The Murder Capital – Neues Postpunk-Spektakel aus Irland

Fünf Freunde und Gigi

The Murder Capital (Photo: James Kelly): “In der Mitte schaut Cathal „Pump“ Roper nach rechts. Auf dem Stuhl sitzt Sänger und Texter James McGovern in Lederjacke.”


Was macht heutzutage ein ausgebildeter Cellist? Richtig, er singt in einer Postpunk-Band. Vielleicht macht dieser Umstand die Musik der irischen Band The Murder Capital so spannend.
Allerdings bringen sich alle der fünf Musiker kreativ in die dichten Kompositionen ein. „Gigi´s Recovery“ heißt das zweite Album der Band. Es klingt oft brachial, bietet aber auch Ruhephasen und melodische Gitarrenmusik mit Tiefe.


Vor kurzem spielte die Band in Köln. Keyboarder und Gitarrist Cathal „Pump“ Roper gab Einblicke in das Innenleben der aktuell spannendsten Gruppe aus Dublin.

Cathal Roper (Photo: Philipp Kressmann)

„Aus irgendeinem Grund hatten wir fünf nach dem letzten Album das Bedürfnis nach Hoffnung“, sagt Cathal Roper über das neue Album „Gigi´s Recovery“. „Ehrlich gesagt, finde ich vieles darauf optimistisch. Man kann auch zu Optimismus finden, wenn man die dunkleren Seiten des Lebens versteht.“

Vieles hat sich bei The Murder Capital verändert. 2019 erschien das Debütalbum der Band. Der Sound ist kantig, roh und aggressiv. Inhaltlich drehen sich die Songs um existentielle Ängste. Fast vier Jahre später sind auf dem Nachfolger „Gigi´s Recovery“ Krach und Intensität zwar nicht verschwunden, aber insgesamt wirkt alles etwas sanfter und besonnener. Da wären die Synthie-Flächen, die jetzt mehr Raum bekommen. Roper sagt: „Ich liebe elektronische Musik. Wir spielen nun auch DJ-Sets in Indie-Clubs. Dort versuche ich das immer einzubetten, ich bin auch ein großer Fan von Acid“, erzählt Roper.
Elektronische Texturen gibt es auch auf „Gigi´s Recovery“: Das Schlagzeug im melancholischen „A Thousand Lives“ würde problemlos als Loop in einem Drum ‘n’ Bass-Track funktionieren. Und auch wie die Keyboards mit den Gitarren in Songs wie „The Stars Will Leave Their Stage“ oder „Ethel“ verschmelzen, ist eindrucksvoll. „Es gibt keine erste oder zweite Gitarre. Wir wechseln uns viel ab. Es hängt nur davon ab, an wessen Idee wir gerade arbeiten.“

Diese Strategie geht auf. Der Sound ist vertrackter als der von Fontaines D.C., die noch vor The Murder Capital für den Hype um Gitarrenmusik aus Dublin gesorgt haben (die Musiker hätten sich in Dublin auf dem College kennengelernt, aber kommen zum Teil aus unterschiedlichen Städten in Irland, betont Roper). Mit „Belonging“ hat es sogar ein akustisches Stück auf das Album geschafft, andererseits gibt es auch Parallelen zu Fontaines D.C.: Zum einen latente Gefühle von Zorn und Lethargie, aber auch die schlichte Tatsache, dass man hier noch gemeinsam musiziert und akribisch an Details arbeitet. Was man hört, wurde in enger Gemeinschaft kreiert, selbst wenn das lyrische Ich gerade über Isolation singt.

 

Aber auch die Texte von Sänger James McGovern wirken nun optimistischer. In „Ethel“ geht es zum Beispiel darum, sich zu vergegenwärtigen, dass man Einfluss auf den eigenen Lebenslauf haben und Veränderungen wagen kann. „Wenn wir jammen, ergeben sich Ideen“, erzählt Roper. Erst hätte McGovern nur einzelne Wörter im Kopf, er bräuchte dann etwas Zeit für sich. Doch manchmal ist er nur wenig später wieder da: „James hat dann über etwas geschrieben, das niemand von uns versteht. Es ergibt nicht zwangsläufig Sinn, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Aber in der Zukunft erkannten wir, dass wir das von Ihm Beschriebene schon durchgemacht haben.“ So sei es etwa mit „We Had To Dissapear“.

James McGovern (Photo: Philipp Kressmann)

Generell geht es auf dem Album oft um die Beziehung zu sich selbst und die zu anderen Menschen. Es gibt ein aufrichtiges Liebeslied, aber McGovern singt auch über Lebenslügen und das Bedürfnis nach einem Freund, der einem beisteht. Auch die Reihenfolge der Lieder ist spannend: Es könnte um den Tagesablauf von oder mit Gigi gehen. Man wacht auf, erinnert sich an ein Gedankenkarussell, das für Schlaflosigkeit sorgte. Auf dem Cover sieht man auch einen Mond. Dann wird die Szenerie heller, später wappnet man sich erneut für die Nacht.

So oder so: Mental Health ist ein wiederkehrendes Thema in den Songs. In den besten Momenten schafft es das Album, negative Gefühle differenziert zu beschreiben, ohne sie dabei zu romantisieren oder zu verharmlosen. „Ein Großteil des Albums thematisiert Selbstakzeptanz. Ich habe auf meinem persönlichen Weg zu psychischer Gesundheit auch schon Diagnosen bekommen. Aber sie machen dich ja nicht vollständig aus! Manchmal können einen Diagnosen traurig stimmen. Sie sind ein Teil von Dir. Aber zu lernen, damit zu leben und diesen Teil an sich zu akzeptieren, bedeutet Fortschritt und den ersten Schritt auf dem Heilungsweg.“

Die im Albumtitel steckende Heilung von Gigi lässt sich am ehesten im Titelsong ausfindig machen. In „Gigi´s Recovery“ singt McGovern in einer Strophe Gigi direkt an. „Gigi, you never left me“, heißt es hier. Gigi ist ein weiblicher und auch männlicher Vorname, aber existiert sie oder er überhaupt? Gigi könnte auch ein Name für ein seelisches Leiden und depressive Verstimmungen sein. Es gibt Menschen, die ihren psychischen Krankheiten wie etwa einer Depression, einen Eigennamen geben, um sie anzusprechen und zu externalisieren. So kann man Abstand gewinnen. Das kann helfen, weiß die Psychotherapie. Diese Praktik erinnert daran, dass die Krankheit ein Teil des Menschen ist, ihn aber nicht vollständig definiert. „I am not my sorrow“, heißt es an einer anderen Stelle im Song. Übersetzt: „Ich bin nicht mein Leid“. Roper sagt über den fast sechsminütigen Titelsong: „Aufdringliche Gedanken definieren Dich nicht. Sie sind oft nur eine Herausforderung für Deinen Charakter. Darauf kommt der Song zu sprechen.“

Cathal „Pump“ Roper könnte tatsächlich Recht haben: In gewisser Hinsicht ist „Gigi´s Recovery“ ein optimistisches Album. Auch live funktionieren diese introspektiven und gleichzeitig sehr energetischen Lieder ziemlich gut – im Kölner Luxor, das endlich wieder im Normalbetrieb ist, haben sie sogar ziemlichen Spaß gemacht.

Wenn Ihr oder jemand aus Eurem Umfeld – Freunde oder Familie – Hilfe in psychisch schwierigen Phasen braucht, gibt es Informationen und Support zum Beispiel hier:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start
https://www.telefonseelsorge.de

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