Neue Songcomics über Indie-Lieblinge aus Australien und legendäre DDR-Punker

Weil das Auge immer mithört!


Die Indie-Band The Go-Betweens und die DDR-Punk-Band Schleimkeim haben eigentlich nichts gemeinsam. Bis jetzt. Denn über beide Gruppen gibt es seit kurzem jeweils einen Band mit Songcomics. Das heißt: Comics interpretieren auf ihre Weise einen Song. Das Auge hört eben immer mit: sowohl bei aggressivem Punk als auch bei melancholischem Indie-Pop mit Violine. Eine Parallellektüre.

 

Die Karriere von The Go-Betweens aus Australien begann Ende der Siebziger. Die Band wurde von den zwei Freunden Robert Forster und Grant McLennan in Brisbane gegründet. Dieser Gruppe widmet sich der Anfang Juni erschienene Comicband „Thank You For A Lovely Day“. Für den hat Forster aufschlussreiche Liner Notes, kommentierende Begleittexte, zu den elf von den Zeichner:Innen ausgewählten Songs geschrieben. Die Anordnung der Comics erfolgt chronologisch: Los geht es mit einer Geschichte zu „Karen“, dem ersten Song, den Forster je geschrieben hat. Im Schwarz-weiß-lila-Comic von Philip Waechter begleiten wir Leser:Innen einen Mann, der seinen eher tristen Alltag alleine verbringt und sich in eine Frau verliebt, die in einer Bibliothek arbeitet. Wie im Song. Dass der damalige Student Forster in „Karen“ Brecht, Hemingway und James Joyce aufzählt, hat der Band wohl früh einen intellektuellen Ruf verschafft. Dabei steckt hinter diesen literarischen Referenzen keine große Metaebene, wie Waechters simpler Comic demonstriert.

Aus dem Band über The Go-Betweens. Der Comic von der UK-Künstlerin Sarah Lippett

Ambivalent sind die Songs von The Go-Betweens aber allemal. Forster selbst schreibt etwa über den großen Hit „Streets of your Town“, dass bis heute unklar ist, ob sein alter Bandkollege und Songwriter McLennan bei dieser melancholischen Nummer an Sydney oder Brisbane gedacht hat. Wie dem auch sei: Klaus Cornfield, Comic-Künstler und auch selbst Musiker, erinnert sich in seiner Comic-Umsetzung zu diesem Song an ein Konzert der Band in den Achtzigern in Nürnberg. Man sieht ein beseeltes Publikum und eine euphorische Band in Form niedlicher Katzengestalten. Der Fokus liegt auch auf Amanda Brown, die in den Achtzigern Violine bei der Band spielte und für schöne Folk-Einsprengsel im Sound sorgte. Eine kindliche und persönlich gefärbte Erinnerung an eine Band, die von Rockismus weit entfernt war. Dafür haben viele Zeitzeug:Innen diese Gruppe sicher geschätzt. Im Panel, in dem der Text die Songzeile „They shut it down, they closed it down“ ist, sieht man hingegen einen Plattenladen, der abgerissen wird, um Platz für andere Gebäude zu schaffen. Hier gibt es dann doch einen close reading-Moment: Denn wichtige Gebäude wurden damals auch in Brisbane abgerissen, wie Forster im Begleittext erzählt.
Manche Comics erzählen die Songs eins zu eins, andere geben sich surrealer: Matthias Lehmann interpretiert den romantischen Song „Right here“ (ein Stück aus dem Album „Tallulah“) etwa als einen Albtraum, den die anfangs traurige Protagonistin durchlebt. Eine Horde düsterer Pferde stürmt auf sie zu, sie fällt von einer Klippe in ein tiefes Meer. Doch es gibt ein Happy End: Die Frau zieht es wieder an die Oberfläche, auf einmal befindet sie sich bei ihrer großen Liebe. Zwei Frauen sicher in vier Wänden. Der farbenfrohe Comic hat sich selbstständig gemacht, andererseits trifft die Zeichnung den Kern des Songs: „Right here“ war eines der ersten Liebeslieder, die McLennan geschrieben hat. Forster verrät im Begleittext, dass dieser Song viel bei Mc Lennans Songwriting verändert hätte. Forster sei damals im positiven Sinne geschockt gewesen, als ihm sein Freund das Lied zeigte.

Einer der schönsten Comics stammt von der britischen, preisgekrönten Künstlerin Sarah Lippett, die sich „Here comes a city“ vorgenommen hat. Diesen Song schrieb Forster 2004. Der poetische Text basiert auf einer Zugreise durch Deutschland, bei der Forster und seine Familie große und kleine Städte beobacht haben und die erst nachts endete. Lippetts Comic kommt als einziger im Band ohne Text aus. Eine traurig und erschöpft wirkende Figur, womöglich ein Geschäftsmann auf Geschäftsreise, schaut aus dem Zugfenster und beobachtet Brücken, Landschaften und Häuserreihen. Dann sieht sein Blick ein wenig freundlicher aus. Später scrollt er melancholisch durch die Bildgalerie seines Smartphones und lächelt dem Mond zu. Abschließend fliegt er über hohe Häuser. Ein liebevoller Comic, der den Vibe des Songs gut einfängt und den tollen Band über diese tolle Band abschließt. Dabei gesteht Lippett im Vorwort, dass sie die Band erst spät für sich entdeckte. Ihr Freund hat ihr die Musik 2006 nähergebracht, als Grant McLennan plötzlich gestorben ist. Auch ihr Comic erinnert daran, wieviele Bildwelten und Bedeutungsebenen in nur einem einzigen Song stecken können. Und dass der Zauber von Pop-Musik sich oft erst in voller Gänze durch die Rezeption ergibt.

