Björk “Utopia”
Björk
“Utopia”
(Embassy of Music)
Vom besseren Zustand eines Lebens – oder von der neuen Insel Utopia
“Utopia”, das zehnte Album von Björk, ist ein Novum. Eröffnete bisher jedes Album der isländischen Künstlerin eine autarke, für sich funktionierende Pop-Welt, in der stets neue Ästhetiken und Soundbilder an ihre Grenzen gebracht wurden, fungiert “Utopia” als Antwort auf ihr großes Trennungsalbum “Vulnicura”. Auf den Herzschmerz folgt das Herzklopfen.
Wie immer kommt Björk zur rechten Zeit, um einen Begriff in den Ring zu werfen, den wir gerade so sehr benötigen. Die Utopie, der Entwurf einer besseren Welt, hat in der Popkultur der letzten Jahrzehnte ein Schattendasein geführt. An ihrer Stelle warnten Untergangsszenarien und Sci-Fi-Dystopien vor verkommenen Gesellschaften, die uns bevorstehen könnten. Während das Publikum sich an dem Spektakel, das diesen düsteren Zukunftsvisionen innewohnt, erfreute, wurde die Utopie nicht zuletzt auch in der Populärkultur zur uninteressanteren Randfigur.
Doch so gerne wir politische Vorstellungen als “utopisch” denunzieren, weil wir uns heute eher eine Zukunft in Trümmern statt eine hoffnungsvolle Zukunft ausmalen können, müssen wir eingestehen, dass lediglich die Utopie Antrieb für positive Veränderung sein kann – schließlich durchziehen Utopien jeden einzelnen Aspekt unserer Gesellschaft, von den großen Themen Politik, Soziales und Wirtschaft bis hin zum Körperbild oder unseren Beziehungen. Um einen Weg aus jeglicher Misere zu finden, halten wir uns an ihrem Leitbild fest, egal wie unwahrscheinlich ihre Versprechen auch erscheinen mögen.
Die Utopie war auch jener Begriff, den Björk brauchte, um ihrem persönlichen Trennungsschmerz der auf ihrem letzten Album “Vulnicura” vertont wurde, etwas entgegenzusetzen. Denn “Vulnicura”, ihr atonalstes Werk samt zitternden Arca-Rhythmen und sich verzehrenden Streichern, war das Soundtrack des Aufreißens und das allmähliche Verheilens dieser Wunde. Der Nachfolger “Utopia”, ebenfalls wieder mitproduziert von Kritikerliebling Arca, soll nun den Glück verheißenden Blick in die Zukunft wagen, um die “Hölle”, wie Björk ihre letzte Platte nannte, endgültig zu verlassen.
So handelt ihr zehntes Album nun vom Überwältigen alter Gefühle, dem Finden einer neuen Heimat und einem vorsichtigem Annähern an die Liebe. In “Blissing Me” besingt sie zu Harfenklängen eine aufkeimende Beziehung, die durch das Austauschen von MP3-Links entsteht:
“Is this excess texting a blessing? Two music nerds obsessing”.
Diese in Zeiten des Internets schon fast archaischen Schilderungen moderner Romantik finden in ihrer Utopie genauso statt wie das feministische Manifest “Courtship” oder die Naturmetapher “Body Memory”.
Die Themen Liebe, Politik und Natur bedingen bei der Animistin Björk einander und funktionieren erst in ihrem Zusammenspiel. Das Aufeinanderwirken von Elementen drückt Björk aber nicht nur in ihren Texten aus. Versiert wechseln sich hier mehrschichtige Choräle, zur Strecke gebrachte Drumbreaks, zwischen organisch und technoid changierendes Vogelgezwitscher und explodierte Flötenorchester ab, fließen zusammen und fallen auseinander.
Auch im Nachfolgerwerk verschließen sich die hauptsächlich von Björk und Arca arrangierten Beats allzu klaren Strukturen. “Utopia” rutscht immer wieder in die Clubkultur und kommt doch zum Orchestralwerk zurück. Björks Erzählung allein vermag es, dieses pulsierende Amalgam aus in der Luft hängenden Sounds zusammenzuhalten und zu ganzen Songs zu formen.
Björks “Utopia” ist beileibe keine Rückkehr zum leichtfüßigeren Popalbum geworden, wie viele bei der Ankündigung des Titels annahmen. Die Einsamkeit und die Zweifel an sich und ihrem Umfeld, die in “Vulnicura” regierten, finden auch noch in “Utopia” ihren Platz. Sicherlich, ihre Songs erscheinen fragil und ihr Optimismus für eine bessere Zukunft reichlich jung, aber wenn sich Björk in dem hymnischen Opener “Arisen My Senses” gegen euphorische Trommeln durchsetzt, dann erscheint es gar nicht mehr so abwegig, dass da doch noch eine Utopie kommen kann.