Weekend & Coffee w/ Jeff Parker, Irreversible Entanglements & Peter Evans
Jeff Parker
„Suite For Max Brown“
(International Anthem / Nonesuch Records)
Tortoise, Isotope 217, Chicago Underground Orchestra, Jeb Bishop Quartet, Activities of Dust, Scott Amendola Trio, die Liste an Bands, an denen Jeff Parker beteiligt war und ist, könnte man endlos fortführen. Das absurde: es wird einem erst bewusst, wo überall der Multiinstrumentalist involviert war, wenn man sich auf Discogs durchklickt, denn Parker ist keiner, der immer laut und präsent seinen Teil beisteuern muss, oh nein, er weiß um die Wirkungskraft von subtilen Gesten und die Bedeutung von bescheidenen Zuspielern für das Soundgefüge.
Davon zeugt auch „Suite For Max Brown“, sein neuestes Soloaalbum, auf dem alles Genregrenzen ignorierend fließt. Eicht einen der smoothe Opener „Build a Nest“, auf dem Parker’s Tochter Ruby singt, noch auf entspannten Jazz, so kreist das Interplay „C’mon Now“ in bester 90s HipHop-Manier um ein Otis Redding Sample-Loop herum (von “The Happy Song (Dum-Dum)” und daddelt im Anschluss „Fusion Swirl“ leicht irre und mit ordentlich Schabernack auf der Schulter auf dem reizvollen Gral zwischen Free Jazz und Freier Elektronik.
Und da Parker sehr genau weiß, was er macht, breitet er danach erstmal einen Klassiker neu aus, „After the Rain“, im Original von John Coltrane, von ihm gemeinsam mit Paul Bryan, Josh Johnson und Jamire Williams zurückgenommen interpretiert. Ein großes Plus des Alters ist es, dass man sich seinen Sturm und Drang Momenten bereits zu Genüge hingegeben hat, man empfindet die Souveränität einer Hommage nicht mehr als Aufgabe, sondern als sinnstiftende Vorgehensweise. Zumal pointiert eingefügt in das eigene große Setting.
Denn was die Albumtaktung angeht, macht Parker niemand so leicht was vor. Nachdem er mit „Metamorphoses“ ein kleines Korg-Glockenspiel folgen lässt, groovt er gemeinsam mit Paul Bryan, Josh Johnson, Katinka Kleijn, Rob Mazurek und Makaya McCraven in kaum mehr als zwei Minuten in “Gnarciss” zu einem Motiv von Joe Henderson (aus “Black Narcissus”) – welch Verschwendung sich so früh auszuklingen, aber dann eben nicht, denn wie bei einem guten Dub-Mix ist alles eine Frage des Timings; dieser Mut zur Kürze zeichnet „Suite For Max Brown“ aus und sorgt mit für den magischen Flow des Albums. Parker klammert sich nie an versammelten Mitmusiker_innnen und die gemeinsam geschaffenen Songs, sondern lauscht dem eigenen Instinkt für den großen Spannungsbogen – und auch den der Hörer_innen.
So hat es fast schon etwas Konzerthaftes, wenn man die letzten drei Songs des Albums hört: Kaum in der entspannte Monotonie von „3 for L“ (mit Jay Bellerose) angekommen, erwischt man sich wie die Angst vor dem Ende des Albums in einem hochkriecht, da man noch nicht möchte, dass es bald zu Ende sein soll – ich weiß, ein abstruser Gedanke, da ja eben ein Album und kein Konzert, so dass man jederzeit wieder ansetzen könnte, aber trotzdem… Mit „Go Away“ kehrt danach nicht nur die Stimme (von Parker selbst) zurück in den Sound, das Stück revitalisert auch Raum und Zeit – einmal mehr auf Basis von kreisenden Bass- und Sample-Motiven –, verschmelzt hypnotisch eine Ambient Grundstimmung mit wunderbarer Jazz Aufgeregtheit.
