Track by Track mit Henrik von Holtum

Textor: “Musik kümmert sich um die, die sich darauf einlassen wollen”

Henrik von Holtum aka MC Textor (Kinderzimmer Productions) hat vor einigen Tagen sein zweites Solo-Album “So tun als ob” auf Grönland/GoodToGo veröffentlicht.
Für kaput war er so nett, die einzelnen Tracks mit den Assoziationsketten von Thomas Venker abzugleichen.

Henrik, der Clip zu „Ikuzo“ verweist natürlich sofort auf Zuckerberg und seine imersiven feuchten Träume. Da würde mich natürlich auch interessieren, wie deine Gefühle dazu so sind, ebenso zu AI generell.
Bei dem Stück finde ich ja zudem den Spagat zwischen Japan und Amerika sehr spannend, also textlich mit thematischen Bezügen auf der einen Seite und auch was den Slogan-artigen-approach (Stichwort „ready“) sowie den klanglichen (jetzt mal sehr grob Soundcollage versus Track-Signifikanz) betrifft. Erzähl doch also gerne mal, wie sich dieses vielschichtige Stück entwickelt hat.

Henrik von Holtum: Der Track hat sich aus dem Drumloop entwickelt. Ich wollte es stumpf und unaufhaltsam, geradeaus wie bei “Fit but you know it” von The Streets.Die englische Stumpfheit korrelierte für mich mit deutscher Motorik und den Folgen, ich bin ja Fan vom ersten Trio-Album, da kam die Idee für den Hook her.Dann mochte ich immer das Kraftwerk-Konzept ihre Vocals Mehrsprachig einzusetzen, so als würde eine Maschine eine Betriebsanleitung vorlesen.Ich hatte kurz überlegt, das Oldschool-“Are you ready?-Let’s go!” mit einem jungen japanischen MC clashen zu lassen, so kam es dann nicht, aber die Manga-artige Kampfansage Ikuzo! ist noch geblieben.
Einen direkten Vergleichstrack habe ich nicht. Was das Video angeht, spielt die aktuelle übersensorische Situation sicher eine Rolle. Auf jeden Fall die daraus resultierende Hohläugigkeit. Frank Zerban – mit dem ich das Video zusammen gemacht – und ich, haben kurz überlegt, ob wir AI, für das Video einsetzen sollen, da war aber AI schon so gut, dass sie keine interessanten Fehler mehr produziert hat. Es wird schwer werden AI, ästhetisch zu überfahren, Pop wird wohl ganz andere Ideen brauchen in Zukunft.

 

„So muss es sein“ hat viel von früheren Kinderzimmer Production tracks, die Loops hypnotisieren mich, die Texte laufen stetig als assoziative Kette.
Ich zitiere: “Ich erzähl dir was – kannst du mir folgen? War es schon zuviel? Weißt du was ich meine?“
Wie lange arbeitest du an so einem eigenwilligen Flow?
Wie wichtig ist es dir, dass die Hörer:innen folgen können?
Und dann die Sache mit dem N-Wort….

Ich finde es wichtig, dass man vom Flow der Sache vorwärts bewegt wird und an strategischen Stellen, mit Zeilen konfrontiert ist, die haften bleiben, um dann, hoffentlich, den Song immer wieder zu hören, um dann, auch hoffentlich, immer wieder etwas neues zu entdecken.
Ich arbeite an den Flows sehr unterschiedlich lang, ich würde schätzen 10 bis 20 Stunden über den Verlauf von einem Monat oder zwei, die Sachen liegen zwischendrin immer wieder.
Es gibt aber auch Momente, wo eine Strophe nur so viel Zeit in Anspruch nimmt, wie ich brauche um sie aufzuschreiben. Im Fall von “So Muss Es Sein” hat es länger gedauert.
Das assoziieren geht sehr, schnell das in den Zusammenhang bringen, die Qualitäts- und Unbedendklichkeitsprüfung dauern lang, da wären wir auch schon beim N-Wort, von dem man wissen sollte, dass das nicht “Nena” ist.

