Records of the Week Spezial

Oneohtrix Point Never „Magic Oneohtrix Point Never”
 / Pole „Fading”


Oneohtrix Point Never
„Magic Oneohtrix Point Never”

(Warp/Rough Trade)

Pole
„Fading”

(Mute/PIAS)

Daniel Lopatin hat mich gepackt. Seine Soundtracks zur vollzogenen Postmoderne beschützen vor den Bedrohungen der Post-Postmoderne, also all den Backlashs in Sachen regressiver Anti-Aufklärung. Als ich dem sympathischen US-Amerikaner vor einigen Jahren zu einem bunten, irren Set auf dem Madeiradig-Festival gratulierte, grinste er breit. Beim Frühstück im Festival-Hotel war mir aufgefallen, dass er ein wild beklebtes Laptop, neonfarbene HipHop-Klamotten und einen neugierigen Blick hatte. Später sagte ich ihm, dass mich gerade die Pop-Momente seiner Sounds und Visuals begeistert hätten, woraufhin er sich bedankte und fast schon entschuldigte, dass er aufgrund des besonderen Festivals auch besonders klangkunstvoll sein wollte.

OPN (Photo: David Brandon Geeting)

Seither ist Lopatins musikalisches Schaffen ein einziges retrofuturistisches Feuerwerk zwischen Plunderphonics, Hypnagogic Pop, Vapourwave und – für mich am treffendsten – lustiger Hauntology (wenn diese denn kunterbunt und lächelnd sein könnte) – und deswegen ist das hier auch immer ein Stückweit melancholisch. Während Lopatin damit bis dato primär herausgefordert hat (höre etwa auch sein frühes, phantastisches Duo-Album „Instrumental Tourist“ aus 2012 mit Tim Hecker), sind die neuen Tracks die pure Eingängigkeit – und doch auch weiterhin mindestens doppelbödig.

Spätestens nach den ersten schillernden zehn Minuten knallt mit dem Hit „I Don’t Love Me Anymore“ so etwas wie Chartshaftigkeit aus besseren Welten auf den Couchtisch – garniert mit dem späteren Trost-Dessert „Lost But Never Alone“. Es bleiben Loops, Zitate, Schnippsel, Splitter, Flackern und ganz viele Farben. Tracks wie „The Weather Channel“ sind pure Popmusikmedien-Archäologie und in der Tat kaskadenhaft antisakral wahnsinnig: „Stranger Things“ (beidseitig) trifft „Blade Runner“ (lächelnd sterbend) trifft US-Radioprogramme inklusive Moderationen (strukturiert, geschichtet, modularisiert).

POLE (Photo: Ben de Biel)

Weiß noch jemand, wie es klang, wenn man von der Cassette die Programme mit dem Rekorder auf den Rechner lud?
Weiß noch jemand, wie einer der seinerzeit berühmtesten und coolsten Fehler-Sounds im Minimal Dub klang?

So wie Lopatins Projekt mich immer an die bezaubernde Madeira-Mischung aus Natur und Technik mit der Schnittmenge Mensch und Musik erinnern wird – digitale Künste und ihre Nerds treffen auf Blumeninsel und Nicht-Rentner*innen –, so steht Pole, das Projekt von Stefan Betke, für mich für den sinistren Knister-Klang von Berlin Mitte der späten Neunziger und frühen Nuller Jahre: Plastikman, das Schlurfen, Basic Channel, die De:Bug, der Ostbahnhof, die Maria.
Es gibt wahrlich schlimmere Erinnerungsanker. Die legendären drei ersten Alben von Pole sind zwar lange her, aber auch zu Recht mehrfach wiederentdeckt worden. Eigentlich sind sie immer da. Zwischendurch hat sich Betke ins Studio, zu Produktionen und zum Mastering zurückgezogen und mit „Steingarten“ (2007) und „Wald“ (2015) den Neuanfang gesucht (siehe Teil 4 einer Kolumne bei „Die Aufhebung“).

„Fading“ knüpft an all dem an, hat aber einen eigenen klaren Fokus auf schwindende Erinnerungen und setzt für mich so konzeptionell eher bei dem an, was „Magic Oneohtrix Point Never“ irgendwie auch akustisch (und visuell, bitte auf beide adäquaten Album-Cover achten) thematisiert: Erfahrung, Wissen, Verstehen und eben auch das jeweilige Gegenteil, aus unterschiedlichen Pop-Generationen beobachtet. Betke scheut sich nicht, behutsam selbst Referenzen auf die einstigen kaputten Filter anzuspielen, zum Beispiel auf dem tollen „Drifting“, welches nach über drei Minuten erst richtig zu driften anfängt. Fading kann ja auch ein Anfang sein. Oder ein ganzes Leben. „Tangente“ verbindet wippend-leiernd über Beat und fundamentalem Bass. Pole schaut und hört auf sein Leben.

Letztlich sind Oneohtrix Point Never und Pole beide ganz bei sich und gleichzeitig sich und mir näher, als es mir manchmal lieb ist. Zeit und Geist im überbordenden, überforderten Sinn, mal wohl eingeordnet pulsierend (Pole), mal eher strahlend verklebt jubilierend (OPN). Beides letztlich fundamental in sich ruhend. Inklusive Glockenklänge und Vogelstimmen. Seltsam natürliche Digitalität und digitalisierte Natur.

Es ist Ende 2020. Was für ein funkelnder Vorabgesang für ein, nun ja, seltsames Jahr.

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