Das letzte Stück, „Max Brown“, bringt dann auf über zehn Minuten nochmals im Zusammenspiel mit Paul Bryan, Josh Johnson, Nate Walcott und Jamire Williams alles ein, was „Suite For Max Brown“ zu so einem herausragenden Album macht: Spielfreude ohne Egozentrik, Sensibilität für die Schönheit von reduzierten Arrangements und das Talent zu leicht laufenden Melodielinien.
Irreversible Entanglements
„WHO SENT YOU?“
(International Anthem)
Wie bekommt Camae Ayewa eigentlich ihr Leben gewuppt? Wie kann eine einzelne Person auf so vielen Bühnen stehen und an so vielen Platten beteiligt sein? Als ich sie vor drei Jahren im Rahmen des Moog Festivals in Durham, North Carolina interviewte, erzählte sie, halb lachend, halb den Kopf schüttelnd, dass sie einfach nicht nein sagen könne, wenn jemand sie ansprechen würde. Nun, immerhin scheint es ihr – von der Qualität der Artefakte und Konzerte kommend – zu gelingen, dass nur die richtigen fragen dürfen.
Mit „WHO SENT YOU?“ knüpfen Keir Neuringer, Aquiles Navarro, Luke Stewart, Tcheser Holmes und Camae Ayewa an ihr selbstbetiteltes Debut „Irreversible Entanglements“ an – und der Titel macht sofort klar, dass die vielen Shows, die die Band in den letzten drei Jahren absolviert und all die Anerkennung, die sie dabei erfahren hat, ihnen nichts von der Traurigkeit und Wut und der Dringlichkeit geraubt hat. Denn abseits der reinen logistischen und körperlichen Herausforderung all der Projekte und Auftritte, fasziniert an Camae Ayewa wieviel inhaltliche Schwere sie sich auflädt. In ihren Texten geht es immer, und so auch auf “Who Sent You”, um den düsteren Strom der afroamerikanischen Geschichte und dessen Mündung im Jetzt. In ihnen verstärken sich energisch-eindringlich die Mystery und History der Straßen ihres Heimatlandes, um ein Wortspiel aufzugreifen, dass der blue eyed Songwriter Jochen Distelmeyer im Blumfeld Song “Verstärker” geprägt hat. Der Sound dient in dieser Hinsicht bei Irreversible Entanglements immer der Botschaft, er begleitet die aufgewühlte Anspannung von Camae Ayewa’s Worten, aber, und das zeichnet ihn aus, er erlaubt uns, was sie uns verwehrt und was sie sich selbst nicht zugesteht: kurze Momente des Durchatmens, ja manchmal gar des Träumens, auch wenn es nur Sekunden sind und das Aufwachen ein grausames zumeist.
Man kann “Who Sent You?” nicht losgeläst von seinen Themen lesen: Post-Katrina, Post-Osage Avenue, Post-Obamacare, man kann es auch nicht ohne sie hören. Denn wenn sich aus dem fast 15 Minuten langen “Who Sent You – Ritual” die titelstiftende Frage zu einem Stakkato der Worte emporreckt, mehr Verhör denn Dialog, gestützt vom Abgründe öffnenden Saxophon von Keir Neuringer, dann braucht es keiner weiteren Worte mehr um zu verstehen, was uns eh klar sein sollte: an manchen Orten ist die Welt ein so abgefuckter Ort, dass dort kein Glaube an das Gute mehr herrscht, hier kann man nicht einfach vorbeischauen und denken, man könne mal eben seinen Impuls setzen und weiterziehen. Nein, so geht das hier nicht – zumal, seien wir mal ehrlich, mit Altruistischen Idealen schaut am Ende kaum jemand wirklich vorbei. Und so wird bereits nach einem Drittel des Songs verkündet: “Here comes the end”. Plötzlich ist alles sehr laut und textuell verdichtet, es klopft, es rüttelt, es geht “into the dark” –eine unheilvolle Stille tritt ein, bevor es wieder einmal das Saxophon von Keir Neuringer ist, das alles an sich reißt, diesmal im Dialog mit dem ultra lebendigen, da so unvermittelt rau klingenden Schlagzeug von Tcheser Holmes.
