Record of the Week

Tune-Yards “I Can Feel You Creep Into My Private Life”

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“I Can Feel You Creep Into My Private Life”
(4AD)

Es kann sicherlich nicht schaden, wenn man als weißhäutiger Mensch sich ab und zu seine Privilegien vor Augen hält – und eigene rassistische Mechanismen erkennt. Merrill Garbus, weibliche Hälfte des Duos Tune-Yards, nahm vor einiger Zeit an einem sechsmonatigen Anti-Rassismus-Workshop teil. Ziel des Workshops war, weißen Leuten dabei zu helfen, sich als Teil einer multinationalen Gemeinschaft zu sehen – was selbstredend für veränderte Perspektiven sorgte.

Der Song „Colonizer“ auf Tune-Yards neuem, großartigen Album „I Can Feel You Creep Into My Private Life“ ist ein direktes Ergebnis der neuen Selbsterkenntnis: Zu basslastigem Dancebeat singt Garbus, “I use my white woman’s voice to tell stories of travels with African men … I turn on my white woman’s voice to contextualise acts of my white woman friends” – für sie selbst erschreckend, weil die Lyrics keine Rollenprosa seien, sondern ihre eigene, einstige Handlungsweise.

Doch die Selbstanklage als verdeckte Rassistin ist nur ein Aspekt in der Arbeit der neuen Tune-Yards. Neu deswegen, weil Merrill Garbus’ Longtime-Companion und Mitmusiker Nate Brenner jetzt offizielles Tune-Yards-Mitglied ist. Seine elastischen, hummeligen Basslinien waren ja schon lange fester Bestandteil der Musik von Tune-Yards – but now it’s official, sozusagen. Neu ist außerdem Garbus’ Inkarnation als DJ: nach dem antirassistischen Workshop erlernte sie das DJ-Handwerk, studierte intensiv Dance- und Housemusic, was die fast durchgängige Tanzbarkeit der Tracks erklärt. Natürlich sind Tune-Yards’ Trademark-Sounds wie Ukulele, Percussion-und Voice-Loops und bizarre Synthieklänge nach wie vor zu hören, aber doch einem songhafteren Ansatz gewichen, als es noch beispielsweise beim letzten Album „Nikky Nack“ der Fall war. Das finden nicht alle Fans gut, so manche/r beklagte schon Mainstreamigkeit und drohenden Ausverkauf – aber bitte, hört euch das Album mal an: wenn das Mainstream sein soll, bin ich dabei!

Die Themen sind politisch aktuell, es geht um Geschlechtergerechtigkeit, amerikanische Politik, Umweltzerstörung. Musikalisch hört/spürt man Garbus’ und Brenners´Liebe zu den 1980er Jahren – was in ihrem Fall bedeutet: Postwave und Disco der New Yorker Machart, 4-to-the-floor kombiniert mit Freejazz im Geiste des Tom Tom Club, Liquid Liquid oder KONK. Percussiv, repetitiv, drängend, bassbetont; besonders präsent in Tracks wie „ABC 123“, „Heart Attack“ und „Honesty“. Garbus wollte außerdem, dass ihre Stimme maschinenhaft-künstlich klingt: sie jagt ihre heißeren Vocals durch den MPC-Verzerrer, bleibt aber immer als Tune-Yards erkennbar. Manchmal scheinen es zu viele Ideen für einen Song, doch das Chaotisch-Unaufgeräumte verhindert allzu glatte Strukturen. Kurzum: Es steht nicht zu befürchten, dass sich Tune-Yards zum Mainstream-Act entwickeln.

Tune-Yards live:
24.03. Gebäude 9, Köln
27.03. Festsaal Kreuzberg, Berlin
28.03. Uebel & Gefährlich, Hamburg

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