Quo Vadis Pop-Lehre? – Eine journalistische Umfrage unter Lehrenden – Hans Nieswandt

Hans Nieswandt: „Meine Idee einer guten, universitären Pop-Ausbildung nährt sich zu einem nicht geringen Teil von romantischen Ideen, die ich mit den britischen Art Schools der 60er Jahre verbinde, mit einem starken politischen Ansatz und einem hohen Mass an individueller Freiheit des Ausdrucks und des Experiments.“

Mit ihrer im Herbst 2020 initiierten Aktion #95vsWissZeitVG (95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz) haben Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon auf Twitter auf die Argumentationslinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) reagiert. Das Bundesministerium spricht dabei von einer drohenden “Gefahr der Systemverstopfung“, sollte man Wissenschaftler:innen Normalarbeitsverhältnisse anbieten.
Die Reaktionen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs (aber auch darüberhinaus) waren vehement und führten zum Hashtag #IchbinHanna – „benannt nach der fiktiven Figur, anhand derer die vermeintlichen Vorteile des WissZeitVG im Video veranschaulicht werden“ (zitiert nach https://ichbinhanna.wordpress.com) –, unter dem sehr viele Wissenschaftler:innen von persönlichen Frusterlebnissen berichteten und Einblicke in ihre (oft) prekären Lebensumstände gaben.
Am 27. März 2022 erschien im Berliner Suhrkamp Verlag das Buch „#IchBinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland“.

Nicht vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz betroffen – und dennoch ähnlichen Frust- und Prekariatsverhältnissen ausgesetzt – sind die Freien Dozent:innen an Deutschen Universitäten und Hochschulen. Anders als ihre festangestellten Kolleg:innen dürfen sie zwar im Prinzip lebenslang weiter unterrichten, so denn sie es sich leisten können angesichts eher mäßiger Stundensätze, (oft) fehlender Anreisekostenübernahme und (zumeist) nicht bezahlter Vor- und Nachbereitungszeit.

Ich selbst kenne den Wissenschaftsbetrieb durch viele Lehraufträge in den vergangenen zwanzig Jahren gut – was letztlich (jenseits der genannten Publikation) über meine Gespräche mit Kolleg:innen zur Idee zu dieser Interview-Reihe führte, deren Intention es ist, den Diskurs über diese suboptimalen Arbeitsbedingungen der einen erheblichen Teil der Universitäts- und Hochschullehre ausmachenden Freien Lehrkräfte ausgesetzt sind, anzuregen, und, naiv gesprochen, damit vielleicht Impulse zu Veränderungen zu setzen.

Ich freue mich sehr über die Teilnahme von Hans Nieswandt an der Umfrage. Er gehört zu den bekanntesten deutschen DJs und Produzenten, hatte mit seiner Formation Whirlpool Production einen Nummer 1 Hit in Italien, veröffentlichte mehre autofiktive Bücher im Suhrkamp Verlag und agierte bis 2020 als künstlerischer Gründungsdirektor des Instituts für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste; derzeit lebt er in Seoul, Südkorea.

Obwohl persönlich per Du mit ihm habe ich mich dazu entschieden für den „Abdruck auf kaput“ beim Sie zu bleiben.

Hans Nieswandt

Können Sie bitte in aller Kürze und Prägnanz ihre Hochschule/Universität, das Institut/Fach und konkret das Studienangebot/den Studiengang beschreiben.

