Hope Sandoval And The Warm Inventions “Until the Hunter”
Hope Sandoval And The Warm Inventions:
“Until the Hunter”
(Tendril Tales / Ingrooves / Rough Trade)
In einer Review zum neuen Album von Hope Sandoval And The Warm Inventions stand zu lesen, dass es sich um Musik ohne konkrete Botschaften handele, zum Aussteigen aus dem Tagesgeschäft gut geeignet, aber eher nicht für Leute, die sich Kommentare zum Weltgeschehen erhofften. ???
Das fand ich einigermaßen bemerkenswert, denn von einer Platte von Hope Sandoval (Hope Sandoval!) will ich bitteschön so dermaßen weit weg vom Tagesgeschäft gezaubert werden, dass der Begriff Eskapismus diesen Zustand nur unzureichend beschreibt. Aber es kann ja gut sein, dass die jungen Leute von heute darauf geeicht sind, aus jedem Ton, jeder Silbe und jeder Schattierung auf dem Cover eine Wasserstandsmeldung zur Gesamtsituation lesen zu wollen – und von einer Qualle mit Bäumen drin auf blasslilablauem Farbverlauf dann verständlicherweise enttäuscht sind. Und womöglich haben diese jungen Leute sowieso noch nie von Hope Sandoval gehört; ich dagegen habe schon gestandene Punkrocker am Tresen in ihr Bier weinen sehen, wenn eine Mazzy-Star-Cassette lief. Zugegeben, das ist eine Weile her. Und Mazzy Star veröffentlichten vor drei Jahren ein Album, über das man mit Fug und Recht sagen konnte, dass es nahtlos an “Among My Swan” anknüpfte, das 1996 erschien – also nicht wirklich Neues bot.
Auch mit ihrem Nebenprojekt The Warm Inventions mit Colm O’Ciosoig (My Bloody Valentine) schwelgt Hope im abgedunkelten, warmen, leicht entrückten und schwer greifbaren Gemisch aus Folk und Country, für das man eigentlich gar keine Genrebezeichnungen wählen will, weil diese Musik und vor allem diese Stimme aus jeder Schublade sofort herausschwebt wie ein fragiler, nachtblauer Falter. “Until the Hunter” entstand aus verschiedenen Aufnahme-Sessions, die Hope und Colm in den Martello-Türmen an der irischen Küste abhielten – gut möglich, dass die anti-napoleonischen Bollwerke die musikalische Stimmung hin und wieder beeinflussten, klingen Songs wie “I Took A Slip”, der Opener “Into the Trees” oder “The Peasant” doch ungewohnt energisch, und ja, es gibt sogar folkige, lebhafte Handclaps! Aber das sind Ausnahmen, es überwiegen elegische, sich viel Zeit nehmende Stücke wie “Liquid Lady”, in denen eine leise Slide-Gitarre Sandovals rätselhafte Naturlyrik dezent untermalt.
Sehr toll und sogar ein bisschen soulig ist “Let Me Get There”, das Duett mit Kurt Vile geraten; auf Vile konnten sich Sandoval und O’Ciosoig sofort einigen und tatsächlich passen seine verschlunzt-verschleppten Vocals ganz wundervoll in dieses Lied, auf dieses Album, zu Hope.
Und ach, wem “Until the Hunter” tatsächlich zu wenig in-your-face-politics beinhaltet: “I will do what I want” haucht Hope Sandoval in “A Wonderful Seed”. Nehmt das!
Christina Mohr