Records of the Week

Steve Gunn & David Moore / JLIN

Steve Gunn & David Moore
„Live in London“
(RVNG Int.)

Uncooler als dieses Album wurde schon lange keines mehr eröffnet – und genau das macht es natürlich wahnsinnig cool, so ist das mit dem unergründlichen Wegen der Coolness. Wie aber eröffnen David Moore und Steve Gunn nun ihren Livemitschnitt aus dem Cafe Oto in London aus dem April 2023? Sie lassen sich ganz banal und extrem kurz auf der Bühne ansagen, fast schon wie bei einer Schulaufführung oder ähnlich unspektakulären Auftritten. Doch unspektakulär war an diesem Abend in London nichts. Eigentlich präsentierten die beiden New Yorker Musiker zwar „nur“ ihr Kollaborationsalbum „Let the Moon Be a Planet“ live, doch statt die Songs eins zu eins zu spielen, nahmen sie diese als assoziative Inspirationsquelle für neue Re-Interpretationen und auch radikale Dekonstruktionen und Neukonstruktionen – wobei das radikal als Geste gelesen werden muss, denn rein musikalisch gesprochen öffnet der Dialog von Gitarre (Gunn) und Klavier (Moore) einen sehnsuchtsvoll warmen, geradezu verführerischen Soundraum, der bei allen experimentellen Momenten doch immer einladend bleibt.

Diese Offenheit für den Liveprozess mit all seinen Unberechenbarkeiten kommt wenig überraschend, wenn man den Backkatalog der beiden Musiker kennt; verstärkend wirkte sich aus, dass „Let the Moon Be a Planet“ im rein digitalen Austausch entstanden ist, Moore und Gunn also erst auf Tour einen gemeinsamen Raum mit ihrer Musik teilen. Dementsprechend viel löste die eigene Musik bei ihnen selbst aus, die Songs löschten sich dabei nicht komplett aus, aber sie radierten doch viel von sich selbst aus. Mutig und belebend.

JLIN
„AKOMA“
(PLANET MU)

Jlin Narlei mag als Footwear-Produzentin angefangen haben, aber ihre Produktionen duldeten von Anfang an keine falschen künstlerischen Begrenzungen. Sowohl das 2015 erschienenen Debütalbum “Dark Energy“ als auch das zwei Jahre danach veröffentlichte „Black Origami“ implodierten geradezu angesichts der eingebrachten Kompositionsideen. 
Das Gleiche lässt sich über die Persönlichkeit hinter der Musik sagen. Man muss sich nur mal den Posting-Rhythmus und die Inhalte der Social Media Seiten der ehemaligen Stahlwerkarbeiterin Narlei anschauen – es ist selten, dass man eine Künstlerin findet, die so bereit ist, sich ständig auf neues und unsicheres Terrain zu begeben, ihre Schwächen so deutlich zu benennen, aber auch ihre Stärken und die Erfolge, die aus diesen erwachsen, so unmittelbar zu zelebrieren.

Der künstlerische Prozess sei nicht kompliziert, erklärte mir Jlin Narlei in einem Interview während des Moog Festivals in Durham, North Carolina vor einigen Jahren: “Alles beginnt mit einem weißen Papier“. Nun, das ist natürlich super kokett – und stimmt auch nur begrenzt, denn allein die Liste der Musiker:innen, mit denen Jlin den Austausch sucht, färben dieses Papier markant ein. Nach Kollaborationen mit Holly Herndon und SOPHIE, arbeitet Jlin für „AKOMA“ nun mit Björk, dem Kronos Quartett sowie Philip Glass zusammen. Wobei „Precision Of Infinity“, die Zusammenarbeit mit Glass, beeindruckend das immense Talent von Jlin aufzeigt: sie greift dessen signature sound auf, um ihn letztlich so oft um sich selbst drehen zu lassen und mit ihren wilden Soundfantasien zu durchweben, dass einem am Ende schwindelig geworden ist von so viel Mut zu Bruch und Collage. Moderner kann Dance Music nicht klingen.

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