Record(s) of the Week

Sharon van Etten / Fontaines D.C.

Mittelalter: Also jetzt nicht die historische Epoche. Sondern das Lebensalter. Musste länger überlegen, wie ich eigentlich auf Sharon van Etten und die Fontaines D.C. stieß im Zeitalter der doofen Algorithmen, die mir einst bei einem Online-Handel meine eigenen Bücher zum unbedingten Kauf vorschlugen.

Van Etten ist mir Mittelaltertyp, glaube ich, über eine Mailorder-Ankündigung ihres dunklen 2014er-Albums „Are We There“ mit Verweisen zu von mir geschätzten Musiker*innen aufgefallen. Ihr letztes Album „Remind Me Tomorrow“ war farbiger bis hinein ins Cover-Design. Die Weihnachtssingle „Silent Night/Blue Christmas“ letztes Jahresende hinterließ mich etwas ratlos. Eher uninspiriert, Frau van Etten darauf oder ich davon.

Die heute 41-jährige Musikerin und Liedermacherin aus Clinton/New Jersey ist offenhörbar mit Klängen und Ideen von Nick Cave, Polly Harvey, Chan Marshall (Cat Power), Hugo Race, Hope Sandoval, Kendra Smith, Simon Bonney oder Lisa Germano aufgewachsen und hat ihre eigene Fort- oder Neuschreibung derer geschaffen. Toll, wenn sich Lebensveränderungen auch akustisch in der Musik abspielen. Über New York City über Dauertourneen und Pandemie nach Los Angeles sozusagen. Mir wiederbegegnet ist van Etten medial in der dritten Staffel der verrätselten Kult-Serie „Twin Peaks“.

„Darkness Fades“ ist alles andere als Freude. Trost ohne Hoffnung. Hinter dem Abgrund geht’s weiter. Ich fühle hier mehr Synthesizer, Drum Machines, Bombast, also einen mehr als Hauch von Transformation (auf „I’ll Try“ oder „Born“). Auf „Headspace“ grenzt das schon mal an Industrial und Wave, dann wieder Folk und Country. ‚Getting away with it‘ mit Grandezza, sozusagen. Oberflächlich fand ich das nicht so gut. Beim Tiefgang aber hat sie mich doch sehr gepackt. Laut Info sagt van Etten selbst: „I wanted to convey that in an image with me walking away from it all […] not necessarily brave, not necessarily sad, not necessarily happy”. Luzides Pathos um Zukunftsängste, Mutterschaft und potentielle Vermächtnisse an ihr Kind treffen nachdenkliche Zurückgezogenheit auf das Selbst. Er-Wachsen eben.

Sharon van Etten
„We’ve Been Going About This All Wrong”
Jagjaguwar/Cargo

Die aus Dublin City (D.C.) kommenden Fontaines sind als Endzwanziger etwas jünger, erst seit 2016 auf der popmusikalischen Landkarte, aber auch nicht mehr jugendlich. Wobei sie gegenüber van Ettens eher schlaufenhaften Entwicklungen und Reflexionen schon noch etwas direkter treibend oder getrieben wirken. Über den Hörweg liefen sie mir bemerkenswert: Ein Freund fragte bei einem anderen Freund nach der Musik im Hintergrund. Da wurde mir erst klar, was mich da auch neugierig gemacht hatte. Irgendwas zwischen The Fall, Loop, Lush, The Stone Roses, Maximo Park und Ride. Also zwischen Post Punk, Psychedelia und Brit Pop. Der Gatekeeper-Freundesfreund hatte die irische Band selbst erst gerade entdeckt. Was für Anti-Hit-Hits.

Ihr drittes, neues Album wirkt nunmehr weiter, strahlender, was den Spießer in mir irritiert. Freilich erfreulicherweise weiterhin nicht ganz unverstrahlt. Großmäulig, cool, politisch und doch auch ‚stumbling in drunkenness‘ auf dem eher postpunkigen Dancefloor gelieben. Diese Reise geht von Dublin nach Belfast und London und wird auch in den Lyrics thematisiert. Wer immer jemals in Irland war und dieses tolle, zerrüttete Land zwischen Norden und Süden besucht hat, ahnt, warum die Fontaines hier gälische Titel mitbenutzen. „Skinty Fia“ bedeutet so viel wie die Verdammnis des ausgestorbenen irischen Hirsches beziehungsweise Elchs, siehe Cover-Artwork.

Das Album läuft ernst und langsam an, mit „Jackie Down The Line“ wird es dann mitreißender, in „Bloomsday“ wird das Tempo wieder rausgenommen, in der folkigen Ballade „The Couple Across The Way“ bleibt die Zeit fast stehen. Irgendwie keine Zeit für Partys. Verständlich. Und doch bleibt da dieses groovy Funkeln, wie es im Titelsong rumpelnd, von Grian Chattens nasaler Stimme getragen und beinahe als HipHop dann wieder aufleuchtet. Und ein fast-finales „I Love You“ gibt es hier auch noch.

Es gibt so viel mehr als blöde Mittelaltermärkte im mittleren Alter auf Märkten, diese beiden gloomy Alben gehören definitiv dazu. Da lege ich mich doch lieber wieder hin und höre sie nochmal.

Fontaines D.C.
„Skinty Fia”

(Partisan/PIAS/Rough Trade)

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