Hans Nieswandt: Von Anfang 2014 bis Ende 2019 war ich künstlerischer Gründungsdirektor des Instituts für Pop-Musik der Folkwang Universität der Künste, mit Standort Bochum, auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Prinz Regent. Als solcher habe ich neben so etwas eher luftigem wie der grundsätzlichen Pop-Philosophie oder Haltung das konkrete Unterrichtsangebot, die Zusammenstellung des Lehrkörpers, die technische Ausstattung, die Möblierung, die Besetzung des Personals über die Lehraufträge hinaus, das Gastdozenten-Programm usw. persönlich gestaltet und verantwortet, sowie natürlich auch zur Kommission bei den Aufnahmeprüfungen gehört. 
Angeboten wird dort weiterhin ein reiner, 4-semestriger Masterstudiengang für diverse Arten von im weitesten Sinne Pop-Künstler:innen, mit Schwerpunkten wie Produktion, Arrangement, Live-Präsentation, aber auch Visualisierung, Musikrecht, pop- und soziokulturellem Kontext u.a. Die stets rund 20 Studierenden werden dabei sehr individuell begleitet. Die Lehrenden sind durchweg hoch anerkannte, erfahrene Akteur:innen aus der Praxis, zum Teil sehr bekannte Künstler:innen, Produzent:innen, Musikjournalist:innen oder sonstige Koryphäen. Ich darf wohl sagen, dass dieses Institut einzig in seiner Art in Deutschland ist. Auch international fallen mir kaum vergleichbare Einrichtungen ein.

Wie zufrieden / unzufrieden sind Sie mit dem aktuellen Zustand (Angebot und Umsetzung) des Lehrbetriebs an Deutschen Universitäten im Allgemein?

Ich nehme an, diese Frage bezieht sich ausschließlich auf den Pop-Bereich; darüberhinaus würde es mir sehr schwerfallen, sie auch nur ansatzweise beantworten zu können. 
Was Pop betrifft: ursprünglich hegte ich weder den Wunsch noch den Anspruch, dass es so etwas wie Pop als künstlerische Ausbildung überhaupt geben müsste. Das hat sicherlich mit meiner popkulturellen Sozialisierung Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre zu tun, einer Zeit, in der von derartigen Angeboten noch längst keine Rede war und auch von keiner Seite aus dahingehende Sehnsüchte formuliert wurden. Diese Einstellung hat sich mit den drastischen Veränderungen in der Musikbranche spätestens zur Jahrtausendwende etwas geändert. Insbesondere der dramatische Einbruch bei kleinen und mittleren Independent-Labels hat eine bedauernswerte Lücke hinterlassen, was Räume zur künstlerischen Entwicklung und Profilierung jenseits vor allem kommerziell orientierter Modelle betrifft. Zwar wurde dies in gewissem Maße vom Preisverfall der Kosten für Musikproduktion kompensiert; weggefallen sind damit aber vor allem die wichtigen, unterstützenden Kräfte: Menschen, die sich um junge Künstler:innen und ihre Potentiale mit einer gewissen Hingabe kümmern, auch konstruktiv kritisieren; die ihnen helfen, die besten Künstler:innen zu werden, die in ihnen stecken. 
Hier, in einer Art temporärem Schutzraum, sehe ich die eigentliche Aufgabe moderner, projektorientierter Pop-Studiengänge, und weniger – im Grunde: kaum – in der musikalischen Ausbildung analog zu traditionellen Klassik- oder Jazz-Studiengängen. Also ein Studium mit einem hohen kultur- und sozialwissenschaftlichen Anteil, viel Kontext, viele Ebenen jenseits der rein musikalischen. 
Um es frei nach Diedrich Diederichsen zu sagen: Musik ist bei Pop nur ein zweifellos sehr wichtiger, aber nicht allumfassender Aspekt. Pop lässt sich nicht allein mit Musik erklären oder machen, es ist eine zusammengesetzte Kunstform, ähnlich wie Film, der sich auch nicht nur durch die Theaterwissenschaften verstehen lässt. Diesem Umstand sollte ein Pop-Studiengang unbedingt Rechnung tragen. Für diese Definition von Pop gibt es allerdings derzeit noch nicht sehr viele Angebote in Deutschland, da ist noch viel Luft nach oben.

Wie zufrieden / unzufrieden sind Sie mit dem Status Quo des Lehrbetriebs an ihrer Hochschule / Universität?

