Record of the Week

Beat Happening „Look Around“

Beat-Happening-„Look-Around“-(Domino)Beat Happening
„Look Around“
(Domino)

Ich kann hier nicht anders als persönlich werden. In der verregneten Mittelstadt, aus der ich komme, gab es einen für diese unerwartbar guten Plattenladen: die „Plattenbörse“. Das „Independent“-Fach, auf dem ich das Wort (zumindest im musikalischen Zusammenhang) zum ersten mal las, wurde von einem Rude Boy namens Bruce mit viel Kenntnis und Geschmack bemustert. Eine Stadt weiter, in Altena, saß das Label „Beat all The Tamburines“. 1989 erschien dort der Sampler „Diamons and Porcupines“ und gelangte über Bruce in die Plattenbörse und von da zu mir.
Er veränderte mein Leben. Ich hörte zum ersten mal Wedding Present und wusste sofort: so, genau so und nicht anders muss Gitarre gespielt werden. Von Calvin Johnson gab es gleich zwei Songs auf der Platte. Einmal „Sand“ von seiner heute fast vollständig vergessen Band Go-Team (nicht zu verwechseln mit Go! Team) und dann „Cast a Shadow“ von Beat Happening. Ich bemerkte nicht, dass beide Mal der gleich Sänger sang, ich dachte vielleicht in dieser fremden schönen Welt, die ich grade entdeckt habe, klingen Sänger eben so. Ich bemerkte auch nicht die Schiefheit des Gesangs als solche, ich fühlte nur die unter anderem mit ihr verbundene lässige Direktheit. Das Schlagzeug rumpelte, dass selbst Moe Tucker gestaunt hätte, und die verstimmten Gitarren bissen lieblich im Ohr. Man muss sich, wenn man das heute wieder hört, dran erinnern beziehungsweise klar machen, dass das, was jetzt als „Indiegeschradel“ zum allgemeinen Klangschatz gehört und in domestizierter Form Werbespots begleitet, damals ganz geheim und aufregend war. Calvin Johnson beeinflusste als Musiker und Labelboss (K Records) die Indiegeschichte, unterstütze etwa früh Riot Grrrl-Bands und inspirierte Curt Cobain. Beat Happening blieben, auch weil sie jede Art von für Erfolg erforderliche Optimierung und Glättung verweigerten, ewig Geheimtip.

Vom Ewigkeitswert, von der Unverwüstlichkeit dieser kindlichen, und doch arschcoolen, simplen aber gekonnten Lieder kann man sich jetzt anhand des vorliegenden Querschnitts überzeugen. Eine Zeile wie „Cast a Shadow in my Direction“, die ich mit 14 unter den Kopfhörern der Plattenbörse hörte und mit 28 für mein erstes Album ins Deutsche übersetzte, leuchtet mir auch mit Ende dreißig noch unvermindert kräftig zu. Die im Info aufgestellte These von Stilvielfalt kann ich nicht unterstützen.
Jens Friebe

 

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!