Giorgio Moroder “Déjà Vu”
Giorgio Moroder
Déjà Vu
(Sony Music)
Ich kenne ja Leute, die regelrecht Angst davor hatten, dieses Album zu hören: Groß war die Furcht, dass sich der 74jährige Pionier und “Altmeister” der electronic disco hemmungslos an den Sound jugendlicher Epigonen ranschmeißen würde, die doch alle von ihm, dem Synthie-Wizard, dem Superproducer aus Südtirol, gelernt hatten.
Und auch meine beiden potentiellen Co-Autoren dieser Kolumne gaben kurz vor Schluss fadenscheinige Begründungen (Geburtstag, eigene Auftritte) an, weshalb sie leider nichts zu „Déjà Vu“ schreiben könnten – na sowas. Ok, die Erwartungen sind natürlich immens angesichts der Tatsache, dass „Déjà Vu“ Hansjörg „Giorgio“ Moroders erstes Soloalbum seit über dreißig Jahren ist. Aber die Messlatte liegt ja nur deswegen so hoch, weil alle immer Moroders Großtaten wie „Love To Love You Baby“ und „I Feel Love“ (Donna Summer), Millionen Film-Soundtracks und Blondies „Call Me“ ins Feld führen, oder – aus der jüngeren Vergangenheit – seine Beteiligung an Daft Punks „Random Access Memories“.
Dieser Mann hat aber auch ganz andere Sachen zu verantworten, zum Beispiel eine Reihe von WM- und Olympia-Hymnen. Ich sag‘ nur „Reach Out for the Medal“ (von 1984 und featuring Paul Engemann), „Hand in Hand“ (von 1988, Koreana) und „Un Estate Italia“ von 1990, geschmettert von Gianna Nannini und Edoardo Bennato. Hält man sich diese berg-und-talbahnartigen Unterschiede vor Augen, ist man bestens gewappnet für „Déjà Vu“, das, soweit ich mich entsinnen kann, das erste Album ist, in dessen digitalem Promo-Package ein Link zur Markus-Lanz-Talkshow steckt. Vielleicht als Wink, um welche Zielgruppe es hier geht. Deswegen kann ich locker und entspannt, quasi als Außenstehende über „Déjà Vu“ reden, denn das Ganze betrifft mich ja nicht direkt. Die gleichnamige Single mit Gastsängerin Sia ist schon mal ziemlich furchtbar, hymnischer (schon wieder) Radiopop mit aufgesetzt guter Laune, also unerträglich. Anders als beim letzten Kaput-Record-of-the-Week (Hudson Mohawke) sind die GastsängerInnen – abgesehen von Sia – sehr nützlich für Moroder, der alleine im Studio womöglich in einen unendlichen Space-Discofoxrausch geraten wäre, wie sich an den instrumentalen Stücken absehen lässt, die klingen wie Daft Punk ohne Daft Punk. Die Stimmen junger Menschen wie Mikky Ekko oder Matthew Koma geben Moroder Halt und Orientierung, schützen allerdings nicht vor heftiger Schleimabsonderung wie in Ekkos Powerballade „Don’t Let Go“. Britney Spears‘ Interpretation von Suzanne Vegas „Tom’s Diner“ ist ein Fall für sich, zu dem ich mich noch nicht äußern kann, das muss ich noch ein paar Jahre lang verdauen. Giorgios Non-stop-Feelgood-Dancing-Inferno (sorry, James Last ist gerade verstorben) funktioniert allerdings prima mit Kylie Minogue, deren Stimme in „Right Here, Right Now“ vielleicht ein klitzekleines bisschen zu doll durchs Autotune-Kabel gepresst wurde, aber ansonsten: Eins-A-Disco-Track mit den Fanfaren an den richtigen Plätzen, ebenso wie „Diamonds“ mit Charli XCX und „Back and Forth“ mit Kelis. „Wildstar“ mit Foxes (die sich wohl nach Adrian Lynes gleichnamigem Film mit Jodie Foster benannt haben, dessen Soundtrack selbstredend von Moroder stammt – das GM-Universum ist zwar groß, aber geschlossen) passt gerade noch in die Dance-Schublade, schrammt aber nur um Haaresbreite an einer Havarie á la Sia vorbei.
Wir fassen zusammen: „I Feel Love“, WM-Hymnen der Achtziger Jahre, Discofox, Britney Spears, Markus Lanz. Wer jetzt bei sich denkt, dass das Schöne und das Schreckliche doch manchmal sehr dicht beieinander liegen, und das aber nicht laut sagen will, weil es allzu klischeebeladen klingt – ach was, immer raus damit! So macht es Giorgio Moroder schließlich auch.
Christina Mohr