Zu meiner aktiven Zeit als künstlerischer Direktor des Folkwang Pop-Instituts war ich mit dem dortigen Lehrbetrieb in mancherlei Hinsicht recht zufrieden, weil es mir aus meiner Sicht gelungen war, ein sehr kompetentes, sehr motiviertes und sich sinnvoll ergänzendes Lehrendenteam zusammenzustellen, und dafür auch eine solide Anzahl Studierender zu gewinnen, die sich für unseren Ansatz interessierten und ihn auch in hohem Maße unterstützten. Erfreulicherweise auch meistens in einem ausgewogenen Verhältnis männlich/weiblich/divers. Das spricht für mich für eine positive Aussenwirkung des Instituts. 
Für den restlichen Folkwang-Lehrbetrieb möchte ich mich nicht äußern, weiß aber natürlich, dass dort auf sehr hohem Niveau Wissens- und Könnens-Vermittlung betrieben wird. Durch die räumliche Distanz des Pop-Instituts zur restlichen Universität war es oft nicht so einfach, tiefere Einblicke in die dortigen Prozesse und Strukturen zu gewinnen.
Was die aktuelle Situation betrifft, möchte ich mich ebenfalls mit einer Einschätzung zurückhalten. Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren aufgetreten sind, hingen aber meiner Meinung nach nicht mit der grundsätzlichen, inhaltlichen Konzeption des Instituts zusammen, sondern mit den Auswirkungen der Pandemie, sowie mit dem Umstand, dass die Kapitäns-Stelle seit meinem Abschied noch nicht wieder besetzt wurde, was viele Entwicklungs- und Entscheidungs-Prozesse natürlich mühsamer, manche sogar unmöglich macht. Es würde mich zufriedener machen, wenn sich dies möglichst bald ändern würde.

Ich selbst bin Freier Dozent an drei Universitäten in NRW (an der Folkwang Universität der Künste in Bochum/Essen, an der Universität Paderborn und an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf). Wenn man Anfragen zu Lehraufträgen bekommt, schmeichelt es einem zu Beginn, recht schnell bemerkt man aber, dass ein Großteil des Betriebs Deutscher Hochschulen und Universitäten auf solchen mäßig bezahlten Lehraufträgen aufbaut (oftmals sind zudem nicht mal Anfahrtskosten und Unterkunftskosten bei mehrtägigen Seminaren abgedeckt). Und so fragt man sich schnell, warum werden in Deutschland eigentlich Lehrer:innen an Schulen gut bezahlt, an den Hochschulen und Universitäten aber hat sich ein Honorierungsmodell etabliert, das ich zynisch gerne als „Hartz 4-Lehre“ bezeichne. Auf welchen institutionellen Diskursen beruht so ein Modell? Wer hat sich das ausgedacht und die Rahmenbedingungen definiert?

Wie es genau zu den jetzigen Rahmenbedingungen gekommen ist und welche hochschulpolitischen Diskurse darüber von wem wann geführt worden sind – das kann ich leider nicht beantworten. Es würde mich aber weiß Gott sehr interessieren, darüber mal einen sauber recherchierten, ausführlichen und erhellenden Artikel zu lesen, am besten ein nicht zu trockenes Buch!

