“Lovely Creatures: The Best of Nick Cave and The Bad Seeds”
Nick Cave and The Bad Seeds
“Lovely Creatures: The Best of Nick Cave and The Bad Seeds”
(Boxset 3 CD/1 DVD, Mute/BMG)
Schwierig, ein Best-of-Boxset zu rezensieren – womit fängt man an? Dass gute Stücke darauf sind, sollte klar sein; genauso klar ist aber auch, dass es immer ein paar naseweise Erbsenzähler gibt, die irgendeinen heimlichen Hit vermissen, der ihrer Ansicht nach die gesamte künstlerische Ausrichtung erklärt. Da dieser Song aber fehlt (zwangsläufig, weil ja jemand anderes die Box zusammengestellt hat), ist die gesamte Compilation Schrott.
Wie gesagt, schwierig. Deshalb im Folgenden Gedankensplitter statt Rezension, ohne Anspruch auf Relevanz, Vollständigkeit oder Erklärung des Phänomens Nick Cave.
Zurzeit kursiert ein Bilderwitz in meinem Facebook: Neben dem Konterfei von Nick Cave steht ein Textauszug von Bibi „Beauty Palace“ Heinickes Hit „How It Is“, also:
„I’m up and down, I feel so fat / I ain’t got no more fizz / Don’t even get to keep the cat / But that’s just how it is / I sing: Wap-bap, ba-da-di-da-da / Wap-bap, ba-da-di-da-da / Wap-bap, ba-da-di-da-da-da“.
Das setzt natürlich voraus, dass man Nick Caves Texte a priori zur Hochkultur erklärt und Bibi für Schrott, sonst wäre es ja nicht witzig – ist es vielleicht auch nicht, zeigt aber, dass Nick Cave längst den Stellenwert der unantastbaren Ikone erreicht hat, in einer Reihe mit Bob Dylan und Leonard Cohen.
Im Zuge des Bibi-Scherzes fällt mir ein, wie Nick Cave anno 1996 seine schwarzgewandete Anhängerschar mit dem Duett „Where The Wild Roses Grow“ schockte – seine Partnerin war weder Anita Lane noch PJ Harvey, sondern Kylie Minogue, als deren Fan sich Cave „outete“; Kylie gab später zu Protokoll, Cave habe sie „gerettet“. Kann man auch komisch finden (paternalistisch, Mäzenatentum, etc.pp.), ich mag es auch heute noch, Song ist auf CD 2 (1994 – 2003).
Cave hat bis heute ein Faible für zweifelhaft beleumundete Popsängerinnen: In „Higgs Bosom Blues“ (auf CD 3 & der DVD) träumt er von Miley Cyrus.
Gibt es Nick Cave überhaupt alleine? In seinen sehr klugen Linernotes weist Kirk Lake (Autor, Musiker, Drehbuchautor; hat eine Rolle im Cave-Film 20.000 Days on Earth) schon im ersten Satz darauf hin, dass Nick Cave nichts wäre ohne seine Band, The Bad Seeds. Okay, vielleicht nicht nichts, aber nicht Nick Cave and The Bad Seeds – weshalb ja auch diese Best-of-Compilation eine Band-Compilation ist, und keine Solo-Retrospektive. Das ist ein wichtiger Punkt, vielleicht zu offensichtlich, um ihn hervorzuheben. Der Wikipedia-Eintrag zu den Bad Seeds ist zig Seiten lang, weil im Lauf der immerhin drei Jahrzehnte so viele Leute ein- und ausgestiegen sind. Longtime-Kollaborateur Mick Harvey wird zitiert, dass Nick Cave Vertraute um sich braucht, die sofort wissen, was er meint und will – Cave könnte niemals mit Sessionmusiker_innen arbeiten.
Auf der DVD befindet sich ein kurzer verwackelter Konzertausschnitt von den Bad Seeds aus dem Jahr 1984: Cave wälzt sich auf dem Boden, schreit die Lyrics zu „From Her to Eternity“ heraus, neben sich (stehend) Blixa Bargeld an der Gitarre, neben der Bühne steht Barry Adamson und guckt zu. Im Taxi-Interview (mutmaßlich selbe Zeit, mutmaßlich Berlin) sagt Cave, „Blixa is my hero“. Angesichts der pompösen „Greatest Hits“-Tournee der Einstürzenden Neubauten und deren Auftritten in der Elbphilharmonie wirkt das fliederfarbene Cave-Büchlein namens „Lovely Creatures“, in das die vier CDs/DVDs eingeklebt sind, vergleichsweise niedlich und bescheiden.
„Lovely Creatures“ nennt Cave seine Songideen – er glaubt nicht an das Songschreiber-“Handwerk“, sondern an Inspiration, womöglich auch an göttliche Funken, wobei man ja Text und Autor stets voneinander trennen sollte, liebe Gemeinde.
Ich schreibe nichts zu Cave und seinem Verhältnis zu Gott, auch nichts über die Bibel, den Blues, Westernhemden, Schnauzbärte, Robert Johnson, Serienmörder oder die Todesstrafe.
„Lovely Creatures“ sollte schon vor zwei Jahren erscheinen. Dann passierte das schreckliche Familienunglück, etwas später erschien das Trauer-Verarbeitungsalbum „Skeleton Tree“, von dem kein Song auf „Lovely Creatures“ zu finden ist. Die Best-of endet mit „Push the Sky Away“ von 2013.
Schon 1999 erschien bei Die Gestalten das prächtig bebilderte Buch „The Life and Music of Nick Cave. An Illustrated Biography“ – Ikonenstatus also schon vor knapp zwanzig Jahren. Autoren: Johannes Beck und Max Dax, der sich hier aber Maximilian schreiben/nennen lässt.
Mein Lieblingssong von Nick Cave and The Bad Seeds: „Deanna“
– Ende –