Pop-Kultur Festival 2024 mit 21 Downbeat, A Certain Ratio, Arab Strap, Hope & Emma Critchley, Ilgen-Nur….
Zum mittlerweile zehnten Mal findet auch dieses Jahr wieder das wunderbare, vor allem durch seine Diversität auffallende Pop-Kultur Festival in Berlin statt – und natürlich sind wieder einige Acts dabei, auf die man sich ganz besonders freuen kann. Als kleinen Vorgeschmack gibt’s hier nun eine kleine Auflistung von Performances, die man auf dem Pop-Kultur Festival 2024 keineswegs verpassen sollte:
21 Downbeat, die seit 2017 die inklusive Hausband des RambaZamba Theaters und in wechselnder Besetzung schon mehrfach beim Pop-Kultur Festival aufgetreten sind, begeistern ebenso mit ihrer Schauspielerei wie mit ihrer Musik. Jedes Jahr ist Verlass darauf, dass sie die Grenzen zwischen Pop, Theater und Literatur auflösen, ohne dabei aufgesetzt oder prätentiös rüberzukommen; dafür ist das Ganze viel zu aufbrausend, viel zu berauschend. 2024 werden sie sich Alban Bergs Oper „Wozzeck“ vorknöpfen, in dem um einen Soldaten geht (gespielt von der Puppenspielerin Hannah Elischer), der sich aus finanziellen Gründen schlecht behandeln und Experimente an sich durchführen lässt – das Thema ist also auch: Hilflosigkeit als Auslöser für bewusste Selbsterniedrigung. Dass 21 Downbeat, angeführt vom Musiker/Komponisten Leo Solter, dem Ganzen einen thematischen wie auch musikalischen Twist geben werden, steht außer Frage.
Hier eine ältere Pop-Kultur-Performance von 21 Downbeat:
Anders als andere Post-Punk-Bands, die ihren Ursprung in dem legendären Independent-Label Factory Records aus Manchester haben, waren A Certain Ratio immer schon eindeutig von afroamerikanischer Musik, das heißt vor allem vom Funk und Disco der Siebzigerjahre beeinflusst. E-Bässe spielen hier nicht nur melancholische Riffs a la Peter Hook (Joy Division/New Order), sondern dürfen auch grooven und zwischendurch sogar geslappt werden; Gitarren sorgen nicht nur für sphärische Klangatmosphären, sondern erinnern häufig an den funkigen Spielstil der CHIC-Legende Nile Rodgers; die Drums sind nicht schroff und abgehackt, sondern definiert und synkopiert. Heißt: A Certain Ratio haben gewissermaßen mit dafür gesorgt, dass Post-Punk mehr ist als Paranoia, Depression und reine Experimentierfreudigkeit. Nein, das Ganze darf auch tanzbar sein! Diesen Ansatz ziehen sie auch heute noch gnadenlos durch.
Oft sind die Songs der schottischen Slowcore-Band Arab Strap um wiederkehrende Loops gebaut, denen Produktionselemente hinzugefügt und dann wieder herausgenommen werden, um das Ganze lebendig zu halten. Ein perfektes Beispiel für ihren Sound ist einer ihrer tollsten Songs »The First Big Weekend«: Eine Akustikgitarre plinkert Folksong-artig vor sich hin, darüber wird in einem harten, schottischen Akzent gesungen und gesprochen. Für Nicht-Muttersprachler*innen ist das manchmal nur schwer zu verstehen – unüberhörbar ist aber, dass diese Worte schlau oder mindestens selbstreflektiert sind. Sekunden später setzt der Drumcomputer ein; nicht subtil, sondern mit pochendem 4-on-the-floor-Beat. Man versteht so eben, dass jemand in den Pub ging und mit einer blonden Frau tanzte, doch der Stimmung des Songs nach zu urteilen, ging das nicht gut aus. Nur wenige Männer sind beim Trübsal blasen so sympathisch.
