigen. Das find ich erstmal gut.

Welche Rolle spielten die anderen Mitmusiker_innen? Wer war den noch dabei. Ihr habt die Band zusammen ausgewählt, richtig?
Omar hat die Band ausgewählt. Er hat die Schlagzeugerin bei einem Konzert in Los Angeles gesehen, wo sie in der Vorband gespielt hat. Ihm gefiel ihr ungeschliffener, Krautrockiger Stil. Es war ihm wichtig, dass ich genau diesen Aspekt beibehalte und sogar noch herausarbeite. Die Sängerin singt normalerweise bei Cirque du Soleil. Und den Pianisten hatte er in Latein Amerika bei seiner Produktion mit Mon Laferte kennengelernt, sie haben zusammen einen Grammy für das Album gewonnen. Zu diesen Entscheidungen habe ich gar nichts beigetragen.

Hast du eigentlich auch selbst mitgespielt?
Abgesehen von einigen Soundeffekten, die im Mix passiert sind: Nein. Kein Instrument im engeren Sinne also.


Von wem stammt das Design der drei Alben? In gewisser Weise ist es ein Bruch zum so emotional aufgeladenen Sound, andererseits aber natürlich dann auch nicht, da es in seiner Konzentriertheit die Musik in den Vordergrund stellt – und dabei doch ästhetisch überzeugt.

Das Design ist von meinem Freund CD Clarke: Stray Design. Ich wollte einen absoluten Bruch zu Omars vorherigen Alben; schwarz-weiß war mir wichtig und eine klare Bildsprache. Eher ein „Siemens“-Design der 50er Jahre, als ein Pink Floyd Design der 70er.
Auch das regt einen Teil der Fans natürlich auf. Für das Design haben wir mit analogen Photographien der tatsächlichen Bender Maschine gearbeitet, auf der wir im Studio aufgenommen haben. Sogar die Lichtreflexe sind fotografiert und nicht nachträglich bearbeitet. Die Rillen des Vinyls in der Stecktasche erzeugen den Effekt des aufgewickelten Tonbands auf dem Cover, dass man durch die Ausschnitte sehen kann. Um die Schallplatte im Inneren nicht zu verletzen, haben wir die tatsächlichen Rillen der Test-Pressung, auf die wir erst sechs Wochen warten mussten bevor wir das Design beenden konnten, auf die Innenhülle geprintet. Alles sehr nerdig und aufwendig – dafür haben sich recht viele Leute über das „langweilige“ Artwork beschwert. Haha… Von Langeweile kann auf unserer Seite wirklich keine Rede gewesen sein. Es ist mit großem Abstand das aufwendigste Artwork, das ich je gemacht habe.

Nun hat Corona ja erst mal alle Live-Ambitionen ausgebremst, aber gab und gibt es trotzdem längerfristige Pläne „The Clouds Hill Tapes Part I, II & III“ aufzuführen?
Omar wollte eigentlich zum 15-jährigen Jubiläum des Studios 2020 spielen. Das fällt natürlich aus, aber ja, es gibt noch Pläne – die verrate ich aber noch nicht.

Johann, vielen Dank für deine Zeit und jetzt hören wir mal in das erste Tape rein.

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Omar Rodriguez Lopez im Interview mit Charts – Notes to consider über Life und Pain. 

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