Stella Sommer „Silence Wore A Silver Coat”
Stella Sommer
„Silence Wore A Silver Coat”
(Buback/Indigo/Zebralution)
Kulturell gesprochen kommt das Qualitative vor dem Quantitativen. Und gibt es keinen Zusammenhang zwischen Menge und Güte. Gleichwohl ist es schon bemerkenswert, wenn eine Musikerin 24 neue Songs veröffentlicht, die allesamt keine nur sekundenlangen Snippets, ein Hörspiel oder Gags sind.
Stella Sommer hat uns diese werkhafte Opulenz bei musikalischer Reduktion bereits mit ihrer Band Die Heiterkeit und deren phantastischem Doppelalbum „Pop und Tod I & II“ 2016 geschenkt; darauf der Überlebensrettungssong „The End“ mit den umarmenden Zeilen „Wenn es soweit ist, werden wir es wissen. Es kommt immer anders als gedacht. Es wird in Ordnung sein.“ Danke nochmals.
Irgendwie schien ja immer klar, dass die nur scheinbar ausdruckslosen oder sogar heruntergezogenen Mundwinkel ganz schön strahlen können. Sommers Soloalben entfernen sich trotz des zunehmend Englischsprachlichen von verhuscht-traumhaften und nur vermeintlich possierlichen Indie-Helden*innen wie Galaxie 500 oder Britta und der ostentativen und damit gebrochenen deepen Kälte von Nico oder Marianne Faithfull hin zu etwas ungeniert Seelenhaften. Sommer taut auf, beschreibt es Andreas Borcholte jüngst in seiner Rezension zum neuen Album auf Spiegel Online. Ich würde gleichziehen und dann entgegensetzen, sie war nie richtig gefroren, wenn sie auch von „Frozen Air“ singt.
Nun hat die Tausendsasserin auch noch alles selbst aufgenommen und produziert und sogleich das Zurverfügungstellen ihres Albums bei den üblichen Streamingdiensten untersagt. Ziemlich viel Autonomie, die diese faszinierende Songwriterin immer umweht. Gepaart mit jenen kleinen Durchblicken, wenn sie auf der Bühne lächelt oder am T-Shirt-Stand gar nicht mehr ganz so fern wirkt. Das wird kein Pseudo-Stalking jetzt, sondern soll rein spekulativ die Mischung aus bannender Unnahbarkeit und tröstender Alltäglichkeit in Sommers Kommunikationsangeboten zu verstehen versuchen.
Zu Sommers mitgeschleppten Paradoxien habe ich mich im Zuge ihres von Max Rieger produzierten letzten unverfrorenen Albums „Nothern Dancer“ bereits hier geäußert. An dieses schließen die neuen Songs, die offenbar aus einem viel größeren Fundus ausgewählt wurden, prätentiös an. Lieder wie das getragene „A Single Thunder in November“ erweitern den Sommerschen Kosmos gleichwohl deutlich in Richtung eines gloomy-doomy und doch federnden Nancy Sinatra/Lee Hazlewood-Touchs. In einer besseren Welt würde Stella mit dem leider viel zu früh verstorbenen Epic Soundtracks orchestralen Indie Soul mit dunkel-leuchtender Attitüde spielen und vielleicht ja auch über die zum Laufen gedachten Stiefel singen; oder die den Berg herauf zu rollenden Steine; oder das Rennen in das verlassene Ödland. Ich finde da ganz viele Gemeinsamkeiten, nicht nur das Reisen, Schweben und Mäandern durch den Nebel (bei Stella in L.A., bei ihm London) oder die nächtlichen Großstadt-Lichter (Epic).
Die neuen Songs wirken seltsam dick auf- und schimmernd dünn abgezogen. Der Titelsong übernimmt die wundervoll-königinnenliche Jangle-Grandezza aus der glamourösen Gosse der letzten Alben und Heiterkeiten. Sommer behält ihre dunkle Feierlichkeit bei, scheint über das Englische fast noch ein Stück näher bei sich angekommen. Ozeanische Ankunft ist sowieso das Wort des Moments. In der Dynamik aus Bittersweetness und Sweetbitterness, manchmal mit fast postpunkig-aufhorchen lassendem Nichtgesang („Under the Weeping Mulberry Tree“) und eher folkigen Mini-Ohrwürmern („In My Darkness“), die nunmehr transnational zu funktionieren scheinen, eckiger als Weyes Blood, straighter als Aldous Harding, sehr wohl aber in deren spektakulärem Universum unterwegs. Ich spiele sie alle drei hintereinander und weine ein bisschen vor Glück, über diese Musik, über die, die da gehen und kommen und über die Liebe daheim.