Hope & Emma Critchley: „Navel“
Was gibt es schöneres als mehrere Kunstformen, die Hand in Hand gehen und nur gemeinsam funktionieren? Wenn verschiedene Medien – ob es sich nun um Musik, Film, bildende Kunst oder was auch immer handelt – gegenseitig ihre Wirkung verstärken, entsteht oft Magie. So wird es auch bei dem Commissioned Work der Berliner Band Hope sein, das sie gemeinsam mit der englischen Unterwasserfilmemacherin und Videokünstlerin Emma Critchley für das diesjährige Pop-Kultur Festival auf die Beine gestellt haben. Hier werden Welten vermischt, indem eine ebenso seh-, hör- wie spürbare Welt erschaffen wird, die ursprünglich mal auf dem Hope-Album „Navel“ basierte, sich im Laufe der Zeit aber in eine ganz eigene Erfahrung verwandelt hat. Es geht u.a. um Einsamkeit, wofür eine Unterwasserhöhle im Atlantik aufgesucht und hier nun eingebaut wurde. Das ist nicht nur eine Reise in die Tiefen unserer Welt, sondern auch in uns selbst.
Hier ein Video der Berliner Ban Hope:
Achtung, es folgt nun ein Klischee-Einstieg: Hach, Los Angeles. Die Stadt der Engel, wo Träume wahr werden… Doch egal wie ausgelutscht der Mythos von Los Angeles mittlerweile sein mag, muss man schlichtweg festhalten, dass diese Stadt nunmal eine Aura hat, die einmalig ist auf der Welt. Warum die deutsche Indie-Sängerin Ilgen-Nur sich also für ihr aktuelles, ganz tolles Album „It’s All Happening“ von L.A. und Kalifornien hat inspirieren lassen, ist also völlig verständlich. In ihrer Musik findet man also schimmernde Jangle-Gitarren wie bei The Byrds, smoothe Folk/Soul-Grooves wie Fleetwood Mac (und jüngst auch bei HAIM, klar), aber eben auch den sentimental-lockeren California-Indie von Pavement. Der 70s/90s-Hybridsound, den Ilgen-Nur fährt, hört man zwar schon seit Jahren an jeder Ecke, doch nur wenige beherrschen ihn so gut wie sie. Sie tritt in diesem Jahr bereits zum dritten Mal beim Pop-Kultur Festival auf – ein gutes Zeichen.
Hier as Musikvideo zum Album-Highlight „Purple Moon“:
Die vorwärtsgewandte Musik von Kabeaushé – beschreiben wir sie mal als: pulsierender und ultra-eingängiger Pop mit farbenfrohen Einflüssen aus Hip-Hop und Avantgarde, der durch einen futuristischen Rave-Filter geballert wurde – wirkt auf den ersten Blick wie willkürlich zusammengewürfelt. Dabei ist alles genau da, wo es hingehört: Es handelt sich um Musik, die dich aus allen Richtungen mit Sounds bewirft (aufgestapelte Stimmen, zerhackte Percussion-Loops) und dadurch im bestmöglichen Sinne aufwirbelt – so als würden mehrere Menschen im Kreis stehen und gleichzeitig verschiedene Samples und Drumcomputer bedienen. Wie man auch schon auf dem Pop-Kultur Festival 2022 sehen konnte, verpackt Kabeaushé das alles in eine Show, die zur ekstatischen Abriss-Party wird. Auf der Bühne verwandelt sich Kabeaushé nämlich in das Alter Ego »the Shé«, während das Publikum im flackernden Licht auf und ab hüpft. Ganz, ganz toll.
Ein Blick in die Zukunft ist momentan für alle (also auch für Künstler*innen oder andere Kulturschaffende) mit Ungewissheiten und großen Ängsten verbunden. Vor allem liegt das natürlich an den ständigen bahnbrechenden Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz, die so rasant sind, dass man als außenstehende Person oft zu erstarren droht. Dass diese immensen Veränderungen auch Möglichkeiten bieten und wie bestimmte Bereiche der Popkultur dadurch sogar verbessert werden können, darum soll es in diesem Talk gehen; ohne dass die realen Bedrohungen dabei aus den Augen verloren werden. Als Gesprächsteilnehmer*innen werden Claudia Schwarz – u.a. Gründerin von Music Tech Germany –, die zukunftsgewandte Feminist-Popkünstlerin FLOSS sowie Marina Guz, die sich als Teil von Endel mit dem Verringern unserer Stressphasen durch neue Technologien beschäftigt, zu Gast sein.
