Record of the Week

Algiers 
”The Underside of Power”


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Algiers
”The Underside of Power”
(Matador)

Man kann es nicht anders sagen, auf “The Underside of Power” brodelt es von der ersten Sekunde an.  Wir dürfen Teilhaben am Uneinverstandensein der Algiers mit den Bedingungen da draußen in der Welt – und da Lee Tesche, Ryan Mahan und James Fisher noch immer verteilt in London, Atlanta und New York leben, erfahren sie in ihren Alltagen sehr viel unterschiedliches, was das Unwohlsein in ihnen weckt.

In der Musik, die die Algiers aus dieser Wut entwickeln, treffen sich zwei einflussreiche Soundschulen. Einerseits fühlt man sich erinnert an den dunklen, religiös aufgeladen 80er-Jahre-Kosmos einer Band wie Nick Cave & The Bad Seeds. Anderseits spielen aktuelle Weltmusikeinflüsse eine große Rolle, primär in der in dieser Form geradezu tollkühnen Offenheit der Band für unterschiedlichste Rhythmen und Tempi und einer so nur sehr selten vorzufindendenden Gleichwertigkeit aller Instrumente – man kann in den Songs der Algiers von einem Instrument zum nächsten “umschalten” und jedes für sich hält die Gesamtspannung. Die Spannbreite der Songs reicht dabei von aufrüttelndem Ethno-Rock über driftende Drone-Ambient-Zwischenstücke bis hin zu eindringlichen, balladesken Hymnen. Diese Vielschichtigkeit schlägt sich auch im Gesang von James Fisher nieder. Er singt, spricht und rapt mit multiplen Zungen und in ebenso vielschichtigen Colorierungen. Es sind Predigen und Wahrsagungen, die Fisher mit uns teilt, Lesungen aus den Geschichtsbüchern längst vergessener Kulturen, Blicke in die Glaskugel der Zukunft und die Ernüchterungen des eigenen Alltags. Wir erfahren so von Irrwegen der Zivilisationsgeschichte, individuellen Fehlern und Ängsten, sowie dem endlosen Meer der Absurditäten menschlicher Existenz. Doch “Algiers beantworten deine Fragen nicht, sie haben selbst genug Paradoxien aufzuarbeiten”, wie es Christina Mohr in ihrer Besprechung des Vorgängeralbums “Algiers” so treffend formulierte.

Man darf gespannt sein, wie es sich auswirkt, dass Depeche Mode, deren aktuelles Album „Spirit“ ja vergeblich mit einer Repolitisierung der Band flirtet und wirkungslos die Frage nach dem Ausbleiben der Revolution aufwirft, die Algiers mit auf Tournee genommen haben. Sind die Fans von Depeche Mode zu soviel Realität bereit? Man kann es den Algiers nur wünschen, dass sie den Kreislauf der Dunkelheit endlich durchbrechen (das letzte Stück des Albums heißt „The Cycle, The Spiral, Time to Go Down Slowly“) und ihre Musik den Status des Geheimtipps endlich hinter sich lässt.
Thomas Venker

Die Besprechung ist in einer modifizierten Fassung in der Print-Ausgabe der Kölner Stadtrevue erschienen.

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