Mein Arbeitsantritt als künstlerischer Direktor des Folkwang-Pop-Instituts markierte gleichzeitig auch meinen Eintritt überhaupt in so etwas wie eine akademische Laufbahn sowie das Prinzip Festanstellung. Bis dahin war ich ausschließlich freiberuflich als Musikjournalist, DJ, Musikproduzent und ähnliches tätig gewesen. Ich hatte vorher nicht mal so etwas wie einen Lehrauftrag an einer Universität, wohl aber eine große Menge an Gastvorträgen an vielen Lehreinrichtungen und zu den unterschiedlichsten Themen gehalten. Die – maßvolle, aber nicht lachhafte – Honorierung dieser Gastvorträge habe ich dann in etwa als Rahmen für die Gastvorträge am Pop-Institut genommen, denn dort hatte ich einen gewissen Spielraum. Anders als bei der Honorierung der – künstlerischen (schlecht) und wissenschaftlichen (noch schlechter) – Lehraufträge, für die es festgelegte Sätze gibt, über die man nicht hinausgehen kann. Ich vermute, bei diesen Honorarmodellen wurde wenig bis gar nicht an Lehrende gedacht, die ihren beruflichen Werdegang nicht vornehmlich in einer traditionellen, akademischen Karriere sehen, bei der sie sich langsam hocharbeiten, zunächst kleine Brötchen backen müssen, bis zur ersehnten Festanstellung. Die Lehrenden am Pop-Institut zum Beispiel kamen beziehungsweise kommen samt und sonders aus der freien Wildbahn, aus Musik, Produktion, Design, Journalismus, Musikrecht usw., und hegten auch im allgemeinen keine Ambitionen, das möglichst schnell zu ändern. Es ehrt jede und jeden von ihnen, dass sie am Institut wohl kaum aus finanziellen Erwägungen unterrichten; es ist allerdings in keinster Weise fair und weder ihrer Kompetenz, noch ihrer Prominenz, noch ihrem betriebenen Aufwand, noch ihren wirtschaftlichen Verhältnissen (im Vergleich zu auch nicht per se schlaueren, festangestellten Professor:innen) angemessen. In der Praxis sind Stundensätze überhaupt kein probates Mittel zur Erfassung und Vergütung des Lehrwerts. Im allgemeinen waren und sind die Lehrenden an ihren jeweiligen Unterrichtstagen auch den ganzen Tag damit beschäftigt, plus Vor- und Nachbereitung sowie Extrawünsche seitens Studierender. Da wären aus meiner Sicht sowas wie 400.- Euro pro Tag mindestens angemessen. Bei einem Tag pro Woche, mal vier, wäre das zumindest eine realistische, monatliche Basis, mit der man arbeiten kann und für die man dann auch andere Tätigkeiten etwas zurückfahren kann.

Das Honorar für die Seminare beinhaltet in der Regel auch Vor- und Nachbereitung – und an den meisten Hochschulen / Universitäten auch Prüfungen. Das wirkt sich natürlich langfristig auf die Qualität der Lehre aus, da viele Lehrenden immer wieder die gleichen Seminare abhalten, da ihnen schlichtweg die Zeit für eine stete Neudefinition der Lehrinhalte fehlt. 
Kennen Sie diese Problemstellung aus Ihrem Alltag? Und wie positionieren Sie sich hierzu?

Ich denke, diese Problematik betrifft gerade ein künstlerisches Pop-Studium in besonderem Maße, da sich gerade in diesem Feld ungleich schnellere, dynamische Prozesse und Veränderungen ereignen als in anderen Kunstformen, zu dem weit über das musikalische Kerngebiet hinausgehende – also nicht nur rasante, neue, auch technologische Entwicklungen, sondern auch neue, gesellschaftliche Diskurse, die zuerst auf dem Gebiet des Pop verhandelt werden (sagen wir aktuell: cultural appropriation, diversity, queerness usw.). Eine gute Pop-Lehre muss dem natürlich Rechnung tragen, in den Diskursen sein, sie möglichst sogar mitprägen. Die Lehrenden am Folkwang Pop-Institut sorgen dafür in gewisser Weise automatisch durch ihre jeweiligen freiberuflichen Tätigkeiten. Jedoch sollte dies natürlich nicht so sein müssen, jedenfalls nicht ausschließlich; ein Lehrauftrag im Pop-Kontext sollte einen gewissen zeitlichen und inhaltlichen Aufwand berücksichtigen, um eben diesen Kontext stetig aktualisieren zu können. Irgendwie muss das jeweils neueste Wissen ja aufbereitet werden, das anschließend vermittelt werden soll. Es geht hier ja nicht nur um Alte Meister.