Mit höchstmöglicher Intensität herauszuschreien, als was für eine Person man sich selbst identifiziert, unterlegt von einem gewaltigen Krachgewitter aus zermalmenden Powerchords, dröhnendem Feedback und treibenden Drumbeats kann nur gesund sein. »Help Me, I’m Gay« heißt einer der Hits der Brightoner Punkband Lambrini Girls, die in ihren feurigen Wutausbrüchen eine queere, immer noch zu seltene Form der Aggression und Anti-Haltung an den Tag legen und vor allem Spaß dabei haben. Frontfrau Phoebe Lunny ist jedenfalls nicht zu überhören, wenn sie ebenso humorvoll wie todernst gegen Pseudo-Feminist*innen und transphobe Blödköpfe schießt. Die Wut der Lambrini Girls ist jedoch nicht nur ablehnend, sondern funktioniert im gleichen Zuge auch als bejahendes Statement: Denn eine Beschimpfung des Jungsclubs, der die britische Musikszene immer noch ist, lässt sich natürlich auch als Lobgesang auf die lesen, die nicht dazugehören (dürfen).
MARTINA STOCK – electroacoustic Harp with Light is presenting „A visual performing Soundsculpture“
Dass die wundervoll klingende Harfe ein vielseitig einsetzbares Instrument sein kann, hat ja schon die großartige Joanna Newsom in den Nullerjahren bewiesen. Doch Martina Stock hat das Ganze nochmal auf ein experimentierfreudigeres, ultra-innovatives Level gehoben: Bei dem Commissioned Work „ MARTINA STOCK – electroacoustic Harp with Light is presenting „A visual performing Soundsculpture“, das die Musikerin beim diesjährigen Pop-Kultur Festival vorstellen wird, spielt neben den himmlischen Klängen der Harfe auch elektronische Musik eine große Rolle; hier verschmelzen aneckende, rhythmische Beats und glasklare Melodien zu fantastischen Eigenkompositionen, die außerdem durch ein innovatives Zusammenspiel von Licht, Klang, Spiegel, Bewegung und Technik ergänzt werden. Es handelt sich also um eine Neuinterpretation von altbekannten Klängen, bei der gewisse Genregrenzen völlig aufgelöst werden.
Hier eine Performance von Martina Stock:
Die aufstrebende Rapperin OG LU, die sich auf Instagram als »50% habibti 50% banditi« beschreibt, ist schon auf dem Papier cool: Vor Kurzem hat sie sich noch in der linken Szene engagiert und in einem besetzten Haus gelebt. Heute jobbt sie regelmäßig als Türsteherin und liebt das Thaiboxen, wo sie sich durch eine ähnlich männerdominierte Welt wie im Deutschrap kämpft. Mit einer auffällig tiefen, eindringlichen Stimme und ihrer Frankfurter Aussprache, die spätestens seit Haftbefehl kultig ist, rappt sie natürlich vom Kiffen, klappert aber auch ernstere Themen ab. Häufig zeichnen sich ihre Texte durch ein feministisches, sagen wir, Kritisieren von Männern aus (»Sexism sells, das ist der Grund, warum ich Männer disse«), die sie nur selten befriedigen und es am Mikro erst recht nicht mit ihr aufnehmen können. Also, hör mal auf zu labern, jetzt. Zuhören. Oder nochmal in ihren eigenen Worten: »Leise, seid leise, weil Lu übernimmt jetzt das Ruder.«
Hier das Musikvideo zum Highlight „PAAR ECKEN HISCH“:
Anmerkung der Redaktion: Der Autor dieses Artikels hat manche der aufgelisteten Texte stellenweise für die Website des Pop-Kultur Festivals 2024 verfasst.