Gibt es einen Track von jemand anderem, den du als ähnlich empfindest?

Einen direkten Vergleich gibt es nicht, aber eine Zeile die mich, die den Assoziationsketten-Flow für mich auf den Plan gerufen hat, kommt aus der ersten Strophe “Mic Checka” von Das EFX.
I riggedy rocked the Cocacabana – Banana split, Hack tho (ein lautmalerisches Ausspucken) spit.
Das war aber eher der formale Startschuss.
Vielleicht, aus meiner Sicht, am ehesten El-P, “Full Retard”
Das musste ich als Nichtmuttersprachler allerdings mitlesen.

“Du bist dran” – Welches Stück von jemand anderen hat dir so einem imperativen Auftrag gegeben?

Die Außenwelt redet (vor allem in der Werbung) viel in Imperativen mit mir.
Interessant ist in dem Zusammenhang vielleicht “Century of the Self” von Adam Curtis.
Ich reagiere darauf instinktiv trotzig. Es verbindet sich aber natürlich ganz selbstverständlich mit so einem HipHop-Imperativ wie: “Just throw your hands in the air and wave’em like you just don’t care.”

“Macht dir das was aus”–  Für mich steckt hier fast schon etwas aggressives drin: DU MUSST DAS JETZT ALS WICHTIG EMPFINDEN.
Gibt es Musiker:innen, die du dir so schön gehört hast?

Aggressivität ist beim Musik machen sehr hilfreich und sehr gefährlich, der Track ist definitiv aggressiv.
Es geht eigentlich mehr um Ambivalenz und Gleichzeitigkeit.
“Sorry not sorry” von Tyler, The Creator kommt aus einer Ecke, mit anderen Mitteln, zeigt aber was ich meine.
Wobei HipHop, wenn alles gut geht, eben auch durch den Humor des Trash Talks in letzter Sekunde gerettet wird.
Ich habe es noch nie geschafft, mir etwas schön zu hören, was geht ist, dass ich nach vielen Wiederholungen verstehe, was es soll. Techno war so etwas, für das ich sehr lange gebraucht habe. Liebe ist es immer noch nicht, aber Anerkennung.

“Kein Gefühl” – Welche HipHop-Musik lässt den Textor völlig kalt?

HipHop der sich selbst wiederkäut.

Photo courtesy artist

” Comment allez-vous” – Der Musiker als sich um die Hörer:innen kümmerndes Subjekt. Ein schönes Bild.
Welche Musiker:in verkörpert für dich diesen Ansatz am besten?

Ich glaube, Musik an sich, kümmert sich um die, die sich darauf einlassen wollen.
Es gibt Menschen die beim Musik machen diesen Aspekt weiter in den Vordergrund gestellt haben. Zwei fallen mir spontan ein, Elizabeth Cotten.
Und Daniel Johnston.

“Klickediklick”– Wann und warum bist du zuletzt so richtig im Internet-Rumgekicke verloren gegangen? Und wie bist du wieder rausgekommen?

Ich verklicke mich ständig, meistens dann, wenn ich die Hoffnung haben etwas zu entdecken oder zu verstehen, dass wird mir ja oft versprochen und ich falle immer wieder drauf rein.
Das ist also nicht Album spezifisch, es ist eigentlich immer Youtube. Gear, Tutorials, Interviews, Konzertmitschnitte, Skatevideos.
Es gibt eine Geschichte die mir eine Freundin erzählt hat, keine Ahnung, ob sie stimmt. Die hilft mir, wenn ich etwas zu exzessiv mache. John Coltrane soll Miles Davis gesagt haben: “Ich kann einfach nicht aufhören zu spielen, ich haben zu viele Ideen, die müssen alle raus und so spiele ich weiter und weiter.” Worauf Miles Davis geantwortet haben soll: “Nimm einfach das Saxophone aus dem Mund.”

