Record of the Week meets Hospital Trauma

Tropical Fuck Storm „Fairyland Codex”

Tropical Fuck Storm (Photo: JAMIE WDZIEKONSKI)

Tropical Fuck Storm
„Fairyland Codex”
(Fire Records/Cargo)
Wie bin ich eigentlich in diesen genialen Tropical Fuck Storm geraten? Ich erinnere mich dunkel, dass ich – ganz analog und ohne automatisierte Algorithmen – über ein Stöbern in der krachig-schrägen Swamp-Blues-Ecke neben alten Helden wie These Immortal Souls, Crime & The City Solution, Beasts of Bourbon/The Cruel Sea, Dirty Three, Hugo Race/The Wreckery, Kim Salmon oder Birthday Party auch wieder bei den mittelalten Drones oder dem begnadeten, diesbezüglichem Supergroup-Springtime-Album mit Gareth Liddiard, Jim White und Chris Abrahams und ihrem Daueraufleger „Will to Power“ landete. Dann irgendwie rüber geschleudert über die Schiene – ganz digital und zumindest oberflächlich, also auf der Nutzer-Ebene über einen musikjournalistischen Artikel und Mitschnitten von einem Festivalauftritt von Tropical Fuck Storm am Strand in Flip-Flops und barfuß.

Wie viele tiefe Berechnungen und Analysen meines Nutzerverhaltens dazu geführt haben, möchte ich gar nicht wissen. Denn für mich gab es die Gemeinsamkeit des Dreckigen, Australischen, manchmal wohlfeil gebrochen zu viel Männlichen. Und das alles fand ich bei Tropical Fuck Storms „Deep States“ aus 2021 – nur anders. Denn bei besagtem Auftritt wurde so wundervoll schlampig gewippt, wurde Liddiard (Gitarre und Gesang), der hier eine menschliche Brücke bildet, von Fiona Kitschin (Bass und Gesang, Liddiard und Kitschin spielten vorher bei den Drones), Erica Dunn (Keyboards, Gitarre und Gesang) und Lauren Hammel (Schlagzeug) derartig stabilisiert, zuckend aufgefangen, gestützt und dirigiert, dass die Songs beinahe zweitrangig wurden.

Ganz anderer Ansatz, dennoch vergleichbar etwa bei der Band Gewalt, die ja ähnlich großmaulig, un-sophisticated Stil prägend spielt. Das alles geschah jedenfalls 2021. Immer noch nicht habe ich Tropical Fuck Storm live sehen können. Aber (siehe oben): das Digitale hat ja mitunter auch gute Funktionen und Effekte. Rumpeln, Kreischen, Quietschen, Feedbacks, Brüllen ebenso wie Lachen, Lächeln und Grinsen und dann den Weg durch das Weltenchaos suchen mit Liedern. So einfach und kompliziert ist das. Dafür sind die Songs und vor allem Liddiards kraftvoll erschöpfte Stimme, die Geisterchöre der anderen drei, die Breaks, der Klang und das damit zusammenhängende Gesamtbild der schlingernden Verletzlichkeit eben dann doch erstrangig.

All das ist bereits im Opener ihres vierten Albums, „Irukandji Syndrome“, zu vernehmen, und das im wahrsten Sinn des Wortes eindrucksvoll. Atemloses Storytelling, kranky Funk und Schicksalsschlägeverarbeitungen mit gesunder Energieladung, hört mal das bereits vorab veröffentlichte „Bloodsport“. Flippiger Song und collageartiger Musikclip inklusive Tapas-Ringkampf erinnern frappierend an die Talking Heads. Da winken New sowie No Wave und postpunkige Weltmusiken. Aber Obacht, Tropical Fuck Storm bleiben anarchischer, unberechenbarer, stampfender, die großartig graufunkelnde „Goon Show“, die Trottelparade, geht weiter und ist wirklich nicht nur niedlich und kleinstädtisch: „It’s a golden age of assholes and the triumph of disgrace“. Abgelöst vom eher balladesken „Stepping on a Rake“, das ein wenig Trost verspricht, selbst wenn der Rechen im Garten im Weg liegt. „Charity begins at home“, heißt es auf „Joe Meek Will Inherit The Earth“ und rutschen dann sympathisch fast ab in Michael Franks-Soulfunkjazz. Situationen, Stimmungen und Rollen wechseln hier ständig, höre den fast neunminütigen Titelsong. Uffz. Australien ist denn doch ein giftiger Kontinent. Womit wir wieder am Anfang angelangt wären. Kreislauf, Schwindel, Spirale.

Ich mochte die wilden Kerle aus dem berühmten Bilderbuch, ihre Androgynität, ja eigentlich Geschlechtslosigkeit, ihre gruselige Putzigkeit und putzige Gruseligkeit und die sie begleitenden imaginierten ebenso wilden Weiber (im englischen Original sind es „Things“) schon immer. Wenn wir alle nur ein klein bisschen Max inmitten der wilden Dinger sind, dann hören wir Tropical Fuck Storm zu unseren plüschigen, mitunter creepy, slushy Phantasien. Da bin ich mir sicher. Der Band-Freund Joe Becker tut mit dem Cover-Artwork sein Übriges dazu.

Egal, ob erwachsen oder nicht, Endlichkeit akzeptieren und die große Liebe als das Wichtigste vollziehen, das ist das tropischfickstürmische Credo des Hier und Jetzt. Ich liebe sie. Und wenn das denn dann Grown Up bedeutet, lasse ich mir das gerne mit Mitte 50 gefallen (sehr passend siehe Thomas‘ berührenden aktuellen Artikel zu Growing Up und Down und „Pulp im Hospital“).

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