Eugene Robinson 

“A WALK ACROSS DIRTY WATER AND STRAIGHT INTO MURDERER'S ROW: A Memoir”

Frage: Wer ist Eugene Robinson? 


Foggy San Francisco, sometime in 2018, after a night out with Eugene Robinson

Wo anfangen, um diesem Buch gerecht zu werden?

Das Ende ist immer eine gute Idee, zumindest wenn man den Spannungsbogen im Blick zu bewahren vermag – und das sollte allein schon wegen der großen Menge an Punch-Stories und -Lines, die Eugene Robinson in “A WALK ACROSS DIRTY WATER AND STRAIGHT INTO MURDERER’S ROW: A Memoir” mit aller sprachlichen und erzählerischer Raffinesse und seinem unvergleichlichen Talent für non-lineare Narrativ-Rhythmen in Zen-artiger Kontenance auszuschmücken weiß, schon klappen.

Also: Ganz Am Ende, auf der letzten Seite dieses mächtig aufwühlenden Buchs verabschiedet sich der Autor von uns, seinen Leser:innen, mit einem markanten Foto, auf dem er den Stinkefinger zeigt.

Vielleicht wird dieser aber auch gar nicht uns entgegengestreckt, wie man zunächst sicherlich denkt, sondern dem Tod, dem Robinson die beiden letzten Kapitel zuvor („Death was all around us” und „The Death Plan“) „gewidmet“ hat, zumindest der plakativen Setzung und ersten Lesart nach. 
Denn im realen Fluss der Wörter ist es (wie im restlichen Buch) so, dass die Wahrheit zwischen den Zeilen atmet, und Robinson, nach einer viel Popkulturwissen voraus setzenden Rollercoaster-Schicksalsfahrt (während der quasi on the drive verstorbene Weggenoss:innen würdigt, Exkurse zu und mit so unterschiedlichen Charakteren und Institutionen wie Minutemen, D.O.A., Mark Pauline/Survival Research Labs, Seinfeld und The Wire einlegt, sich bei Van Halen als Sänger in der Nachfolge von David Lee Roth bewirbt, Russ Meyer interviewt und den Konsum von LSD gegen die tägliche Steroideeinnahme eintauscht), deren Endbahnhof bei den meisten definitiv auf der anderen Seite des Jordans gelegen hätte, doch wieder im Diesseits aussteigt. Gar nicht, da die eigene Stärke es ihm ermöglichte, eher aufgrund des Klammerns an eine jener kleinen Flammen des Lebens, an denen wir alle uns so hoffnungsvoll zu wärmen versuchen – in seinem Fall kam just als die Stunde besonders dunkel wurde eine Einladung für seine Band Oxbow ins Haus geflattert mit der Offerte in England zu touren.

Aber genug lange, viel zu kompliziert gebaute Sätze von mir, mit denen ich doch nur versuchen mit der Eloquenz von Eugene Robinson mitzuhalten, geben wir doch lieber ihm selbst mal die Tasten:

„Now I realize what’s more true than not is that there are a lot of people who deserve to die, a lot more than I do. This fact, alone, kept me going. Still keeps me going. Four daughters, two marriages, dozens of tours, records, TV shows, books, commercials, and films later, this realization still seems properly correct.
Or at the very least I’m happy enough to have ruled this out as an exit line. Thank fucking G-d.“

Und damit (erstmal) genug vom Ende und Tod. Immerhin gibt es ja 275 Seiten zuvor, in denen sich Eugene Robinson mäandernd durch sein Leben und die Welt, in dem dieses sich abspielt, vor und zurück (zeitlich gesprochen) und hoch und runter (was die eigene Moral betrifft) erzählt.

