Konrad Kraft & Die Angstgefühle des kalten Kriegs
Nach „Arctica” erscheint dieser Tage mit “Accident in Heaven“ bereits das zweite Reissue von Konrad Kraft auf dem Düsseldorfer Label TAL. Anlass mit Detlef Funder zurück in die 80er Jahre zu schauen, als Künstler:innen noch bevorzugt Pseudonyme trugen und der Krieg kalt war.
“Accident in Heaven“ ist ursprünglich 1987 als Tape in einer Auflage von 40 Kopien auf dem von Bernd Sevens, Dino Oon und dir betriebenen Label SDV erschienen. Wie erinnerst du das soziopolitische und kulturelle Klima in jenen Tagen?
Vermutlich lag es daran, dass plötzlich soviel möglich war. Nach der Post-Punk Phase wuchs die Independentszene rasant undso war es möglich, auch selber seine Musik zu veröffentlichen. Es gab kleine Magazine, die Tape Rezensionen schrieben und in welchen mal Anzeigen zu bezahlbaren Preisen schalten konnte. Wir drei waren damals getrieben vom Gedanken, uns in diesem Bereich zu professionalisieren und so erschienen dann auf SDV in den Folgejahren auch internationale Acts – und auf einmal waren wir ein Plattenlabel und veröffentlichten Vinyl und CD im Bereich der damaligen Avantgarde.
Aber die zu der Zeit vorherrschende Gesamtstimmung unterlag immer noch diesem diffusen, naja, ich sag mal Angstgefühl des kalten Kriegs. Dieser ganze SS20 und Pershing-Mist war in unser aller Bewusstsein. Vielleicht war es diese Form der Beklemmung, in der man nach Wegen suchte, dem zu entrinnen. Und jetzt kommt dieser ganze Käse schon wieder…
Die kleine Auflage deutet es an, die Zielgruppe für die Musik von Konrad Kraft war in jenen Tagen überschaubar. Nun ist es nicht das erste Reissue von Musik von dir auf TAL Records, dem Label von Stefan Schneider, vor zwei Jahren erschien bereits „Arctica” – dennoch die Frage: Hast du über all die Jahre damit gerechnet, dass mehr als 30 Jahre später plötzlich ein Interesse an früher experimenteller Elektronik entstehen würde?
Ehrlich gesagt bin ich nicht davon ausgegangen, dass alte Material nochmal aus der Archivkiste zu holen. Ich habe es bestimmt gefühlte 20 bis 30 Jahre nicht mehr gehört. Um so schöner war die Tatsache, dass nach all der Zeit der Klang, den die alten Masterbänder so hergaben, noch so gut war.
Meine Vermutung ist, dass es auch etwas mit der Renaissance von Krautrock zu tun hat und damit, dass viele die Nase voll haben von dem ewigen Gleichklang-Geplärre, was unsere Radiosender heute so hergeben.
Das Rad wird ja nicht jeden Tag neu erfunden und es hat sich scheinbar rumgesprochen, dass es auch schon früher experimentelle elektronische Musik gab, oder generell elektronische Musik. Und das auch nicht erst seit den 80ern. Das reicht weit bis in die 50er zurück.
Was denkst du, reizt die heutige Generation sich mit den künstlerischen Positionen der 80er Jahre auseinander zu setzen? Die Reissues von Konrad Kraft stehen ja nicht allein, diverse Reissue-Labels widmen sich der Epoche und zuletzt ist im Ventil Verlag “M_dokumente – Mania D., Malaria!, Matador” erschienen , das sich nicht nur den drei Bands von Beate Bartel, Gudrun Gut und Bettina Köster widmet, sondern auch der Ära an sich.
Ist es vielleicht der Wunsch, diesem Gefühl von damals wieder näher zu kommen? Oder vielleicht Ist es auch ein Interesse daran, wie die Musik von damals klingt? Es war ja durchaus wild und anarchisch in der Zeit. Man wollte was machen. In der Musik von damals hört man teilweise den Proberaum, die Bandmaschine, es rauscht und die Bands arbeiten sich noch richtig an den Instrumenten ab.
Jetzt war ich kurz im Archiv und habe mal eine Malaria Single rausgeholt. Die B-Seite: „pernod“ – großartig, wie hier das Sax quietscht und der Klang des Tracks.
Früher war neben dem Plattenladen auch der Proberaum eine Art zweites Zuhause war, in welchem man seine künstlerischen Positionen ausarbeiten konnte. Darüber ist ja mittlerweile so einiges geschrieben worden.