Was auch fehlt, ist die Möglichkeit, als Freier Lehrender die Hochschulen/Universitäten und die Möglichkeiten, die diese den Studierenden bieten, so zu verstehen, als dass man seine Lehrinhalte mit anderen Angeboten vernetzt denken und den Studierenden Verknüpfungshorizonte aufzeigen könnte. 
Ist das eine Beobachtung, die Ihnen auch schon gekommen ist? Werden solche ich nenne es mal Blinde Flecken des Universitätsbetriebs intern diskutiert? 
Oder teilen Sie die Beobachtung nicht?

In Bezug auf das Folkwang Pop-Institut war es mir sicherlich ein Anliegen, sowohl Instituts-intern Verknüpfungen und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Lehrenden und ihren jeweiligen Inhalten herzustellen, vor dem beschriebenen Hintergrund, dass ich Pop für eine zusammengesetzte Kunst halte; als auch, Instituts-Angebote auch Studierenden anderer, insbesondere Musik-Fachbereiche anzubieten. Dies gestaltete sich in der Praxis aber als relativ schwierig, einerseits durch die geographisch problematische Lage des Instituts, als auch durch eine für mein Empfinden relativ insuläre Auffassung der separaten Studiengänge. Der Wunsch seitens der Hochschulleitung nach interdisziplinären Synergien war dabei zwar stets vorhanden und formuliert, in der Realität haperte es allerdings eher. Was aber unter Umständen auch mit einer ausgeprägten Identifikation der Studierenden mit ihrem je eigenen Studiengang zu tun haben könnte, der sie vor Besuchen anderer Fachbereiche manchmal ein bisschen zaudern liess.

Bemerken Sie an ihrer Universität, dass die geschilderten Zustände dazu führen, dass die Fluktuation unter den Freien Dozent:innen hoch ist?

Für das Folkwang-Pop-Institut kann ich eine hohe Fluktuation der Dozent:innen nicht bestätigen, weder zu meiner aktiven Zeit noch danach. Es gab hier und da ein paar personelle Änderungen, aber im Großen und Ganzen ist der Stamm von knapp zehn festen Lehrenden im Verlauf von mittlerweile acht Jahren beisammen geblieben. Das hat aus meiner Sicht an allerletzter Stelle etwas mit der Vergütung zu tun, da diese dem zeitlichen und intellektuellen Einsatz bei weitem nicht entspricht und kaum ernsthaft als ökonomischer Faktor eine Rolle in den jeweiligen Lebensfinanzierungs-Modellen der Lehrenden spielt. Grund für den starken Zusammenhalt ist eher die hohe Identifikation mit der Idee und der Lehrform des Instituts an sich, die Ambition aller Akteur:innen, Pop als Kunstform in die Zukunft weiterzuführen (um einen alten Slogan des Instituts zu zitieren), sowie das Gefühl, ein gutes Team geworden zu sein, dass das Institut gemeinsam dorthin gebracht hat, wo es heute steht. Man muss ja bedenken, dass diese Lehrenden, gemeinsam mit mir, auch gemeinsam mit manchen Studierenden, die Instituts-spezifische Art der Vermittlung quasi aus dem Nichts entwickelt haben, je nach dem auch auf eine eher experimentelle Weise. Es gab ja keine Tradition, in die man sich hätte stellen können oder müssen, die Identität des Instituts musste ja aus eigenen/mit vereinten Kräften erfunden werden. Ich denke, dieser Umstand sorgt bis heute für eine ungewöhnlich starke Bindung an das Institut und für ein hohes Maß an Interesse daran, wie die Entwicklung weitergeht und auch, diese Entwicklung weiterhin mitzugestalten. Das gilt übrigens auch für viele der Alumni, die meisten haben ihre Zeit dort sehr geliebt und als enorm bereichernd und prägend empfunden, darüberhinaus sind die meisten auch nach ihrem Abschluss auf einem sehr guten Weg als Künstler:innen unterwegs.

Das waren nun viele Kritikpunkte von mir in Fragen eingebracht.
Wenn Sie drei Wünsche für den Hochschul-/Universitätsbetrieb in Deutschland hätten, welche wären dies?

