Record of the Week

Slowdive “Everything Is Alive”

Slowdive
“Everything Is Alive”

Um etwas weiter auszuholen: Die Abstände passen haargenau, ein drollig gekleideter Schauspieler (häufig Bill Murray) ist exakt in der Bildmitte platziert und jedes noch so unbedeutende Detail im richtigen Pastellton gefärbt – die damit nur angeschnittene, ultra-originelle Filmästhetik des schon längst ikonischen Regisseurs Wes Anderson ist derart unverkennbar, dass sie mittlerweile zum Meme geworden ist. Regelmäßig wird sein visueller Stil von irgendwelchen TikTok-Usern nachinszeniert, weil so schwierig kann das ja nicht sein, und sowieso wird in Gesprächen häufig so getan, als wären Andersons Werke nicht viel mehr als eine Aneinanderreihung der beschriebenen Charakteristika. Es dürfte klar sein, dies ist keineswegs der Fall. Eine zumindest auf den zweiten Blick tragische Darstellung von Dysfunktionen im Familienkontext kennzeichnet seine Filme beispielsweise genauso, mindestens, und sowas kopiert man ja nicht mal eben.

Nun aber zum ebenso dröhnenden wie introvertierten Musikgenre Shoegaze, in dem fast alle E-Gitarristen bei Liveauftritten scheinbar auf ihre Schuhe (daher der Name) starren, eigentlich aber auf ihre zahlreichen Effektpedale glotzen. Mit geschlossenen Augen weiß dann am Ende kein Außenstehender mehr so richtig, ob hier gerade eine, zwei oder dreißig Gitarren durch den Raum schweben. In den langlebigsten Songs gibt’s dazu dann zuckersüße Gesangsmelodien, die durchgehend in diesem Soundmeer zu ersaufen drohen. Worte sind dabei kaum noch zu entnehmen – im besten Fall ist das jedoch schnurz.
Mittlerweile existieren auffällig viele Bands, die lediglich auf ein paarsolcher Effektgeräte hinsparen, jeden Regler komplett aufdrehen, anschließend mit unschuldigen Vocals über diesen verwaschenen Lärm singen und dann meinen, dass das jetzt ein wertvoller Shoegaze- Song sei. Sieht vielleicht einfach aus, doch ähnlich wie bei Wes Anderson steckt da natürlich mehr dahinter. Was genau man letztendlich mit solchen Zutaten anstellt, ist und bleibt die große Frage.

 

Womit wir dann zu Slowdive, einer der legendärsten Shoegaze-Bands aus Großbritannien, und ihrem fünften Album “everything is alive” kommen. Die Genre-typischen Merkmale fallen sofort auf: E-Gitarren durchtränkt in Hall und Zerre; geradezu androgyne Stimmen, die nur selten im Vordergrund stehen und vielmehr als weitere Sound-Tupfer in einer traumhaften Klanglandschaft funktionieren – dass es sich beim Song “prayer remembered” um ein rein instrumentales Musikstück handelt, fällt deshalb gar nicht sofort auf.
Bei vielen Tracks auf “everything is alive” muss man sich erstmal in einem atmosphärischen Wirrwarr zurechtfinden, um den Songkern ausfindig zu machen – was ja viel schöner ist, als ihn auf dem silbernen Tablett serviert zu bekommen. Durch den Nebel zu schauen ist hier Teil des Reizes. Jedenfalls wurde die Platte nach dem Motto “Fläche über Fläche über Fläche” arrangiert. Das Ergebnis: Englands leckerster Brei.

Slowdive haben das perfektioniert, schon in den Neunzigern. Was die Band letztendlich aber von anderen Shoegaze-Gruppen abhebt, ist in erster Linie eben nicht diese geschichtete Art der Klangproduktion – ie könnte man, wenn auch mit ziemlich viel Aufwand, irgendwie nachahmen –, es ist  ihre unüberhörbare Pop-Sensibilität, die unmittelbar eingängigen Motive, die ihre Songs so lebhaft prägen. Wes Anderson hat seine herzzerreißenden Familiendynamiken, Slowdive haben ihre Melodien; Himmel, diese Melodien. Man höre beispielsweise “kisses”, den leuchtenden Ohrwurm der Platte, oder “andalucia plays”. Schon die erste Zeile darin — “The sun’s coming up and I see you’re smiling”, also: Die Sonne geht auf und ich sehe dein Lächeln – ist so verdammt simpel, süß und zuversichtlich, dass man in ihr liegenbleiben will. Ein Song, der guttut.
Dann ist da natürlich noch der hochoptimistische Titel des Albums, und der von “chained to a cloud”. Angekettet zwar, aber immerhin an eine Wolke. Geht ja wesentlich schlimmer.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!