Videopremiere zu The Doctorella "Seid gegrüßt" (Parole Trixi Coverversionen)

The Doctorella: “Es geht bei diesem Video eigentlich nur um Drive, Power, Wut, Dagegenhalten. Und Kreisch!”

 The Doctorella (Photo: Mercedes Reichstein) 

 

Kersty, Sandra, man hört es aus dem tiefen Gras geflüstert, ihr seid aktuell im Studio, um einen neuen The-Doctorella Song aufzunehmen. Dürfen wir schon erfahren, um was es in diesem textlich gehen wird?

Sandra Grether: Wir sind gerade immer mal wieder im Studio, weil wir an unserem neuen, dem dritten Album arbeiten! Endlich! Wir waren alle zu hypochondrisch um uns während den heißen Corona Jahren in Probe-Räumen und Studios zu treffen. Und unsere Arbeitsweise ist auch nicht so, dass wir Bock gehabt hätten, Files hin und her zu schicken. In den letzten paar Jahren haben Kersty und ich, jede für sich, viele neue Songs geschrieben, und nun sind wir dabei, diese mit der Band (außer uns bestehend aus Sascha Rohrberg am Bass und neuerdings Daniel Benyamin an den Drums) und dem Produzenten Harrison Silverfox, der auch schon unser letztes Album produzierte, umzusetzen und aufzunehmen.

Kersty Grether: „Aus dem tiefen Gras geflüstert“ ist eine recht luzide und treffsichere Formulierung, wenn es um unsere nächste Single geht ☺ . Zum einen, weil ich das Lied tatsächlich unter Bäumen im Park geschrieben habe; also im Gras, zum andern, weil es in diesem Song textlich darum geht, die Existenz des Todes nicht immer so von sich zu schieben, weil man denkt, ich werde ja eh 100 Jahre alt, mich betrifft das gar nicht so richtig. Es ist eine große Arroganz sich nicht einfach im Leben mit dem Tod zu beschäftigen. Und natürlich richtet sich der Song auch gegen diesen eugenischen Survial-Of-The-Fittest-Zeitgeist. Trotzdem ist das Lied, wie man es von The Doctorella ja kennt, auch ein optimistisches, witziges Lied, und auch ein Liebeslied. Und es beginnt mit der die Frage: „Wenn wir tot wären, wo wären dann unsere Lieder?“

 

Videostill aus “Seid gegrüßt” von The Doctorella (Photo: Mercedes Reichstein) 

 


Heute erscheint die Neufassung des witzig-provokanten PAROLE TRIXI Songs „Seid gegrüßt“ aus dem Jahr 2002. Ihr feiert mit der THE DOCTORELLA Cover-Version einerseits Eure eigene Vorgängerband Parole Trixi , andererseits erinnert ihr damit aber vor allem auch an den eigenen Weg im popfeministischen Jungle. Dieser Weg hat ja bereits in den späten 80ern/frühen90ern mit der Riot Grrrl Bewegung begonnen. Wie blickt ihr auf diese nun bereits mehr als drei Jahrzehnte anhaltende Konfrontation mit dem Cis-Männer-dominieren Musikbusiness zurück?

Videostill aus “Seid gegrüßt” von The Doctorella (Photo: Mercedes Reichstein) 

Kersty Grether: Die US-amerikanische Riot Grrrl Bewegung entstand Anfang der 1990er in den Olympia, Washington und hatte ihre „Wurzeln“ in der Hardcore und Straight-Edge-Szene der späten achtziger Jahre. In Deutschland waren hingegen die neunziger Jahre eine unerträglich schlimme Zeit, wenn man eine neue feministische Bewegung starten wollte. Und zwar nicht nur, weil der Post-Wiedervereinigungs- Zeitgeist sich darin überboten hat, den Feminismus und überhaupt alle progressiven, utopischen Bewegungen ins Lächerliche zu ziehen. Gerade die jungen coolen Frauen fanden es schick, sich von Frauenrechten zu distanzieren, angeleitet von den beschissenen Mainstream-Medien und ihren scheußlichen antifeministischen Heldinnen. Da haben wir schon mit ziemlich viel Leidenschaft, Aufklärungsgeist und auch mit Wut dagegen gehalten: als Autorinnen, Aktivistinnen und Sandra mit Parole Trixi auch als Musikerin.