An dieser Stelle eine persönliche Note: Ich kenne Eugene Robinson seit Mitte der 90er Jahre, als er mit seiner Band Oxbow auf zwei Releaseparties meines Fanzines Harakiri aufgetreten ist (ich glaube die eine war in Tübingen, die anderen in Villingen-Schwennigen, ich kann mich aber auch irren, die Zeit legt ja den Nebel über die Erlebnisse, zumindest bei mir). Damals übernachtete Robinson mit seinen Bandkollegen bei einem anderen Autor des Magazins, der im Nachgang jahrelang die Geschichte erzählte, wie Robinson zehn Eier zum Frühstück zubereitete, um diese dann alleine zu verspeisen. Ein Verweis auf dessen imposante Gestalt, die ihm oft falsche Einschätzungen eingebracht hat, wie er in einem Gespräch mit der The Wire Autorin Laina Dawes für die Titelgeschichte in der Ausgabe 473 (Juli 2023) darlegt. Dort erinnert sich Robinson, dass „because of my size and, you know, preference for weapons and marterial arts, there were assumptions made about my intellect.“ 
Noch viel mehr für Irritationen hat sicherlich die Bühnenpräsenz von Robinson in jenen Tagen gesorgt. So war er bei den zwei Konzerten im Schwarzwald irgendwann nackt auf der Bühne und hatte, ich zitiere wieder aus dem Wire, „my cock in my fist“.

Aber vielleicht nochmal einen Schritt zurück.

Frage: Wer ist Eugene Robinson? 


Antwort: Musiker (Whipping Box, Oxbow, Bunuel), Autor (u.a. auch von „Fight: Everything You Ever Wanted to Know About Ass-Kicking but Were Afraid You’d Get Your Ass Kicked for Asking“), Journalist (u.a. für GQ, SF Weekly, Vice, LA Weekly), Chefredakteur (Ode, EQ), Martial Artist, Familienvater …

Wie alle, die es mehr als sechs Jahrzehnte lang auf der Erde und mit anderen Menschen ausgehalten haben, hat auch er schon multiple Leben hinter sich, irgendwie ineinander verflochten.

Genau von diesem Geflecht der Existenzen erzählt Eugene Robinson in “A WALK ACROSS DIRTY WATER AND STRAIGHT INTO MURDERER’S ROW: A Memoir” mit viel Ehrlichkeit, manchmal fast zu viel. Er besitzt dabei das Talent, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, aber dann eben auch nicht unter Wert zu positionieren: Und ebenso wichtig: man spürt die große Neugierde für die Leben der anderen Menschen und Offenheit für die Begegnungen mit diesen in seinen Worten, aber auch die Bereitschaft diese Menschen jederzeit und ohne zu zögern in die Schlucht fallen zu lassen oder gar zu beerdigen, wenn sie es denn verdient haben – und verdient haben das viele in diesem Buch.

„Every single horrible thing that happened to me on those streets, I can directly tie to the end of the Vietnam War and cats coming bak who were just out of their minds.“
(aus The Wire 473)

Das Vorspiel zu Eugene Robinson´s „walk across dirty water“ in die „murderer´s row“ kommt von einem Trio, wie man es nicht besser hätten zusammen stellen können: Lydia Lunch, Harley Flanagan (von der NY-Hardcore-Band Cro-Mags) und Jimi Izreal (Moderator von „The Barbershop“ und Autor des „The Hardline“-Blogs für The Root), denen es jeweils gelingt in wenigen Zeilen das komplexe Puzzle der Welt von Robinson anzutriggern, wobei Lunch und Flanagan den Schwerpunkt auf Geschichten aus dem dystopischen Nukleus New York der 70er und 80er Jahre legen, in dem Robinson aufgewachsen ist, und in dem sie sich erstmals begegnet sind.

