„Ich glaube der freie Raum, den ich dem Bild intuitiv oben gegeben habe, gibt Interpretationsspielraum, was für den VfB noch alles kommen kann“

„Das Kollektiv steht im Mittelpunkt und greift gemeinsam nach den Sternen“ (Photo: Reiner Pfisterer)
Reiner, was ist deine erste Erinnerung, die mit dem VfB Stuttgart verknüpft ist?

Reiner Pfisterer, 1978
Reiner Pfisterer: Der VfB fiel mir erstmals im Aufstiegsjahr 1977/78 auf, da war ich 10 Jahre alt. Die Jahre davor nahm ich vor allem den FC Bayern als fußballerisches Vorbild war, hat wahrscheinlich auch mit meinen älteren Brüdern zu tun, die beide Bayern-Fans waren. Kein Wunder bei der damaligen Übermannschaft mit Beckenbauer, Maier, Müller…. Aber ab der vierten Klasse spielte bei mir und meinen Freunden plötzlich der VfB eine immer größere Rolle. Es gibt auch einen Bildband über dieses Aufstiegsjahr namens „UNSER VfB“. Das ist eines mein ältesten Bücher, das ich auch heute noch besitze.
Weißt du noch, was das erste Spiel war, das du gesehen hast?
Das erste Mal im Neckarstadion war ich im Februar 1978 mit meinem Bruder Uli beim Zweitligaspiel gegen 1860 München, das der VfB 3:1 gewann. Torschütze war unter anderem Dieter Hoeneß, der Papa vom aktuellen Erfolgstrainer Sebastian. Ich konnte damals nicht oft ins Stadion da ich ja selbst beim TSV Kleinsachsenheim spielte. Und am Samstag war eben Spieltag, ob jetzt in der Bundesliga oder in der D-Jugend.
Wie kamst du dazu, für den VfB offiziell Fotos zu machen? Sportfotografie ist ja gar nicht dein Schwerpunkt, sondern Musikfotografie.
Ich finde es selbst immer sehr überraschend zu beobachten, wie sich Dinge beruflich entwicklen und wo man plötzlich landet. In der Tat habe ich in den ersten zehn Jahren meiner Selbständigkeit vor allem als Musikfotograf gearbeitet. Ab Mitte der 90er Jahre jeden Sommer immer sehr viel als Festivalfotograf, vor allem für Sponsoren wie Mustang Jeans, Diebels, Beck´s oder Smirnoff. Aber natürlich auch für alle wichtigen Musikmagazine. So gab es auch bald einen Kontakt zu INTRO und irgendwie gehörte ich da auch zur erweiterten Familie. Ich freundetet mich auch schnell mit Gründer Matthias Hörstmann an. Der rief mich im Frühjahr 2003 an und meinte er habe ein tolles Fußballmagazin übernommen und ich solle mich unbedingt bei denen vorstellen. So fuhr also zur 11 Freunde Redaktion, die damals ein Zweimannbetrieb der Gründer Philipp Köster und Reinaldo Coddou war. Wir hatten schnell einen guten Draht und über viele Jahre hatte ich viele spannende Reisen und Aufträge.
Im Sommer 2007, als die TSG Hoffenheim frisch in die 2. Bundesliga aufstieg, hatte ich die Aufgabe für das neue Saisonmagazin von 11 Freunde ein bestimmtes Motiv zu schießen. Dafür musste ich in die TSG-Geschäftsstelle, zur neu gegründeten Media-Abteilung, die damals ebenfalls aus nur zwei Mitarbeitern bestand. Einer der beiden war Steffen Lindenmaier, der Monate vorher als junger Bursche vom VfB nach Hoffenheim kam und die Pressearbeit und das Marketing aufbauen sollte. Wir verstanden uns und er fragte mich sehr bald, ob ich mir vorstellen könnte für die TSG zu arbeiten, so plane man mittelfristig zum Beispiel den ersten Merchandise-Katalog zu erstellen. Und plötzlich war ich Dauergast im Kraichgau bei unterschiedlichsten Themenstellungen. Allein für das Merchandising fotografierte ich 13 Jahre lang. Mitarbeiter kamen und gingen, aber ich hatte lange Jahre meinen festen Platz. Erst während Corona wurde der Kontakt weniger und schlief dann auch ein. Nicht weil irgendwas schief gelaufen ist, sondern weil fast alles im Leben seine Zeit hat.
