Record of the Week

Yves Tumor „Praised A Lord Who…”

Yves Tumor
„Praised A Lord Who Chews But Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds)”
(Warp/Rough Trade)

Yves Tumor ist in seiner faszinierernden Gesamterscheinung vom Albumtitel bis zu den Musikclips und vor allem Songtracks widersprüchlich, sowohl fast Angst einflößend als auch höflich zurückhaltend, einen beim Tanz umreißend, mit düsterem Ill Hop zuballernd und doch auch ganz zuvorkommend im Hotelaufzug. Er bleibt das. Spätestens mit seinen wahnsinnigen Alben „Safe in The Hands Of Love“ (2018) und „Heaven To A Tortured Mind” (2020)  hat Tumor mich angenehm wuchtig verstört und heterogen verwöhnt, wie ich es von Acts das Kultlabels „Warp“ durch all die Jahre, also von frühen Aphex Twin, Seefeel, Squarepusher über Plaid, Bibio, Flying Lotus oder Battles bis zu eben Tumor, Bibio oder Squid gewohnt bin.

Mit „Praised…“ – gerade in Zeiten neuer heißer kalter Kriege und größerer Wellen von Weltschmerz – tut es ausgesprochen gut, nicht nur kathartisch, dass Yves Tumor und viele andere an synthetisch-pluckernde Verzweiflungsbeats à la Suicide oder früher Sisters of Mercy, kaltem Synthie Pop von John Foxx oder The Normal, poppigem Industrial von Throbbing Gristle oder Coil und spacige Entrückungen wie die von Spacemen 3 oder Loop anknüpfen.

Wobei Tumor eben auch Seele hat, HipHop und rhythmische elektronische Musik kennt und offensichtlich und offenhörbar dazu tanzt, manchmal fast bekifft nach Tricky klingt, ganz neue und andere Ansätze und Verständnisse mit einbringt in das dunkle Fest. Das dann auch schonmal zum eingängigen Popkracher wird oder auf „Meteora Blues“ in der Nähe von Nirvana-Hymnen wildert, worüber niemand böse ist.

Im Gegenteil: Selten war homöopathische Grenzüberschreitung so vergnüglich und dennoch zentnerschwer umwerfend. Die seltsam-wilde Melange zeigt sich auch in der Produktion von Noah Goldstein (u.a. Frank Ocean, Rosalia, Drake) und Abmischung von Alan Moulder (u.a. My Bloody Valentine, Nine Inch Nails). „God Is a Circle“ und „Lovely Sewer“ etwa sind ein glänzender Aufriss Post Punk, Synthie Pop 2023 und doch auch TripHop und Electro.

Danke, Yves, lass uns endlich Genres hinter uns lassen bzw. nur noch nutzen, um via Schrift Klang zu umreißen. Tatsächlich erinnert mich das alles sehr cool und hot an das Bombastische von Prince. Ansonsten ein einziger positiver Reinfall dieses verrückte Album, einlullen, umgarnen, Immersion galore. Bei gleichzeitigem Flackern und überdeutlichem Augenzwinkern (eben schon in Irrsinnsnachbarschaft) wie bei Amnesia Scanner.

„Praised…“ wie das ganze Werk und die gesamte Persona von Yves Tumor ist wankelmütig, latent, schwarzweißgrau, bunt, bedrohlich, umarmend und ambivalent wie das Leben. Und zugleich wie ein uralter Fels. Und jetzt ab auf die Straße, SUVs panaschiert vollkotzen. Oder über den Nordseestrand kugeln und abgerissene Robbenhinterteile beschnuppern – schwer in Liebe.

 

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!