Das territoriale Motiv legt es nahe, Irreversible Entanglements in die Tradition von Sun Ra sowie Alienation- und Eskapismus-Diskursen zu stellen, doch das Quintett ist viel diesweltlicher ausgerichtet, konfrontiert die soziopolitischen Missstände im hier und jetzt direkt statt neue Welten zu heraufzubeschwören. Auch die fast schon melancholisch-süsslichen Jam-Sounds am Ende von “Who Sent You – Ritual” können nicht darüber hinwegtäuschen, Camae Ayewa mag manchmal träumen, aber ihre Träume sind es nicht, die ihre Songs tragen, es sind ihre Albträume. Wenn dieses fantastische Album mit “Bread Out Of Stone” endet, mögen “Time and Space” zwar vereint sein, um es mit den Worten von Camae Ayewa zu sagen, und darf der Bass fast schon versöhnlich zupfen, aber das Brot ist noch immer steinig – und wird es wohl leider auch auf absehbare Zeit bleiben.
Peter Evans
“Being & Becoming”
(More is More Records)
„Our time is marked by an incredibly superficial, spiritually empty social landscape. I feel this interacts with politics and affects the situation extremely negatively. Music such as this is trying to show a different and deeper way human beings can interact and co-exist. For me the most important thing accentuated in the music is the combination of individuals self-realizing their own voices and potential, all while in the service of a greater and communal goal. There is something vaguely Utopian about it, and it’s interesting to me how such a constructed society sounds! Improvised music/Jazz does come from a pretty specifically political tradition, both in USA and Europe and I think that’s something that should be retained. I look at my own work as coming from a kind of Humanist type thought, which is extremely out of fashion these days, haha, but desperately valuable.“
(Peter Evans in einem Interview mit Kaput aus dem Jahr 2019)
Being & Becoming, die neue Formation, die Peter Evans mit Joel Ross, Nick Joziwak und Savannah Harris gebildet hat, versucht all das hier von Evan gesagte in das Band-Biotop einzubringen: Die vier Musiker_innen und ihr Instrumentarium aus Trompete, Vibraphone, Bass, Schlagzeug und Percussion begegnet sich mit großer Hochachtung und Verständnis für die jeweiligen menschlichen und künstlerischen Eigenschaften und Eigenheiten, sie fordern sich aber gegenseitig heraus, es sich nicht in diesem Status der Akzeptanz und Routine bequem zu machen, sondern gemeinsam den nächsten Schritt zu gehen und ein neues Soundparadigma zu erschaffen, eines das abseits des bereits abgesteckten Terrains liegt.
Man muss die vier mögen für diese hohen Ideale und Ambitionen, die sie dem Projekt aufbürden, aber auch für den geradezu augenzwinkernden Humor, mit dem sie es angehen und beispielsweise das erste Stück „Matrix“ nennen, um damit gleich Mal die Schwere rauszunehmen und Raum für das spielerische Momentum zu schaffen. Überhaupt gelingt es ihnen mit „Being & Becoming“ scheinbar problemlos, einen akademischen, formal-strengen Approach mit geradezu kindlicher Improvisationslust zu verbinden. So öffnet sich im weiteren Albumverlauf ein „Wormhole“, hinter dem sich eine „Sphere“ mit „Double Drone“ auftut, an deren Ende man wieder zum „Point of Return“ zurückkehrt – wobei das natürlich kokett formuliert ist, denn auch wenn der Ort derselbe sein mag, so sind wir alle nicht mehr diesselben wie am Anfang der gemeinsamen Reise.
Wer danach noch Lust auf mehr neue Musik hat, auch das neue Album von Alabester DePlume, „To CY & Lee: Instrumentals Vol.1“ ist ebenfalls sehr zu empfehlen. DePlume ossziliert darauf zwischen asiatisch-psychedelisch anmutenden Soundscapes und mit Staub-Patina belegten Jazz.