Record of the Week

Gianni Brezzo “Traditional Heart”

Gianni Brezzo
“Traditional Heart”

Mit „Traditional Heart“ veröffentlicht Gianni Brezzo nach „Masala Kiss“ (zusammen mit Cass) und „New Magic“ im Eiltempo sein nunmehr drittes Album innerhalb von zwei Jahren. Das Brezzo-Projekt wiederum ist selbst nur ein Kanal unter vielen. Ein Grund mehr sich zunächst die blanken Zahlen anzuschauen.

Ein Beitrag von Ronald Roettel

5, 2, 4, 7 und 23, ebenso so viele Aliasse, Kollaborationen, LPs, EPs und Singles gehen alle mehr oder weniger auf den Kölner Musiker/Produzenten Marvin Horsch zurück. Gianni Brezzo, benannt nach seinem aus Catania stammenden Großvater, ist dabei sicherlich sein ambitioniertestes Projekt. Meine erste Begegnung mit Gianni Brezzo war vor ungefähr vier Jahren bei seinem “Köln ist Kaput”-Konzert im Gold + Beton – inklusive anfänglicher Irritationen: Horsch selbst stand nicht auf der Bühne, sondern im Publikum und schaute sich (hin und wieder einigen Leuten zuprostend) sein eigenes Konzert aus der zweiten Reihe an. Vier befreundete Jazz-Musiker:innen, die perfekt vom Blatt abspielten und nur bei den hiphopigen Stellen im Rhythmus ab und an kleine Unsicherheiten einstreuten. Auch bei Interviews und auf Pressefotos ließ er sich gerne vertreten, natürlich ohne dies eigens kenntlich zu machen.

Solche Spielereien mit dem eigenen Image sind merklich weniger geworden. Vielmehr scheint der Ansatz bei „Traditional Heart“ ein anderer zu sein. An die Stelle von Kritik und spielerischer Reflexion auf die Produktions- und Formatbedingung des Popbetriebs tritt etwas anderes. Gewissermaßen ein Mischmasch aus Tendenzen des Pop im digitalen Spätkapitalismus. Laut Infosheet zum Album, ging es bei „Traditional Heart“ diesmal mehr um den ‚Prozess des Musikmachens‘, als um ‚das Produkt‘.

Marvin Horsch & Cass (Photo: Jens Tiemann)

Ganz ohne dieses geht es aber auch nicht. Will man sich ein Auskommen als Musiker:in abseits des Mainstreams sichern, spielt dies zwangsweise eine Rolle, ob man will oder nicht. Dieses Paradox gilt es auszuhalten – welche Haltung aber einnehmen? Horsch wählt für das Brezzo-Projekt eine Mischung aus Pragmatismus und ironisch-distanzierter Bejahung der Verhältnisse. Liveauftritte werden rationiert. Das kürzlich gemeinsam mit dem Osnabrücker Ambient-Musiker Cass gegebene Konzert in der Kölner Philharmonie stellt hier eher die Ausnahme dar. In der diffusen Welt algorhythmisch kuratierter Spotify-Playlisten dagegen erblüht das Projekt geradezu und fühlt sich in der dort vorherrschenden Anonymität vielleicht sogar etwas wohler als auf der hellerleuchteten Bühne des Pop.

Marvin Horsch (Photo: Robert Winter)

Gleich die ersten zwei Stücke, „Adult“ und „Henry“, markieren den wohl markantesten Unterschied zwischen „Traditional Heart“ und seinen Vorgängen: den Verzicht auf einen durchgängigen Rhythmus. Nur „Moof!“ und „Mental Shower“ werden von einem Schlagzeug begleitet. Ansonsten schwebt das Saxophon frei auf den Akkordarrangements, wahlweise bestehend aus gezupften Gitarren oder arpeggierten synthezizeresken Sounds. Bereits auf „New Magic“ waren die gesampelten Beatversatzstücke (wie etwa noch auf „Limonata“ und „Tambori Blue“) längeren Liveaufnahmen gewichen. Der Verzicht auf ein durchgängiges Schlagzeug scheint nun ein weiterer Schritt auf diesem Pfad zu sein.

Stilistisch grenzt sich „Traditional Heart“ nicht arg von seinen Vorgängern ab und bleibt im Grunde genommen experimentelle Popmusik mit Jazzverweisen. Bei „Hickup“ und „More Hours“ hört man zudem den Ambient-Einfluss aus der Zusammenarbeit mit Cass raus, bei „Guitar“ fühlt man sich ganz kurz (zugegebenermaßen mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen) an die „…cause I know I don’t belong..“- Stelle aus Eric Claptons „Tears in Heaven“ erinnert und ab und an meint man den frühkindlichen Einfluss sizilianischer Folklore in Melodiebögen durchbrechen zu hören, wie etwa bei „Henry“. Dass das nur ein fades Romantisieren von künstlerischer Herkunft und Identität im (Post-)Internetzeitalter ist, dessen ist man sich bewusst. Macht aber nichts. Was alle Stücke zusammenhält, ist eine wunderbar-magische Atmosphäre, die mitunter besänftigend und auf gute Art sedierend wirkt.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!