15 Stimmen im Zeichen der „Prosthetic Music”
Mit seinem im letzten Jahr erschienen Soloalbum „Wozu Musik“, attestierte Antonio D. Luca einen Zeitgeist der Angst vor „schwieriger und irritierender Musik“ und betonte, dass es darum ginge, sich als Künstler Herausforderungen zu stellen.
Nun, man kann wirklich nicht behaupten, dass er und seine Colorist Mitmusikerin Caroline Kox dieser selbstgestellten Aufgabe nicht gerecht würden. Die Essenz von Colorist ist ein steter Prozess des von (positiv besetzten) Selbstzweifeln und Klangforschungssehnsüchten angetriebenen Wandels. Kein Auftritt der Band gleicht dem anderen – und der nun im Britney anstehende schon gar nicht. Erstmals arbeiten Colorist mit einem 15köpfigen Chor zusammen und positionieren so ihren elektronischen Avantgradesound ganz explizit in einem choral-kirchlichen Kontext.
Thomas Venker befragte Caroline Kox und Antonio De Luca zu „Prosthetic Music”.
Koxi, Antonio, euer Auftritt bei „Köln ist Kaput“ im Gold & Beton im April 2016 war ja die inoffizielle, kleine Premiere von „Prostehtic Music“ – wie verhält sich denn das kleine Set-Up zum vollständigen?
Zum einen sind es mehr Menschen – was zunächst trivial klingen mag. Aber da wir zwar eine gemeinschaftliche Arbeitsweise pflegen, es diesmal aber weniger um Individuen und mehr um die große Klangmasse geht, bleibt weniger Zeit für die kleinen Eigenheiten. Stattdessen erzeugen wir mit all diesen tollen Leuten einen gemeinsamen Klangkörper; bei der daraus resultierenden Klanggewalt benötigt nicht jeder einzelne ein Mikrofon. Es wächst also tatsächlich zu einem Körper.
Wie kam es zu der Idee, mit einen Chor zu arbeiten?
Die meisten der Stimmen sind Clubkids, Musiker oder Exzentriker. Es tut gut mal mit Leuten in einen Raum zu kommen und alle sind für eine Sache da. Sie müssen sich auf uns verlassen, wir uns auf sie, und wir alle müssen uns gegenseitig stützen – das kann ziemlich befreiend sein. Am Anfang war nur die Idee präsent mit vielen Leuten etwas Großes gemeinsam zu realisieren. Wir haben in der Vergangenheit nie viel mit Stimmen gearbeitet und wollten das mal ändern.
Welche musikalischen Referenzräume macht ihr da für euch auf?
Es gab da diesen einen Moment, wo wir bei „Requiem für einen jungen Dichter“ von Bernd Alois Zimmermann waren. Ein riesiges Stück, die halbe Philharmonie gefühlt mit Chorsängern gefüllt. Das ergab einen Sound, der mir die Knochen gefrieren ließ. Daraus enstand auf jedenfall der Impuls. Aber eine richtige Referenz ist das glaube ich nicht.
Wir dachten lediglich, dass wir unter solchen Umständen bestimmt ein tolles Konzert geben könnten. Wir werden auch Stücke aus dem älteren Colorist Repertoire spielen. Zum Beispiel eines aus der Perspektive eines Selbstmordattentäters, was schon ein wenig Diskussion intern ergeben hat, aber sich für uns richtig anfühlt, da der Chor die Thematik selbst überhöht. Manche Stücke sind eher im Kontext von Techno angesiedelt, andere wiederum sind klassisch-experimentelle, die gut zur Meditation dienen, und ganz andere, bei denen Aspekte der technologischen Erweiterung eine Rolle spielen, wurden sehr konzeptionell komponiert
Eigentlich war der Auftritt ja in einer St. Gertrud Kirche geplant. Wieso nun die Planänderung? Und daran anschließend die Frage, welche Bedeutung denn der jeweilige Raum für so ein Projekt besitzt? Wird es im Britney anders klingen als es im St. Gertrud geklungen hätte?
Antonio: Die Orgel der St. Gertrud ist leider kaputt. So gerne wir in diesem brutalistischen Böhm Bau aufgetreten wären, die Reparaturarbeiten ziehen sich leider noch zu lange hin. Und da ich gerade mit „Swallow“ sowieso am Schauspielhaus zugange war und dieser neue Raum, Britney, auch ein Betonbau und irgendwie auch eine Baustelle ist, also genau das, was wir mögen ist, konnten wir nicht ablehnen, als der Kurator Matthias Köhler uns gefragt hat. Es ist eine tolle Bühne, der Raum ist wunderschön für Musik – ihr werdet sehen. Nun haben wir die Orgel schon vorher aufgenommen und können sie live manipulieren. Es ist sehr anders als die St. Gertrud, aber keineswegs schlechter, nur anders.
Könnt ihr euch ein Artefakt zu dem Projekt vorstellen? Ist gar eine Platte bereits in Planung ?
Es ist was geplant, aber wir würden gerne das Stück erstmal öfters aufführen, bevor wir diese Gedanken weiter verfolgen. Natürlich ist das alles sehr aufwendig, wir hoffen aber, dass wir für „Prosthetic Music“ weitere Shows organisieren können. Ladet uns ein, Kuratoren dieser Welt!
„Prosthetic Music”. wird am 15. Januar um 20 Uhr im Britney uraufgeführt.