Heute bekommt man mit jedem Musikprogramm tonnenweise fertige Samples in allen Variationen, die man eigentlich nur noch per drag and drop in seine Sequenzer-Programm ziehen muss. Deswegen klingt auch alles gleich und glattgebügelt. Ich weiß, dass ist böse, was ich hier sage, aber das ist mein Eindruck. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der jede Band ihren eigenen Sound entwickeln und bloß nicht wie eine andere Band klingen wollte.
Damals waren Pseudonyme angesagt, Was hat es mit deinem Konrad Kraft auf sich?
Gut das diese Pseudonym-Phase vorbei ist. Ich bin allerdings dann trotzdem dabei geblieben, weil der Name ja schon existierte und ich nicht wieder alles ändern wollte. Konrad Kraft kommt von Conrad Schnitzler und Kraftwerk, welche ich damals großartig fand und kurz entschlossen zu einem Pseudonym zusammen geklebt habe. Allerdings sind da moderne Bandnamen wie Baumrinde oder Kissenbezug (Beispiel aus den Haaren gesaugt ) besser ? Jede Zeit hat ihre Eigenheiten.
Die Musik auf Tape zu veröffentlichen war nicht nur eine Reaktion auf die erwartete Nachfrage, sondern primär eine ästhetische Entscheidung. Tapes waren das Format der Szene. Obwohl Tapes heute ja wieder en vogue sind, erscheinen deine Reissues aber auf CD und Vinyl und eben nicht auf Tape. Was steckt hinter dieser Entscheidung?
Ästhetische Entscheidung? Hm, da bin ich nicht ganz d’accord. Das gilt glaube ich ehr für heute. Wer heute eine Kassette raus bringt, macht das wahrscheinlich eher als bewusste Entscheidung, um eventuell einem imaginären Kassetten-Feeling näher zu kommen, welches damals normal war.
Auch sind heute die Möglichkeiten der grafischen Gestaltung durchaus andere, als in den 80ern. Jeder kann ja heute schnell mit Photoshop oder einem ähnlichen Programm druckreife Ergebnisse erstellen:
Letraset-Buchstaben rubbeln oder die Eltern zum Stoffbeutel nähen zu begeistern, kann ich mir heute nicht mehr so einfach vorstellen 🙂
Damals war die Kassette einfach ein Standardmedium. Ein 10er Pack TDK oder Maxell hat man quasi bei jedem zweiten Einkauf mitgenommen. War günstig und überall verfügbar. Eine Aufnahmesession bei Conny Plank konnte sich damals keiner leisten. Einen Vierspur Recorder oder eine Tascam 38 8-Spur schon..Die Entscheidung, alles auf Vinyl / CD neu zu veröffentlichen, ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass der Wunsch nach einer Art haptischem Erlebnis eine Platte aufzulegen heute wieder größer ist als noch vor 20 Jahren. Ich selbst kaufe auch nur noch Schallplatten und nun auch wieder Kassetten.
Die Musik von Konrad Kraft ist rückblickend gelesen Teil jener Soundwerdung von Techno gewesen, das als Genre ohne Postpunk Avantgarde und Krautrock kaum zu denken ist. Interessiert dich Clubkultur?
Na ja, mein Teil am Entstehen von Techno ist da glaube ich eher sehr gering bis null. Allerdings war ich Ende der 80er dann Feuer und Flamme als es mit Acid House losging und als sich dann Techno kurz danach entwickelte sowieso. Dino Oon und ich komponierten mit Beginn der 90er parallel zu unserer CD Veröffentlichung auf SDV 1992 noch ein par Tracks mit ziemlich HipHop-lastigen Beats und hatten auch ein par Auftritte damit, unter anderen im Underground in Köln, aber irgendwie ist es dann damit nicht weiter gegangen.
Ich sehe Techno schon als eine Art Weiterführung von Punk, was den elektronischen Bereich angeht. Ein nettes Austoben und Entdecken der Möglichkeiten. Jedenfalls in der Zeit von 91 bis 94.
Das war auch der Grund, warum ich dann angefangen habe, die halb-experimentelle Musik zu verlassen und selber Techno zu produzieren. Ich war ja dann auch gut 15 Jahre als DJ und Live-Act weltweit unterwegs. Was eine schöne, aber auch anstrengende Zeit war. Ich erinnere mich da auch an einige schöne Abende im Liquid Sky auf der Kyffhäuserstraße. Allerdings kräht da heute auch kein Hahn mehr nach…
Aus der Clubkultur bin ich heute einigermaßen raus, bekomme aber schon noch ein wenig mit, was passiert. Nicht zuletzt auch durchs Mastering. Meine Empfehlung: Laut auf der Autobahn „Diagram“ von Mike Ink. hören. Immer noch ein Kracher!
