Record of the Week

Autechre „SIGN”
( Warp/Rough Trade)

Autechre
„SIGN”
(
Warp/Rough Trade)

Rob Brown und Sean Booth aus Rochdale/UK starteten ihr Projekt Autechre bereits 1987. Wo Aphex Twin schlau-prollig und Squarepusher durchgeknallt-variabel waren, kultivieren sich Autechre als Klangdesign-Mathematiker, als postmoderne Architekten des ewigen Kraftwerk-Nachlasses. Auch daher nahm Gestaltung als Gesamtkonzept nicht nur im Sound bei ihnen von Anfang an eine zentrale Rolle ein.
Doch nach wegweisenden Alben wie „LP5“, „Confield“ und„Draft 7.30“ schienen Brown und Booth Ende der 1990er Jahre auf dem Zenit des abstrakten, innovativen, latent experimentellen ‚Techno’ angekommen, die beiden (und auch der Rest der Warp-Bande) rutschten ein bisschen in ein Loch. Nicht untypisch für ‚coole‘ Genres und Szenen, die dann in die Midlife Crisis kommen – abstrakte Elektronische Musik mit supervielen feinen Brüchen ist eben auch nur Rock’n’Roll und unterliegt so doch auch Moden und Wellen. Während Aphex Twin zeitweise gänzlich verschwand und Squarepusher Skrillex für sich entdeckte, blieben Autechre durchaus zugegen bei sich selbst und klangen vielleicht auch nur für den verwöhnten, weil ständig überrascht gewesenen Warp-Hörer zwischendurch mal etwas blass.

„Oversteps“ (2010) und „Exai“ (2013) zeugten dann von neuen Energien im Autechre-Universum. Danach knallten sie nochmal über ein phantastisches Konzert im Hamburger „Kampnagel“ auf meine persönliche sinnliche Oberfläche und tief in mich hinein. Das war 2016 und zur Zeit ihres tollen, übertriebenen, rein digitalen 5fach-Albums „elseq 1-5“. Es wurde dunkel, also: so richtig dunkel im Theater, und dann ging der im doppelten Sinn technoide Rausch los.

Und nun “SIGN”. Tracks wie „F7“ und „esc desc“ flirren und flattern und knatschen und bollern, der schönste Organismus, der zwar von Menschen ersonnen wurde, soviel Humanismus darf sein, aber doch komplett synthetisch operiert. Robotik und K.I. winken schizophren grinsend durch die Dämmerung. Manch einer/m vielleicht etwas zu bombastisch und konkret, verstehe ich es als mitreißenden Rückweg in die Clubkultur, die es wegen des Dauer-Virus mehr als schwer hat. Aus der Steckdose qualmt eine rosa Wolke in unsere verdammten Home Offices und lullt uns ein, bis zu dem Punkt, an dem wir vertrauen. Und dann – anti-zack-zack-zack – hauen Autechre uns aus dem Sofasessel des mediokren mittelalten Lebens. Sagen uns wortlos und mit den schlauen Jüngeren: So geht es nicht weiter! Transformation ist überall angesagt! Auf “SIGN” beispielsweise verklangkörpert vom arhytmisch stolpernden Unter-Wasser-Track „si00“, aber auch durch den vorsichtigen Frickelbumms von „au 14“. Die Wucht von Autechre schleicht dieses Mal mehr denn je: 65 Minuten Schweben, Stolpern, Immersion und Extraterristrik. Kurzum: Autechre sind zurück!
„psin AM“ und „r cazt“ schließlich als monströses Fade Out. Es überrascht nicht mehr. Aber es nimmt mit. Wow.

P.S.: Am 20.11. erscheint für viele (so auch mich) sehr überraschend mit “PLUS” gleich noch ein weiteres neues Album der Schlawiner von Autechre. Und es ist wohl nicht zuviel behauptet, wenn ich schreibe, dass dieses im positiven Sinne noch irrer, schlaufiger und schräger klingt als “SIGN”. Ich bin ziemlich begeistert. Autechre haben in der Tat auf erfreulich kreative Art und Weise echt nicht alle Electro-Tassen im Techno-Schrank. Frickel-Rave on!

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