1995 habe ich im „Künstlerhaus Stuttgart“ einen Anti-Girlie-Kongress mitorganisiert, und dort einen einstündigen, wohl mittlerweilen legendären Vortrag über das alles gehalten und natürlich dabei auch von der Riot Grrrl Bewegung geschwärmt. Das hat den Leuten ja zunächst gar nicht eingeleuchtet, warum es sowas geben sollte. Wenn es sowas gab wie den Moment, wo in Deutschland Riot Grrrl „gemacht“ wurde, dann würde ich sagen, war das der Startschuss. Das hat echt weite Kreise gezogen, während ich vorher „nur“ in musikinteressierten Kreisen wie der SPEX und auf VIVA die Riot Grrrl-Fahne geschwenkt habe, mitsamt all ihren komplizierten Inhalten Dieser Kongress schilderte das Leben in fucking Germany aus Mädchensicht und bekämpfte lautstark die absolute Entpolitisierung weiblicher Sozialisation.

Gestern Nacht beim Einschlafen, in Gedanken bei diesem Interview, fiel mir plötzlich wieder ein: da ist damals eine Frau aus dem Publikum auf mich zugekommen ist und hat zu mir „Was Du hier Großes gemacht hast, wirst Du erst in 25 Jahren wissen, das kannst Du jetzt noch gar nicht einschätzen.“ Ich war mega erschrocken, ich war ja noch so jung, aber sie hatte vielleicht Recht.

Videostill aus “Seid gegrüßt” von The Doctorella (Photo: Mercedes Reichstein) 

Sandra Grether: Wie blicke ich auf die Konfrontation zurück? Wenn ich irgendwo lese „Seit der #metoo-Bewegung hat sich dieses und jenes geändert…“ dann frage ich mich regelmäßig, trotz aller Freude über diese Veränderungen, wo all diese schlauen Leute eigentlich vorher mit ihren Gedanken und Handlungen waren, wenn es um sexualisierte Gewalt, um Frauen und um Menschenrechte ging? Riot Grrrl war ja nur der Anfang; wir haben ja von 2011 bis 2016 auch noch für eine Veränderung des Sexualstrafrechts gekämpft. Das war die größte Härte überhaupt! Und dann, als das durch war, fiel uns ein: scheiße, in Deutschland spielen ja immer noch 95 Prozent Männer auf Festivals und in den Musikzeitschriften sieht`s auch nicht viel besser aus. Es doch Wahnsinn, dass man sein halbes Leben dafür kämpfen muss, dass die allerselbstverständlichsten Dinge thematisierbar sind. Und sich so große Ungerechtigkeiten ändern können. Und ich würde auch so gerne, speziell vielen Männern, auch aus der Musikbranche zurufen: euer Leben ist auch besser mit Feminismus. Aber um das zu begreifen, müsstet ihr auch mal Männerklischees in Frage stellen; die unbewussten Stereotypen reflektieren. Mal sehen, was es da dann noch alles so geben könnte. Vielleicht wäre das, was da Neues entsteht, ja auch gut für die Leidenschaft und für die Romantik. Für ein unlangweiliges Leben. Für die Musik sowieso. Das müsste sich jetzt noch schnell rumsprechen, damit, naiv gesprochen, der Backlash auf den Neuen Feminismus nicht allzu groß wird.

 

 

Was wollt ihr zum Videoclip von Mercedes Reichstein mit den Kaput Leser:innen teilen?

Sandra Grether: Mercedes Reichstein ist eine Genie! Ich bin so froh, eine Aktivistin und Politikwissenschaftlerin als Grafikerin zu haben. Es geht ja, mit Godard gesprochen, nicht darum, politische Musik zu machen, sondern politisch Musik zu machen. Und das kapiert sie halt ein ums andere Mal sofort, ohne dass man noch irgendwas erklären müsste. Bei jedem Video von uns, bei jedem Plakat, bei jedem Cover. Früher haben wir Videos und Plakate zehnmal zurückgegeben; mit ihr zu arbeiten ist dagegen ein Fest. Nur die Farbe Rosa mag sie nicht. Da gibt es also durchaus noch Konfliktpotential☺.
Wir geben ja mitunter furchtbar unprofessionelles Bildmaterial ab. Sie hat geschimpft, weil die Hauptszene von Kersty gegen die Sonne, also gegen die Lichtquelle, gefilmt war. Aber das Boxen haben wir halt im Studio spontan so gedreht, das lies sich nicht nachstellen. Aber dann kriegt sie es irgendwie hin, dass das alles total viel Spaß macht und Power hat. Dazu gibt es noch die animierten Comic-Bilder aus dem Original Parole Trixi Video von 2002. Deshalb auch der VIVA-Schriftzug ☺ Es geht bei diesem Video eigentlich nur um Drive, Power, Wut, Dagegenhalten. Und Kreisch!

 

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