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Die Nerven „Die Nerven” / The Düsseldorf Düsterboys „Duo Duo”


18. Oktober 2022,

Die Nerven
„Die Nerven”
Glitterhouse/Indigo

Während deutschsprachige Bands, die mit Noise in jeder Hinsicht, also nicht nur klanglich, spielen, wie zuletzt Gewalt oder – ganz anders – Raison für mich im positiven Sinn ‚Haufen von Geschichte‘ (Blumfeld) mitschleppen, fielen für mich seinerzeit Acts wie Karies, Messer (deren Hendrik Otremba das Presse-Info zum neuen Album auch gleich verfasst hat), Candelilla, Friends of Gas aus den dunklen Wolken mitten vor meine fiependen Ohren und wippenden Füße.

Zur letzteren Gruppe gehörten fulminant Die Nerven: Irgendwas zwischen scheinbar arrogant-schnöselig, Shellac-hafter Schalkigkeit nicht nur bei Albumcovern mit eleganten Hunden, superjung und niemals geradeaus blies mich live und auf Album komplett unanalytisch weg. Und darum geht’s doch bei guter Musik.

Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn sind über fünf Alben einprägsame Typen mit unzähligen anderen Projekten geblieben, die mit Die Nerven einfach alles zusammenschmeißen und zusammenkrachen lassen. „Und ich dachte irgendwie, in Europa stirbt man nie“ („Europa“) ist die wohl tragisch-schönste Aussage zu ‚unserem‘ Kontinent seid Jürgen Habermas‘ Textsammlung „Ach, Europa“ von 2008; kurz bevor Die Nerven sich im Stuttgarter Raum explosionsartig einmischten. „Deutschland muss in Flammen stehen, ich will alles brennen sehen“ („Ich sterbe jeden Tag in Deutschland“), weist den Weg, vielleicht auch doppelbödig. Traue ihnen nicht. Und doch. Wer singt hier eigentlich?

Auf diesem düster-biestigen Album wird es eine/m nicht leicht gemacht, und das ist gut so. Wir sind nun wirklich nicht mehr nur zum Spaß hier (vgl. auch zu „problematic times“ mein kleines Interview mit Stephen Mallinder hier neulich). Wo Mallinders Cabaret Voltaire und Solo-Acts eher an Industrial und Techno orientiert sind, haben die immer noch irgendwie total jungen Nerven, die sich durchaus gesellschafts(selbst)kritisch anti-etbaliert und anti-privilegiert geben („Ganz egal“, das allen unterkomplexen Dumm-Querdenkenden um die Ohren gehauen gehört) angriffslustig die spannenden Seiten von Punk, Post Punk, NdW (so geschrieben!), Noise und No Wave vereint, ohne dass die Referenzen beim Hören wichtig wären. Die kommen erst beim Nachdenken ins Spiel.

Sie werden immer zorniger und besser, Opulenz und akustische Gitarren können ihnen gar nichts und wird unpeinlich ganzheitlich hinweggefegt. Das Revival der Ehrlichkeit (nicht der Authentizität oder Wahrheit) darf beginnen. Immer wieder. Und immer neu. Auch beim Ende der Welt, wie wir sie kennen. Im erdigen Glanz. Alte/r, was für eine feedbacklastige Woche, erst Mudhoney live und grinsend und nun dieses wilde Ding hier. Ich muss pogen. Zur Liebsten.

The Düsseldorf Düsterboys
„Duo Duo”
(Staatsakt/Bertus/H‘Art)

Ganz anders im gesamtästhetischen Ansatz scheinen zunächst die Düsselorf Düsterboys, die mich über einen nicht unbekannten, wunderbaren Internet-Radiosender mit B einst erreichten, als ich im Anti-Düsseldorf Köln-Nippes saß und plötzlich auf sie aufmerksam wurde. Kein schlechter Einstieg, aus Hintergrund- zu Vordergrundmusik zu werden. Mit Peter Rubels und Pedro Goncalves Crescentis andere Band International Music hat mich noch nicht so erreicht, das erste Album „Nenn mich Musik“ (2019) freilich verzögert, aber um so mehr. Nicht unbeteiligt bwar auch ihre Mitarbeit am Neustart-Album der Sterne von 2020.

Eine seltsame Band mit seltsam verbreiteter seltsamer Stimmung. Nicht ganz unironisch, um es mal nicht ganz unironisch auszudrücken. Tatsächlich mich immer wieder an die gebrochen, entrückten balladesken Momente der spielerischen Velvet Underground erinnernd, wenn auch sehr viel flachsender. Und als „Folk-Band“, wie bei Wikipedia, habe ich sie nicht unbedingt gesehen. Obwohl. Im Dark oder sogar Gothic Folk mit kitschy und catchy Augenzwinkern sind sie gar nicht so weit von Aldous Harding, Carla Del Forno oder Bill Callahan entfernt. Höre mal etwa „Stars/Sternchen“ oder „Ab und zu“ mit fast schon softpornoeskem Einschlag. Ebenso wird einfach mal gejangelt und geshuffelt in dem fast schon frechen „Füße“ oder dem nicht weit von Nick Drake erklingendem „Lavendeltreppen“. Und gleichzeitig sind sie auf der Meta-Ebene unterwegs, was manchmal etwas abgehoben ist, am Schönsten sind für mich die eher nahen, kuscheligen Momente. In den Reflexionen der DD setzt im Übrigen eine Anschlussmöglichkeit zu Die Nerven an: Die Welt ist nicht gut, wir sind es auch nicht, und nun schauen wir mal, was wir damit machen können. Solcherlei Gedanken scheinen beide Bands zu bewegen. Wo Die Nerven brachialer knallen, streuen die DD auch mal flüsternd filmmusikartige Piano-Miniaturen wie „Danke, B.“ oder dem hymnischen „Interlude“ ein. „Das erste Mal“ zeigt die Gebrochenheiten der DD, denn sowohl Meta als auch komplette Nacktheit funktionieren hier gleichzeitig; inklusive Ausflüge in üppig orchestrierte Soundtracks verhuschter osteuropäischer Märchenfilme oder psychedelische Welten. Gelacht wird hier nicht, höchstens gelächelt. Auch dafür – siehe oben Die Nerven – sind die Zeiten denn doch wohl zu unsicher.

Beide Bands gehen im begonnenen Herbst übrigens ausgiebig auf Tour, wenn Corona uns alle hoffentlich rücksichtsvoll rücksichtslos zusammenkommen lässt.

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