Annemie Vanackere (HAU Hebbel am Ufer) – Interview zum  Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2025

“Ich sehe eine große Solidarität, die die Bündnishäuser, die Tanzszene und die Bundeskulturfonds gemeinsam agieren lässt”

Die Bundesregierung hat mit ihrem Haushaltsentwurf für 2025 die bundesdeutsche Kulturszene massiv vor den Kopf gestoßen. Es drohen heftige Etatkürzungen, Kürzungen, die  absolut konträr zu den formulierten Ambitionen und Versprechen der Vorjahre stehen. 

Interview mit der Intendantin und Geschäftsführerin des HAU Hebbel am Ufer in Berlin Annemie Vanackere. 

 

Annemie, du agierst seit 2012 als Intendantin und Geschäftsführerin des HAU Hebbel am Ufer in Berlin. Zunächst als Einstiegsfrage: Inwieweit betrifft der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2025 denn auch die Arbeit des HAU Hebbel am Ufer?

Annemie Vanackere (Photo: Annette Hauschild)

Annemie Vanackere: Der Haushaltsentwurf sieht eine komplette Streichung der Förderung für das Bündnis internationaler Produktionshäuser vor. Zu diesem Bündnis gehört auch das HAU. Dieser Entwurf hat uns überrascht und enttäuscht. Wir sind davon ausgegangen, dass das Verständnis für den Bedarf der Freien Szene auch auf Bundesebene mittlerweile vorhanden ist. Nach fast zehn Jahren Bündnis mit Bundesförderung hätten wir eine stabilere Kommunikationsbasis vermutet, als dass man ohne Vorwarnung oder vorangegangene Kritik eine Streichung vorschlägt.

Sollte dieser Entwurf so umgesetzt werden, würde damit die Zusammenarbeit der sieben wichtigsten Theater der Freien Szene in Deutschland, die gemeinsam vor allem internationale Kompagnien und Künstler*innen der Performing Arts maßgeblich in Deutschland präsentieren, beendet werden. Zudem könnten Professionalisierungs- und Weiterbildungsakademien für alle Berufsfelder der Freien Szene, die weit über die sieben Häuser hinaus wirksam waren, nicht mehr stattfinden. Nicht zuletzt würden dem HAU auch Projektmittel fehlen, die jährlich über zehn Projekte und Produktionen ermöglichen.

Wie überraschend kam für dich denn der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2025?

Wir waren überrollt, denn wir sind mit der Arbeitsebene bei der BKM in regelmäßigem Austausch. Es gab weder Hinweise noch Kritik. Wir sind bisher zweimal wissenschaftlich evaluiert worden, und bereiten gerade eine dritte Studie vor. Die Ergebnisse liegen der Politik vor; sie waren durchweg positiv und sprachen eher für eine Stärkung des Bündnisses. Im Koalitionsvertrag war das auch folgerichtig beabsichtigt: eine Stärkung.

Der Protest ist groß – aktuell haben 32.786 Menschen die Petition gegen die Kürzungen unterschrieben. Wie schätzt du die Chancen ein, dass es nochmals zu Änderungen für den Haushaltsentwurf kommt?

Wir freuen uns sehr über den großen Zuspruch, über die Unterstützung und auch über die mediale Aufmerksamkeit. Ich bin mir sicher, dass das auch die Kulturpolitiker*innen nicht unbeeindruckt lässt. Die Frage ist allerdings, wie gut sich diese Kulturpolitiker*innen in den Haushaltsverhandlungen durchsetzen können.

Und wie könnten / sollten diese aussehen?

Nach wie vor brauchen wir als strukturgebende Häuser der national und international relevanten Szene eine Bundesförderung, um diese Struktur aufrechtzuerhalten. Immer wieder haben sich andere Häuser in anderen Ländern Europas erkundigt, wie wir diese aufgebaut haben – unsere Strukturen sind also international beispielgebend. Mit den Akademien, dem jährlichen Festival Claiming Common Spaces und der Projektförderung für einzelne Referenz-Produktionen benötigen wir jährlich sechs Millionen Euro.

