Record of the Week

Cowboy Junkies & Protomartyr

Cowboy Junkies
“Such Ferocious Beauty”
(Cooking Vinyl/Indigo)

Verquer einzusteigen scheint undankbar und doch angebracht: Die kanadischen Cowboy Junkies um die Geschwister Margo, Michael und Peter Timmins und ihren Langzeitkumpel Alan Anton waren irgendwie schon immer da im Land zwischen Indie, Alternative, Shoegaze, Folk, Neo Country und Dream Pop.

30 Jahre ist die legendäre „Trinity Session“ her. Doch bei mir zündeten sie erst so wirklich richtig mit ihrer tief berührenden Coverversion der Mama-Abschieds- und Todes-Hymne „Flirted With You All My Life“ des leider 2009 jung verstorbenen Songwriters und R.E.M.-Freunds Vic Chesnutt. Diese war auf „Demons“, Teil 2 der „Nomad Series“ (2010) der Cowboy Junkies erschienen und hat mich noch mehr als ohnehin schon das Original von Chesnutt mitgenommen.

Nochmal gut zehn Jahre später ist nun „Such Ferocious Beauty“ veröffentlicht und schwebt zwischen all den Nuancen der Cowboy Junkies selbst, Neil Young, melancholischem Dream Folk und wild schillernden (eben „ferocious“) Verzerrungen umher. „What I Lost“ über Gespräche mit dem dementen Vater der Timmins vereint genau diese positiv zwiespältigen Stimmungen, ohne zu pathetisch zu werden. Das Musikvideo dazu voller persönlicher Super 8-Aufnahmen der Familie Timmins lässt Gänsehaut entstehen.

Älterwerden, Verlust, Elternverschwinden, Sinn des Lebens, Verletzlichkeiten und gleichwohl die verdammten Schönheiten des Lebens sind auf dem gesamten Album Thema und belegen, dass Pop schon lange keine ausschließliche Jugendkultur mehr ist. Und dass Songs letztlich immer auch ein Stückweit etwas über die Vortragenden aussagen. Mitreißend ist das hier. Auch dunkel. Brutal realistisch und nicht eskapistisch. Die Wirklichkeit ist hart. Und wundervoll. Dieses ist kein Balsam, sondern eine tröstliche Konfrontation, die bei mir im Plattenregal direkt neben Low einzuordnen ist, einer von mir im Gegenüber zu etwa Opal, Mazzy Star, Cocteau Twins, Galaxie 500 oder Lisa Germano, unvermeidlich Slowdive und später Beach House oder Black Sea Dahu ebenso ewig unterschätzten Band. Wo Low zuletzt den Distortion- und Experiment-Weg wählten, gefallen die Cowboy Junkies, ohne gefällig zu werden, höre etwa das getragene „Shadows“ oder die hypnotisch-psychedelischen „Knives“ und „Throw A Match“. Wie formulierten es einst Egoexpress bzw. Dirk von Lowtzow so absolut passend: „Es geht immer weiter durchbrech‘“…


Protomartyr
“Formal Growth In The Desert”
(Domino/GoodToGo)

In meiner hiesigen Besprechung des letzten tollen Protomartyr-Albums „Ultimate Success Today“ aus dem Juli 2020 stieg ich ähnlich ein mit Selbstkasteiung bzgl. meiner phasenweisen Ignoranz toller Bands. Insofern und auch noch aus weiteren Gründen passen die Junkies und die Märtyrer gut zusammen: Gitarren, Indie, Postpunk, Alternative dienen hier neben Country bei den Junkies und Art School Punk bei Protomartyr als Blaupause. Eine der wohl britischsten US-Post Punk Bands der letzten Jahre sind weiterhin die Detroiter Protomartyr. Diese klinken sich mal eben zwischen Insel-Acts der 1970er/1980er wie Slits, Wire, The Fall, Marine Girls oder Swell Maps und 1990er/2000er-Bands wie Maximo Park, Franz Ferdinand oder Bikini Kill bis hin zu jüngeren Vertretern wie Shame, Idles oder Savages nonchalant aus Motor Rock City ein.

Das durchgeknallte, krachig-orchestrale letzte Album wird nun von Sänger Joe Casey und Band sogar noch getoppt: „Make Way“ eröffnet Protomartyrs sechstes Album gelassen-fulminant. Es darf wieder geschrien werden, ohne zu brüllen. Joe Casey, mittlerweile auch schon Mitte 40, hat seinen stimmlichen Weg zwischen Nick Cave, Jarvis Cocker, Mark E. Smith, David Eugene Edwards und Joe Talbot gefunden. Mit dem Hit „For Tomorrow“ geht es ab durch die Wüste als Metapher. Casey spricht laut Infosheet der Plattenfirma davon, dass er endlich einmal positiv rüberkommen und ein gewisses Glücksgefühl erreichen wolle. In Sachen der Energie ist das zu bestätigen. Gleichwohl steht eben die Wüste auch als Bild für dürre Jahre zwischen persönlichen Rückschlägen, Unsicherheiten, Selbsthass, Fremdliebe, Hinterherhecheln und Pandemie. Die daraus geronnene Power entlädt sich in zwölf meist kurzen, pointierten, meckerig-mäkeligen Songs wie „Fun in Hi Skool“. „Formal Growth In The Desert“ ist (noch) versponnener, vielseitiger, indie-artrockiger als der Vorgänger, leuchtend hell höchstens in der nächtlichen Einöde. Die Songs saugen mich auf, wie das Leben. Voller Gefühle, Ängste, Sorgen und vor allem Energien und Hoffnungen wie extrem zu erleben auf „3800 Tigers“. Protomartyrs Musik ist wie eine große, Funken sprühende Liebe, die überall zu spüren ist in den Irrungen und Wirrungen der wilden Welten. „Ferocious Beauty“ im alternativen Rock sozusagen.

https://protomartyr.bandcamp.com/album/formal-growth-in-the-desert

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