Wie ging es überhaupt nach Konrad Kraft für dich weiter? Hast du weiter Musik produziert? Und was machst du beruflich?
Bis Mitte 2007 war ich Teilhaber der 4CN-Studios in Bochum/Wuppertal. Nach dem wir uns getrennt hatten, juckte es mir auch wieder in den Fingern, mich in die Klangforschung zu stürzen. Es gab nun ganz andere Möglichkeiten als in den 80ern und so hatte ich auch relativ schnell neues Material, welches ich dann an Till Kniola von aufabwegen/Köln gesendet habe.Er hat es dann 2011 auch als CD veröffentlicht: „Temporary Audiosculptures And Artefacts“ war/ist als eine Art Audioskulptur gedacht; weil ich zu der Zeit Kunst studiert habe, passte das hervorragend zusammen. Mittlerweile gibt es bei aufabwegen drei Veröffentlichungen und eine vierte ist geplant.
Ansonsten bin ich als bildender Künstler in der konkreten und interdisziplinären Kunst unterwegs mit Ausstellungen und Konzerten. Ich betreibe ein Mastering-Studio in Düsseldorf. Und Ende November 2021 habe ich auf Paraschall „OBTAAL“, eine Doppel-LP in einer 250er Auflage herausgebracht, bei der ich jedes Cover individuell künstlerisch gestaltet habe
Ein Stück von dir war auch auf der 2017 auf Bureau B erschienen, von TAL Betreiber Stefan Schneider zusammen gestellten Compilation “Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982 – 1989“. Was zeichnete die damalige Szene für dich aus? Und empfindest du dich im Blick zurück als zugehörig?
Ich würde mich schon als dazugehörig betrachten, zumindest zu dem Teil, der mir bekannt war. Es gab bestimmt noch andere Szenen, die parallel liefen und in welchen eine andere Musikrichtung vorherrschte..
Hans Jürgen Köhnen, der damals das Kassettenlabel Turn-A-Bout-Tapes betrieb, hatte da schon eine nicht geringe Menge an Künstlern und Künstlerinnen im Programm. Vielen von diesen Musikern ist man dann in Plattenläden begegnet und man hat sich ausgetauscht. Einige Freundschaften sind daraus entstanden und dauern bis heute.
Was die damalige Scene so einzigartig gemacht hat, war meiner Erinnerung nach die Tatsache, dass Kommerz nicht unbedingt im Vordergrund stand, sondern es wichtig warm sich musikalisch auszuprobieren, zum Beispiel über Synthesizer und Gitarrenverzerrer zu quatschen und im Kontakt mit anderen etwas aufzubauen. So gab es dann auch ein zweitägiges Festival im Zakk ( Düsseldorf), welches richtig gut besucht war, sowie diverse kleinere Konzerte und Veranstaltungen.
Als besonderes Highlight, welches aus dieser Zeit hervorgegangen ist, möchte ich Maria Zerfall erwähnen. Von ihr ist eine tolle 10 LP-Box bei Vinyl on Demand erschienen. Das ist schon Fett!
Die erwähnte Compilation, die Stefan Schneider für BureauB zusammengestellt ist ein kleiner, aber gelungener Überblick über die damalige Szene. Hätte von mir aus auch eine Doppel-LP werden können. Vielleicht kommt ja nochmal ein Teil II.
Kannst du Künstler:innen nennen, die für die Genese von Konrad Kraft bedeutend waren und warum?
Herbie Hancock, Mahavishnu Orchestra, Soft Machine, Gentle Giant, Ashra Temple, Tangerine Dream, Conrad Schnitzler, Asmus Tietchens, Throbbing Gristle, Dome ( Gilbert/Lewis ) Clock DVA, Hafler Trio, MB, Nurse With Wound, Severed Heads…….
“Schuld” an meinem musikalischen Interesse und der Freude an anderer Musik ist Micheal Rüsenberg. Ich liege da also irgendwann im Jahre 1972 oder 73 abends im Bett, das Transistor-Radio neben mir und höre ein Stück, dass mich sofort regelrecht umhaut. Das war „Rain Dance“ von Herbie Hancocks Album Sextant.
Die Jazz-Sendereihe damals hieß „Inbetween -Rockmusikalisches ohne Grenzen“, welche ab da für mich zum Pflichtprogramm Dienstags abends wurde.
Gibt es eine Künstler:in, eine Band, die du selbst erst durch eine Wiederveröffentlichung entdeckt hast?
Ja, dass Debutalbum von May Blitz: Prog Rock vom feinsten.