Quote Harley Flanagan: „My first memory of Eugene was at shows at Max’s and then at CBGBs, where, in a world of mostly scrawny white hardcore punks, he stood out: Black with a mohawk and in shape, which was not a common thing in a sea of drugged-out punk rock kids. It was a dangerous world we came from. NYC back then was a grimy and violent place, and if you were a punk rocker you were a walking target for the gangs, the cops,
and any neighborhood tough guys. So we experienced all sides of the violence, some things best forgotten. He wound up on the West Coast in the early ’80s fronting a hardcore band called Whipping Boy, who I saw put on some great shows.“
Quote Lydia Lynch: 
„There was a lot to fucking hate. There still is. And hate inflames the justifiable rage that burns bright into many an endless night where those of us cursed with the knowledge of generational trauma turn instrumental violence into an art form and bless others with our gener- osity. And to that end I give you Eugene Robinson.“

Quote Jimi Izreal: 
„Virtually unknown to The Negro World, file Eugene’s work, in general, somewhere between Sun Ra for White People and the collected works of Carl Hancock Rux. “Well-spoken,” shiny, and articulate, he’s art rock’s best black friend. Fanon would say Eugene is free-thinking, free-writing, and free-range—unrelentingly talented: stand-up and principled, ready to die but not without a fight.“

Damit ist schon ziemlich viel gesagt, aber natürlich nicht annähend mit der sprachlichen Eleganz, wie es Eugene Robinson in “A WALK ACROSS DIRTY WATER AND STRAIGHT INTO MURDERER’S ROW: A Memoir” zu formulieren vermag. 
Großen Stilisten zeichnet es aus, selbst die brutalsten Geschichten so anzulegen, dass sie sich erst verzögert als Schockwelle in uns Leser:innen ausbreiten. Was sie um so brutaler macht, da sie einerseits unsere Selbstschutzprozesse gnadenlos offenlegen, uns bewusst machen, wie oft wir uns ängstlich weg ducken, um das, was eigentlich offensichtlich und nicht negierbar vor uns liegt, nicht wahrnehmen zu müssen, und sie zudem lahm legen. Letzteres passiert fast auf jeder Seite in diesem slow killer von einem Buch, Robinson streichelt die Härte des Lebens geradezu genüsslich in uns hinein. Was zumeist wie rein persönliche Geschichten beginnt, endet oft als Drahtseilakt über den Abgründen unserer Gesellschaften.

Ich will mich hier gar nicht am Nacherzählen dieser Geschichten versuchen, und ich will auch nicht zu viele vorwegnehmen, schließlich sollen Sie das Buch hier kaufen – alles andere wäre töricht –, aber eine muss ich los werden, da sie den kleinen Eugene so markant greifbar macht. Robinson erinnert sich in dieser Geschichte, wie die Klassenlehrerin die Schüler:innen dazu aufgefordert hat, ihre Lieblingszeitung in der Schule vorzustellen:

“ … Remember to bring in your favorite newspaper for a discussion of current events tomorrow,” she said one day.
The next day, some classmates brought in the New York Daily News, some the New York Post, some the New York Amsterdam News. I brought in what I read once a week, the Village Voice. We read in silence before the discussion while our teacher cruised the room, check- ing out what was being read.
“What are you doing reading that rag?” she asked me.
“The Voice?” I said with a laugh, thinking she was joking. “Why is it a rag?”
I expected a punch line. What I got was “If you like reading Commie lies about America, knock yourself out.”
She was naturally all about the 200th birthday of America. In a school that was 98 percent racially homogeneous, I guess it made sense for her to have the great-grandsons and great-granddaughters of slaves dress up as Thomas Jefferson, George Washington and Andrew Jackson.
“Who are you going to be, Eugene?”
I hated the assignment. We both suspected she had me checkmated into doing something I was constitutionally opposed to.
“Can I be Karl Marx?” I asked.
The room had grown so quiet you could hear the radiator.
“He’s not an American,” she said.
“Then I’ll be Geronimo.”
And I was. From that moment on, had I been academically anything other than a great student, she would have crushed me. Instead, she satisfied herself with ignoring me. …“

Es sind billige Schlusswörter, die hier, nun folgen aber manchmal muss man die Vorlagen eben nehmen, wie sie kommen:

Es wäre ein Fehler, Eugene Robinson zu ignorieren und “A WALK ACROSS DIRTY WATER AND STRAIGHT INTO MURDERER’S ROW: A Memoir” nicht zu lesen.

 

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