Seefeel “Squared Roots” (Warp)
Seefeel
“Squared Roots”
(Warp)
13 Jahre hat es gedauert, bis Seefeel endlich mal wieder ein offizielles Lebenszeichen in Albumform von sich geben sollten. Und das dann gleich doppelt. Nach ihrem selbst betitelten, fünften “Seefeel”-Album aus dem Jahre 2011, das relativ gitarrenlastig und typischerweise feedbackloop-artig ausgefallen war und starke Postrock- und Mathrock-Anklänge in sich trug, folgen nun im Jahr 2024 gleich zwei Mini-Alben auf ihrem alten Heimat-Label Warp.
Bereits im August erschien “Everything Squared”, damals von Christoph Jacke bereits für kaput besprochen – wobei ich an dieser Stelle hinführend zur nun erscheinenden zweiten EP “Squared Roots” auch nochmals “Everything Squared” würdigen möchte. Die Band knüpft darauf an klassische Seefeel-Kompositionen an, die sich durch ein versponnenes Layering von Audio-Aufnahmen auszeichnen, wie man sie aus bestimmten Band-Kontexten her kennen mag. Vor allem, wenn man sich mit Postrock-Bands befasst. Seefeel manipulieren ihre Aufnahmen aber stets und ein ebenso manipulierter wie ätherischer Gesang wird mal mehr, mal weniger in die sich langsam entwickelnden Klanglandschaften und Gebilde eingeführt und eingebettet.
Das aktuelle Line-Up besteht aus Stamm-Sängerin Sarah Peacock und Gründungsmitglied Mark Clifford, der sich um die meisten Instrumente kümmert – mit Ausnahme von Bass und Schlagzeug, welche die beiden recht neu hinzugekommenen Bandmitglieder Shigeru Ishihara (Bass) und manchmal auch Iida Kazuhisa (Schlagzeug) teilweise übernehmen.
Für mich ist “Squared Roots” einer der stillsten und bezauberndsten Höhepunkte des Musikjahres 2024. Auch wenn es nicht nur im Titel unverkennbare Parallelen zwischen den beiden Mini-Alben gibt, sondern auch im gesamten Klangbild, fällt für meinen Geschmack, das etwas zartere und schnörkellosere “Suqared Roots” noch ein wenig sphärischer und traumhafter aus als der Vorgänger. Vielleicht auch bloß: Noch minimaler, noch weniger Gitarren, dafür mehr Ambient, mehr zarte Zwischenräume. Beide Alben sind in ihrer Kürze und Minimalität spannend und betörend zugleich, mit je sechs bzw sieben Titeln und jeweils knapp unter 30 Minuten Spielzeit – und zugleich sind sie herrlich verspulte Ambient-Postrock/Downbeat-IDM-Electronica-Perlen mit ganz leisen, sanften Dub-Elementen und Zwischentönen.
Beide Releases werden begleitet von – bisher – je einer Single-Auskopplung samt Video. Dabei sind sowohl “skyhooks” von “Everything Squared”, als auch das wirklich großartige “Unfurled” von “Square Roots” gelungene visuelle Wegbegleiter der leicht erneuerten Seelfeel’schen Klangwelt, die etwas reduzierter und im Doppelsinne “spaciger” daherzukommen scheint als zuvor. Der Gesang wird dabei oft wie immer eher wie ein Instrument benutzt – und zum Teil stark bearbeitet, was letztlich jeden Seefeel-Release kennzeichnet. Alles wird hier einem “im-Fluss-Sein” untergeordnet, jedes Element bekommt seinen eigenen Raum, Nachhall und Ausklang und natürlich seine Rückkopplung. So als blätterte man durch ein Familien-Album einer unbekannten Verwandtschaft, das man auf dem verstaubten Dachboden eines verlassenen und verfallenen Hauses gefunden hat. Die Fotos tragen eine Patina-Schicht und Sepia-Färbung und spiegeln Erinnerungen wider, die man eigentlich nicht kennen kann – und dennoch findet man irgendwie bekannte Gesichter vor und spürt möglichen Geschichten nach.
Im Resultat wirken folglich beide Alben ebenso gespenstisch wie trippig, ebenso unbekannt/unerhört wie vertraut, beide Werke evozieren Bilder aus scheinbar verschütteten Erinnerungen, beim Hören entsteht ein Ambiente, das die Videos zu den Singles auf faszinierende Weise aufzugreifen scheinen. Überall rauscht es, Elemente spiegeln sich, brechen sich, machen sich unkenntlich, wechseln die Gestalt. Nur um sich erneut zu brechen, und sich neu zu formieren im Delay der Erinnerungen. Die Sounds greifen sich gegenseitig auf, um zu verwehen im letzten Hallraum der ersten Reflexion. Klänge verhalten sich wie illuminierte Staubkörner -wolkenhaft wehend – im faden Sonnenlicht, analog aufgenommen, digital verzerrt und komprimiert – sozusagen von der Sinus-Welle hin zur Square-Wave. Gemastered wurde “Squared Roots” übrigens vom Slowdive Drummer Simon Scott, wobei Seefel das Mastern auf “Everything Squared” seinem Stammklangtüftler Stefan Betke aka Pole überließ. Insgesamt ein Doppel-Release, der 2024 von mir aus mit dem fantastischen “Squared Roots” abschließen darf und auf keinen Fall untergehen sollte im Strudel der zahllosen Jahres-Rückblicke. Definitive Anspieltipps meinerseits: “As X is Y” und “Touchless Tones” – hier zeigen sich die dubbigen wie minimalistisch-sphärischen Gesichter des Albums am jeweils deutlichsten.