Gibt es ein HipHop Album (einen Track), der für dich so einen Sog hat, dass du ihn quasi endlos hören kannst?

Über die ganze Zeit gesehen, ist “Paid in Full” von Eric B. & Rakim sicher der Track den ich am meisten gehört habe und immer noch höre.
Um es mal aktueller zu machen, im Moment liegt “BDP” von Westside Gunn (feat.Rome Streetz & Stove God Cooks).

“Bibimbap” – Wieviel Hans Nieswandt steckt in dem Track?

Als der Track fertig wurde, da kannte ich Hans noch gar nicht, musikalisch schon, aber persönlich nicht und er war noch weit weg von Korea, wo er ja jetzt ist. Hans hat mir erklärt, wie man Four to the floor-Tracks so hört, dass sie funktionieren, das hatte ich als alter Synkopiker ewig nicht kapiert. Siehe Techno weiter oben.

Und welcher sich ebenfalls an einem Gericht abarbeitende Track fällt dir ein, bei dem für dich Essen und Musik zusammen kommen?

“Milky Cearal” von LL Cool J.

Photo courtesy artist


“Panik” – Wenn ich Panik höre, muss ich natürlich an die Strassen von London denken (The Smith)– und du und warum?

Mit der Assoziation hätte ich nicht gerechnet, umso schöner!
Ich hatte keine Orte vor Augen, als ich den Track gerade noch mal gehört habe, kam hoch, dass ich gerne wissen würde, was passiert wäre, wenn Rick Rubin, Jay Z und Nena 1986 für mehrere Stunden in einem Aufzug steckenblieben wären.

“I Remember” – Wenn ich Remember höre, muss ich an Yoko Ono denken. Und du?

Wegen “Remember Love”? Da wären wir ja wieder beim “kümmernden Subjekt”. Ich bin spontan bei Moondog Remember.

Erinnerung ist bei mir auch immer ein Loop, immer wieder im Kreis rum. Im Fall von “I Remember” ist es eher das Gefühl von immer wieder dagegen anrennen.
Und die Hoffnung auf Entladung.

“Es dreht sich” – Alle Welt will immer, dass es sich um sie dreht.
Ich mag ja Leute, denen das nicht so wichtig ist, also zumindest im egozentrischen Sinne, altruistische Motive dürfen herhalten.
Welcher Track nervt dich denn aktuell am meisten?

Ich wechsel sehr schnell die Richtung wenn mich etwas zu nerven beginnt. Ich bin selten in der Situation, dass ich Musik nicht ausweichen kann.
Ich rede auch ungern schlecht über die Tracks anderer Leute, ich disse gerne, aber Trashtalk ist ja nicht konkret und hat in meinem Fall auch nie einen konkreten Gegner. Es ist dann eher die schlechte Botschaft zerlegen, aber den Botschafter in Frieden lassen. Was mich nervt ist mehr, dass ich das Gefühl habe, das Musik sich gerade, in freiwilliger Selbstbeschränkung, die Freiheit, die Relevanz und die Magie nimmt. Sich zur Soundtapete degradiert oder sich als Wasserträger für Ziele anderer zufrieden gibt. Aber vielleicht übernimmt AI ja zumindest die Aufgabe des Sound-tapezieren für uns. Dann wäre man auch die Illusion los, man könnte mit immer noch mehr von dem immer gleichen etwas ausrichten. Dann ist hoffentlich wieder Platz zum spielen da.
Kurz gesagt, mich nerven zweckoptimierte Playlists.

Und um auf meine ursprüngliche Idee von „Paten“-Tracks zumindest am Ende zurück zu kommen: Gibt es ein Stück, dass „Es dreht sich“ für dich im Geiste zumindest oder auch konkreter ähnelt?

Da fällt mir noch ein Track von The Streets ein “Blinded by the Lights”.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!