Mein Erstkontakt Steffen wechselte bereits im Jahr 2010 wieder zurück zum VfB, unser enger Draht und unser regelmäßiger Austausch blieben aber bestehen und ich begann 2014, zuerst sehr unregelmäßig, auch für den VfB zu arbeiten.
Wie leicht fällt es dir als Fußball Fan im Stadion in den Profi-Modus zu sehen und das Spiel eben mit Blick auf Fotomomente zu verfolgen – was ja etwas anderes als nur zuschauen ist?
Das fällt mir sehr leicht, denn das mache ich als Konzertfotograf ja schon mein ganzes Berufsleben. Ich bin es gewohnt den Moment und das Privileg nah dran zu sein zu genießen und trotzdem meiner Arbeit nachzukommen. Im Musikbereich empfinde ich Konzerte oftmals viel intensiver, wenn ich arbeitend im Fotograben oder auf der Bühne stehe, als irgendwo passiv auf einer Tribüne. Ich beobachte einfach besser mit dem Finger am Auslöser. So ist es auch beim Fußball. Ich war 2017 mit Hoffenheim in Liverpool, als sie in der Champions League Qualifikation an der Anfield Road gespielt haben. Es ist mir unvergesslich fotografierend am Spielfeldrand zu stehen und zu spüren mit welch unglaublicher Geschwindigkeit der Liverpooler Stürmer Sadio Mané einfach alle Hoffenheimer überrannte.
Nun warst du bei der Berlinreise zum Pokalfinale von Anfang bis Ende dabei. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Atmosphäre, nicht zuletzt durch die Anspannung vor so einem Finale, leicht anders war als sonst?
Es war einfach ein wunderschönes Fußballfest. Alle im und um den Verein spürten die riesige Chance die Saison doch noch sehr versöhnlich abschließen zu können und mit dem Pokal wieder nach Hause zu fahren. Und damit natürlich die internationale Reise im Herbst in der Europa League fortsetzen zu können. Aber alle, die für den Verein beruflich in Berlin waren, hatten eine sehr große Aufgabe und auch Verantwortung den VfB bestmöglich zu unterstützen und auch zu repräsentieren. Ich denke das hat super geklappt, und bei der Siegesfeier nach dem Finale sah man nur zufriedene und erleichterte Gesichter. Der VfB hat es einfach geschafft die Großregion Stuttgart in großen Teilen hinter sich zu bringen und in den letzten Jahren eine richtige Euphorie zu entfachen. Sah man ja auch an der unglaublichen Nachfrage nach Tickets.
Mag es denn jeder Spieler fotografiert zu werden? Oder gibt es da auch welche, die dich bitten dich abseits des Platzes zurück zu halten?
Ich habe ja oft die schöne Aufgabe nah an den Protagonisten einer Geschichte dran zu sein. Ob es Musiker, Zirkusartisten; Politiker oder Sportler sind. Aber in diesem Fall war meine Aufgabe vor allem die Delegationsreise, die aus VfB-Legenden wie Cacau, Guido Buchwald oder Hansi Müller, aber auch aus vielen, dem Verein Nahestehenden, bestand über die drei Tage zu begleiten und diese wichtige Reise der Clubhistorie zu dokumentieren. Dafür wurde ich vom VfB drei Tage lang gebucht und so reiste und wohnte ich auch mit der Delegation. Allerdings mit der Anforderung immer schnell Fotos liefern zu können, da die Social-Media Abteilung ausführlichst und in einer irren Geschwindigkeit über alle Aktivitäten rund um die Reise und das Finale auf unterschiedlichsten Kanälen berichtete.
Am Spieltag selbst war ich dann aber tatsächlich als zweiter Clubfotograf tätig und dann nach Spielende sofort auf dem heiligen Rasen des Olympiastadions um diese ganzen Emotionen einfangen zu können. Damit ging für mich als Fotograf aber auch als Fußballfan ein kleiner Traum in Erfüllung. Ich mag es an vorderster Reihe zu sein um mir meine eigenen Bilder machen zu können. Und ein großes Pokalfinale war genau der richtige Rahmen für diesen langgehegten Wunsch.
Gab es während des Pokal Finales auch mal Momente, wo du die Kamera in der Hand vergessen hast, da dich die Gefühle mitgerissen haben?