Wie gesagt, es fällt mir schwer, so generell über den deutschen Hochschulbetrieb in seiner ganze Breite zu sprechen oder gar Forderungen zu stellen beziehungsweise Wünsche zu äußern. Was die Pop-Lehre betrifft, so war mein Leitgedanke eigentlich immer eher „Freie Kunst“ als „Musikhochschule“, bei einem sehr weit gefassten Begriff von Pop. Ich denke, es gibt immer noch weit verbreitete, traditionelle Vorstellungen davon, dass instrumentale Virtuosität, „Gutes Spielen“, der Schlüssel auch zu guter Pop-Musik oder -Kunst ist – dem ist aber gewiss nicht grundsätzlich so. Das kann helfen, das kann aber auch verhindern. Es müsste da also ein moderneres Verständnis von Pop befördert werden, in der Politik, aber übrigens auch in beträchtlichen Teilen der potentiellen Studierendenschaft. Es ist auch bedauerlich, dass zum Beispiel im Falle unseres Pop-Masterstudiengangs ein Bachelor-Abschluss notwendige Zugangsvoraussetzung ist, wodurch eine Menge vielversprechender Talente und Köpfe überhaupt nicht für einen Studienplatz in Betracht kommen. Ich zum Beispiel hätte an meinem eigenen Institut gar nicht studieren können, weil ich mein Amerikanistik-Studium niemals abgeschlossen habe! (lacht). Auf der positiven Seite muss man allerdings sagen, dass der vorausgesetzte Bachelor-Abschluss kein musikalischer, nicht mal musikwissenschaftlicher sein muss, sondern einfach irgendeiner, weswegen wir oft junge Designer:innen, Germanist:innen, Schauspieler:innen usw. unter unseren Bewerbungen und auch unter unseren Studierenden hatten. Für die Qualität ihrer jeweiligen Pop-Entwürfe oft eine ausgezeichnete Basis. Leider gab es bis jetzt noch nie eine Agrarwissenschaftlerin, das war immer so ein bisschen meine fixe Idee.

Gibt es eine Hochschule / Universität (in Deutschland – aber auch gerne im Ausland), die sie als positives Beispiel hervorheben wollen, da dort Definition der Studienfächer und Lehrinhalte, die Organisation des Lehrbetriebs und Kommunikation mit und Arbeitsbedingungen für die Freuen Dozent:innen gut (oder gar ideal) aufgestellt sind?

Dazu fehlt mir leider der internationale Überblick. Hier in Seoul gibt es auf jeden Fall eine Vielzahl von professionellen Pop-Ausbildungsstätten, die zwar in der Konzeption so manches von dem teilen, was auch ich versucht habe, am Folkwang-Pop-Institut zu realisieren, etwa die Einrichtung von Produktions-Suiten und die hohe Beachtung visueller Aspekte – allerdings wird dort so gut wie gar kein Kontext gelehrt, und sowieso sind das alles privatwirtschaftliche Unternehmen mit stolzen Tarifen, bei denen sich junge Leute vor allem fit für den Markt machen lassen wollen, was nun nicht unbedingt mein Leitgedanke war, auch wenn es mir wichtig war, Seminare über Musikrecht anzubieten, um angehende Künstler:innen in gewisser Weise vor Ausbeutung zu schützen. Wie hoch die Honorare an den südkoreanischen Popschulen genau sind, entzieht sich leider meiner Kenntnis; allerdings bedeutet dort zu unterrichten weniger, etwas für sein Prestige zu tun, als: Geld zu verdienen.
Vermutlich nährt sich meine Idee einer guten, universitären Pop-Ausbildung zu einem nicht geringen Teil von romantischen Ideen, die ich mit den britischen Art Schools der 60er Jahre verbinde, mit einem starken politischen Ansatz und einem hohen Mass an individueller Freiheit des Ausdrucks und des Experiments.

Vielen Dank für Ihre Zeit

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