Aus dem Comic von Dirk Mecklenbeck

Das zeigen auch die acht Songcomics über Schleimkeim. Der Band über die legendäre DDR-Punkband wurde von Frank Willmann herausgegeben, der selbst in der DDR groß wurde und als Autor bereits ein Buch über die Gruppe veröffentlicht hat. Willmann betont im Vorwort, dass Punk in der DDR illegal war und alle Punks in den Augen der Stasi Staatsfeinde waren. Auch der Sänger und Texter von Schleimkeim, Dieter „Otze“ Ehrlich, war Repressalien ausgesetzt. Der erste Songcomic basiert auf dem Lied „Bullenterror“. Dirk Mecklenbeck, in Halle (Saale) großgeworden und Autor der autobiographischen Graphic Novel „Todesstreifen“, erzählt hier von einem Punk mit Schleimkeim-Logo auf der Jacke, der auf dem Heimweg von einer Party von der DDR-Volkspolizei verprügelt und inhaftiert wird. Der Comic ist wie alle Beiträge im Band schwarz-weiß-grau. Hier passt die Farblimitierung besonders gut, denn die Story stellt die Monotonie und Enge im Mauerstaat sehr eindrucksvoll aus. Völlig unnötig allerdings, dass das von einer Comicfigur benutzte N-Wort ausgeschrieben wird.

Aus dem Comic von Ulla Loge

Die Künstlerin Ulla Loge aus Berlin hat sich einen der textlich vielleicht interessantesten Titel von Schleimkeim für ihren Comic ausgesucht: „Geldschein“ ist eine clevere Abrechnung mit der Indifferenz von Geld. Schleimkein singen aus der Perspektive eines Geldscheins von Reisen um die Welt, was den Bürger:Innen der DDR nicht erlaubt war. Im Comic wandert ein Geldschein mit Smiley-Gesicht gut gelaunt umher, in einigen Panels sogar Hand in Hand mit Kindern, deren Outfits an die FDJ-Uniform erinnert. Gegen Ende sehen wir einen jungen Mann, der fast widerwillig einen Geldschein annimmt. Loge (die auch in der DDR aufwuchs) schreibt, dass „Otze“ in dieser Szene vielleicht an den Schein dachte, dessen Erhalt er einem Stasi-Mitarbeiter quittierte. Tatsächlich hat „Otze“ als Stasispitzel gearbeitet. Er hätte diese „fiese Anstellung“ aber laut Willmann nicht lange ausgeübt und den Sicherheitsorganen auch großen Quatsch erzählt. 1985 hätte er zudem diese Arbeit gekündigt. An anderer Stelle schreibt Willmann, dass der Musiker das seinen Freunden hätte erzählen müssen, „die nach der Wende Otze-Aussagen gegenüber der Stasi in ihren Stasiakten fanden.“ Die Geschichten und Kommentare von Willmann, der die Band schon 1981 live sah, bieten viel Hintergrundwissen. Er berichtet dass von Schleimkeim die erste Punkrockplatte (eine Split-LP mit Zwitschermaschine) aus der DDR stammt und erinnert sich an „Otze“ als autodidaktisches Naturtalent, das in den Neunzigern sogar mit elektronischen Sounds experimentierte.

Aus dem Comic von PM Hoffmann zum Song “Der Diktator”

Auch inhaltlich war die Band breit aufgestellt. Es gab zum Beispiel auch Liebeslieder. Ein faires Lied über Trennung ist „Minus Plus“. Auge Lorenz hat sich darauf basierend eine humorvolle und referenzreiche Comic-Geschichte über eine kurze, aber intensive Liebesgeschichte ausgedacht. Klares Highlight ist aber der Beitrag zum Song „Mein Garten“, auf den auch der Buchtitel anspielt. Marcus Gruber, freier Dozent und Illustrator, hat einen liebevollen und jungen Punk gezeichnet, der in einer Kleingartenanlage von freudlosen Spießer:Innen umgeben ist. Der Junge genießt hingegen die Zeit in seinem Garten mit wildwachsenden Disteln. Gruber gesteht, dass er sich einen „Otzo“ imaginierte, der auch mal ein wenig Ruhe im Grünen haben wollte. Inmitten der anderen eher düsteren Zeichnungen, in denen auch einmal Putin vorkommt, ist das ein seltener, weil fast utopischer Moment. Eigentlich hätte der mehr Farben vertragen, so wie das äußerst gelungene Buchcover.

Der echte „Otzo“ fand keine Ruhe. Er hatte starke Suchtprobleme und musste mit dem Tod seiner Mutter klarkommen. Im Drogenwahn brachte er seinen verhassten Vater um, so Willmann am Ende. 2005 starb der Musiker in der Psychiatrie. Der Band nähert sich „Otzos“ irritierender und laut einem Zeitzeugen desaströser Biographie, sowie dem prägenden Werk von Schleimkeim eigenwillig an. Vor allem aber geht es in vielen Songcomics um beeindruckende Subkultur in einer Diktatur. Alleine deshalb lohnt sich die Lektüre. Vielleicht sind solche Songcomics mit greifbaren Bildern und oft persönlichen Stories sogar das beste Format, um alternative Zugänge zum Schaffenskontext von Bands zu bekommen, die einem zuvor noch eher fremd waren.

„Betreten auf eigene Gefahr. Schleimkeim-Songcomics.“ Herausgeber: Frank Willmann.
„Thank you for a lovely day. 11 The Go-Betweens Songcomics.“
Herausgeber: Jonas Engelmann & Gunther Buskies, Liner Notes von Robert Forster.
Beide Bände sind im Ventil Verlag erschienen und kosten jeweils 25 Euro.

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