Ehrlich gesagt war der Spieltag sehr aufregend und die ganze Reise auch wirklich anstrengend. Das war mir aber zum Glück im Vorfeld schon klar und ich hatte mich darauf eingestellt drei Tage durchzuarbeiten und extrem wenig zu schlafen. Natürlich hat mich alles was nach Spielende geschah sehr in den Bann gezogen und auf gewisse Art auch berauscht. Der emotionalste Moment war aber etwa 40 Minuten vor Spielbeginn, als mir mein Freund, der Stuttgarter Journalist Ingmar Volkmann, von dem ich wusste, dass er mit seinem Sohn im Stadion war, ein Selfie schickte, auf dem er neben meiner Tochter und ihrem Freund auf der Tribüne sitzend zu sehen war. Natürlich wusste ich, dass meine Beiden auch Tickets hatten, jede zweite Woche sind sie gemeinsam in der Cannstatter Kurve und waren total glücklich, dass es mit den Karten fürs Finale geklappt hatte. Aber dass sie zufällig neben Ingmar saßen hat mich in dem Moment total berührt und so ein Gefühl von Heimat in der Ferne gegeben. Gefühlt war einfach ganz Stuttgart in Berlin.
Toll war auch, dass ich Philipp Köster nach fast 20 Jahren zufällig wieder getroffen haben. Wie schon erwähnt, wäre ich an dem Abend ohne unserer gemeinsame 11 Freunde-Vergangenheit wahrscheinlich nicht in dieser Funktion in Berlin gewesen.
Und es hat mir auch wirklich Freude gemacht über meine beiden Instakanäle „reinerpfisterer“ und „rueckkehrdermusik“ mein Netzwerk an meiner Reise teilhaben zu lassen. Die Kanäle werden schon lange von meiner Frau Sigrid betreut und ich habe sie regelmäßig mit Fotos beliefert und sie kümmerte sich dann um deren Verbreitung, was auf große Resonanz stieß. Man darf nicht vergessen, dass solch ein besonderer Auftrag auch für uns Fotografen eine tolle Möglichkeit ist um auf unsere Arbeit hinzuweisen. Und selbst wäre ich an dem Wochenende nicht in der Lage gewesen mich auch noch darum zu kümmern, deshalb ein großer Dank an meine Frau!
Die Frage muss erlaubt sein ? Du fotografierst ja – wie bereits angesprochen – nicht nur für den VFB, sondern auch für Hoffenheim. Wie kommt das denn bei den Clubs an? Und wie habe ich mir das bei einem Derby vorzustellen?
Das ist überhaupt kein Thema. Anton Corbijn macht seit Jahrzehnten alle wichtigen Fotos für Depeche Mode UND für U2, da wundert sich zum Glück auch niemand. Es geht bei solchen Aufträgen um professionelles Arbeiten. Da zählen Tugenden wie Qualität, Zuverlässigkeit und Umgänglichkeit. Und wenn man bei einem direkten Duell fotografiert, freut man sich auf beiden Seiten über bekannte Gesichter.
Zurück zum Finale: Ich habe deine Bilder teilweise ja schon auf Social Media gesehen, das mit dem Nachhimmel ist ein echter Jahrundertshot (siehe Beitragsaufmacher). Alles drin und zugleich so viel Platz für die eigenen Gedanken. Was ist denn dein Lieblingsbild von dem Trip und Spiel?
Das ist tatsächlich auch mein Lieblingsfoto. Man steht an so einem Abend ja in unglaublicher Konkurrenz mit den besten deutschen Sportfotografen und hat natürlich den Ehrgeiz etwas zu schaffen, das nicht nur nach kurzfristiger Berichterstattung aussieht, sondern im Optimalfall irgendwann als großes Foto und Zeitdokument in der Geschäftsstelle des Vereins hängt. Und wenn der Pokal überreicht wird, die Mannschaft zu den Fans in die Kurve rennt, dann denkt man auch nicht mehr nach, sondern reagiert nur noch auf alles was passiert.
Das Besondere an der Fotografie war schon immer, dass man immer mal wieder mit einem Motiv eine ganze Geschichte erzählen kann. Ich glaube der freie Raum, den ich dem Bild intuitiv oben gegeben habe, gibt Interpretationsspielraum, was für den VfB noch alles kommen kann. Das Kollektiv steht im Mittelpunkt und greift gemeinsam nach den Sternen.
Besser hätte der Abend nicht enden können.

Reiner Pfisterer, 2025