Record of the Week

Braids „Euphoric Recall”

Braids
„Euphoric Recall”
(Secret City/Rough Trade) 


Die sanfteste „Supernova” seit langem, so der Titel des Album-Openers von „Euphoric Recall” – und das über acht Minuten, inklusive „Happy Birthday“-Schlaufe, Persona-Reflexionen und Dream Pop-Abdriften. Im Sound von den Braids treffen Fragmente von folkigen Indietronics der Jahrtausendwende à la Lali Puna, Tenniscoats, Björk, Sóley auf großmäulig-bescheidenen Klickerklackerfrickelbumms mit intensiven Gefühlen (Jean-Michel, Bersarin Quartett, Plaid, Bibio) und hauchen die leuchtend verhuschte Indie-Variante von TripHop à la Portishead oder Ruby aus. Bereits in dem hymnischen „Apple“ oder beim leicht schuheglotzenden, neuneinhalbminütigen und in den ebenso sphärischen Titelsong übergehenden „Retriever“, das den Kreis oder besser die Spirale zu „Supernova“ (an-)schließt, gerät der Indie-Bombast auf seinen zurückhaltenden Höhepunkt. Raphaelle Standell-Preston, Taylor Smith und Austin Tufts aus Montréal/Kanada bringen alle ihre musikalischen und privaten Erfahrungen in ihr fünftes Studioalbum in zwölf Jahren ein und lassen etwas Großes entstehen. Sehr stylish zudem.

Ein Streicher-Ensemble und Klavier-Beiträge von Edin De Goeij habe Opulenz und Filmmusikhaftigkeit reingebracht ins Bescheidenseinwollen. Nach Touren mit unter anderen Wye Oak und dem allgegenwärtigen Corona-Koma lassen sie auf „Evolution“ mit tollem Musikvideo, wie überhaupt die sehr einfühlsamen Naturvideos Braids Musik sehr schön bildlich untermalen, oder „Millennia“ tatsächlich ein mitreißendes musikalisches Lächeln und Strahlen los, das auch noch groovt wie zuletzt Standell-Prestons clubbiges, housiges, eher an Saint Etienne erinnerndes Dance-Projekt Blue Hawaii. Natur, Körper und Herz scheinen hier nicht nur in Bildern eine zentrale Rolle zu spielen. Wow, dieser Songtrack oder Tracksong wirkt wie die ersten blitzartigen Wallungen beim Kennenlernen, wenn du in einer Bar plötzlich die Turnschuhe deiner zukünftigen Liebsten anschaust, während sie noch eine Runde Drinks bestellt und merkst, dass da etwas wundervoll vollkommen Ungeahntes geschieht: Mini-Superhits, das. Braids schleichen schon seit 2011 um mich herum, immer mal wieder habe ich sie besprochen (u.a. 2011 in der „De:Bug“ und 2015 in „Die Aufhebung“, beides online leider nicht verfügbar) und auch wieder vergessen irgendwie. Seltsam. Nun sind sie wieder da. Ich werde sie festhalten. Kosmopolitisches Festhalten tut gut in unübersichtlichen Zeiten. Und auflegen.

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