Reeperbahn

 

Die Kürzungen betreffen nicht nur die sechs Bundeskulturfonds (Deutscher Literaturfonds, Deutscher Übersetzerfonds, Fonds Darstellende Künste, Fonds Soziokultur, Musikfonds, Stiftung Kunstfonds) und das Bündnis internationaler Produktionshäuser, die naturgemäß sehr massiv auf den Haushaltsentwurf reagiert und viel Aufmerksamkeit gegen diesen mobilisiert haben, sondern generell große Teile der kulturellen Infrastruktur. Das kann im Idealfall zu mehr Solidarität untereinander führen, leider besteht aber auch die Chance, dass die Ellenbogen gegeneinander ausgefahren werden. Wie schätzt du die Entwicklungsdynamik für den Kulturbetrieb ein?

Ich sehe hier vor allem eine große Solidarität, die die Bündnishäuser, die Tanzszene und die Bundeskulturfonds gemeinsam agieren lässt. Wir wissen, dass es darum geht, einer sich aus den Kürzungen ergebenden fatalen Botschaft entgegenzuwirken: Die Freie Szene, die am wenigstens Besitzstandswahrung betreibt, wird als erstes geopfert. Umso wichtiger ist es, dass wir die Strukturen stärken und festigen, damit sie sich nicht so einfach beseitigen lassen.

Wie hat man sich generell das Zusammenspiel zwischen politischem Betrieb und den ausführenden Kulturinstitutionen vorzustellen? Empfindest du es eher als Dialog miteinander, oder eher als Setzungsprozess (in dem Sinne, dass die Politik eben Entscheidungen fällt, die ihr umsetzen müsst)?

Bis zu dem Entwurf hätte ich noch gesagt, dass es ein fruchtbarer Dialog ist. Gerade mit der Fachebene bei der BKM sind wir in sehr gutem Austausch. Auch bei Parlamentarierer*innen aller demokratischen Parteien in Bund und Land sind wir immer auf Sachkenntnis und offene Ohren gestoßen, gerade wenn es um die Fragen geht nach gesellschaftlichen Transformationen, nach Veränderungen der Publika und nach internationaler Perspektiven, die für uns in den Produktionshäusern von besonderem Interesse sind.

In der Stellungnahme der sechs Bundeskulturfonds ist auch die Rede davon, dass in der Folge der Etaterhöhung 2024 „erst neue Förderlinien und Programme, teils auch im Zusammenspiel mit Ländern und Kommunen oder Akteuren des kulturellen Lebens, entwickelt und erstmalig ausgeschrieben wurden oder sogar aktuell noch erarbeitet werden“, und dass „die Bundeskulturfonds aktiv und konstruktiv bei der Einführung und Durchsetzung in der Freien Szene von Honoraruntergrenzen, den Nachhaltigkeits- und Awareness-Empfehlungen der Kulturförderung der BKM“ mitgewirkt haben. In anderen Worten: Es wird kritisiert, dass die Stränge hier absolut nicht zusammenpassen – einerseits weniger Geld, andererseits höhere Ansprüche.
Für außenstehende Beobachter:innen mutet das Szenario schon sehr kafkaesk an. Wie fühlt es sich innerhalb des Betriebs an? Und was bringt das an Ableitungen für die Programmierung des Hauses mit sich?

Die Anhebung der Honorarempfehlungen ist lange überfällig gewesen. Die Zeiten, in den sich Freie Künstler*innen selbst ausbeuten und prekär leben, sollten schon lange der Vergangenheit angehören. Wenn ich die jüngsten Statistiken bzgl. der Tanz-Künstler*innen in Berlin betrachte, sehe ich, es ist immer noch nicht geschafft. Also ja, es ist absolut richtig, dass die Politik da unterstützt. Auch in Sachen Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit, Inklusion, Diversität und Awareness. Aber natürlich muss begriffen werden, dass die Kosten dieser richtigen Politik der fairen Arbeitsbedingungen in die Förderung eingepreist werden müssen und nicht bedeuten können, dass weniger Kunst produziert wird.

Gibt es sonst noch etwas, was du mit den Kaput Leser:innen teilen möchtest?

Kommt ins HAU, so sehr wir Eure politische Unterstützung brauchen, so sehr wünschen wir Euch als Zuschauer*innen. Klicks sind schön, Applaus ist schöner. Und unterschreibt die Petition!

 

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