Karies „Tagträume an der Schaummaschine I”
Karies
„Tagträume an der Schaummaschine I”
(This Charming Man/Cargo)
Ist das kaputt, vor nun auch schon wieder über sechs Jahren feierte ich das phantastisch-pulsierende leuchtend-dunkle zweite Karies-Album „Es geht sich aus“ in der „Spex“ ab. Die und das gibt es leider nicht mehr online zu lesen. Aber auf meinem Rechner. Feine schlechte Laune nannte ich das seinerzeit.
Sozusagen – und so rollten mir Karies live über den akustischen Weg – die Nerven bloß legend. Selten erlebt, dass mein guter (auch) Musikfreund Thomas und ich sofort nach dem Konzert zum Merchandise, nun ja, eilen und das erste Album kaufen. Eine dunkle Feier der Stuttgarter Überraschung. Fünf Jahre nach dem auch sehr tollen Drittling „Alice“ nun die Tagträume und die große Frage, was mit der virtuellen Schublade, in der auch Messer, die bereits erwähnten Nerven, Candelilla, Stella Sommer, EA80, Human Abfall, Jonnine Standish/HTRK, Lost Rivers oder Gewalt niemals naiv-lächelnd herumtollen, passieren wird? Und ganz ehrlich, beim ersten Hören war ich fast ein wenig abgeschreckt. Was kultürlich an meiner Kognition liegt. Denn nur kurz und bei oberflächlichem Reinhören driftet mir „Coming of Age“ irgendwie ein Stück zu weit in Richtung mediokerer NdW (gerne dann eben auch NDW) ab. Karies triggern bei mir da offenspürbar Abwehrreflexe gegenüber Nena, Joachim Witt oder gar Peter Schilling. Und ganz vorsichtig scheint hier auch Doof-Wave der 19080er und 1990er auf. Igitt.
Aber das ist ja mein Problem („Failed State of Mind“), zumal wahrscheinlich jüngere Kognitionsverarbeitungsinstrumentarien das undramatischer hören mögen. „Karibik“ scheint mir für sie wie einst „Monotonie“ für Ideal eine Extrakurve zu sein. Doch, es deutete sich an, nun die gute düstere Nachricht bei genauerem Lauschen: Diese Assoziationen verschwinden wieder, je mehr und länger ich mir diese schaummaschinellen Tagträume gönne. Und mich einfach klanglich fallen lasse. Da kommt sogar die alte Drumbox-Liebe zu den frühen Sisters, Red Lorry Yellow Lorry, Siouxsie & The Banshees und March Violets wieder hoch. Warum sollten Karies das nicht auch erleben dürfen? Waren wir nicht alle auf die eine oder andere Art mal (New) Waver?
Talking about „new“ und „neu“: Karies pflegen all das in ihrem ja von Grund auf eher an den Wipers orientierten untergehenden Hymnenminimalismus ein (kommt bei „Willy“ per Besen wieder), hauen neben dem Älterwerden gleich noch Wachliegen, Strandkrähen und Maradona mit raus bzw. rein („Secondiglianao“). Viel Bewegung statt ‚keine Bewegung‘, insgesamt etwas mehr Synthetik als Gitarre/Bass/Schlagzeug, Kraftwerk und Rheingold als Postpunk – und sogar Big Beat-Anleihen auf dem vorläufig finalen „Nicht wir werden“. Schadet nicht. Nicht täuschen lassen. Mensch, Karies, also doch wieder wundervoller Verfall bei allem verliebten Leuchten. Wie sagte ich gestern noch zu meinem weiteren (auch) Musikfreund Carsten: „Besser wird es nicht“. Je nach Blickwinkel. Karies trösten und treiben es weiter – doch ganz toll. Bleibt nur die Frage nach der „II“.