Squarepusher “Dostrotime”
Squarepusher
“Dostrotime”
(Warp)
Dringliches vom Altmeister der Avantagrde-Electronica
Squarepusher präsentiert sich auf “Dostrotime” energetisch, verspielt und doch sehr präzise und zeitgeistig
Ein Text von Thomas Bläsen
Yeah! Breakcore! Wollte man zumindest frohlocken bei der bereits im späten Februar dieses Jahres veröffentlichten Single “Wendorlan”. Das dazugehörige Video featured einfach die Bewegungen eines Oszilloskops, mit den typisch rhythmischen, grün-flirrenden Bewegungen, passend zum halsbrecherischen Tempo und zur wahnwitzigen Bruchhaftigkeit des Tracks.
Sowieso, so scheint es mir zumindest, sind spätestens 2023/24 Themen wie Jungle, Drum´n´Bass und Breakcore sehr stark zurückgekommen in der post-pandemischen Musiklandschaft. Was auch nur allzu verständlich ist. Dystopisches Breakbeat- Gewitter und überdrehte Rave-Energie treffen auf melancholische Vocals oder mollige Harmonien, die sich aus allen möglichen virtuellen und nicht virtuellen Synthesizern und sonstigen Soundquellen speisen. Quasi der “post-apokalyptische everything goes”- Soundtrack, wieder mal kurz vor dem erneuten Weltunteruntergang. Oft wird man vom Tempo der Ereignisse überrollt, von den rasanten Brüchen (im Takt, in der bpm Zahl oder im Sampling/Resampling) überfahren, analog zum “echten Leben”. Aber es ist auch im besten Fall ganz viel Raum da zugleich. Raum für Pausen und Tiefen, bzw. Räume für alle möglichen Untiefen. So ist nach eigener Aussage von Tom Jenkison, der sich ja unter anderem hinter dem Alias Squarepusher verbirgt, sein 16. Studioalbum “Dostrotime” auch zugleich sein post-Pandemie-Werk.
Den Schrecken, aber auch die Stille und die bizarren Ängste und Zwischentöne, die irgendwo immer noch “virulent” durch unsere Alltagsräume geistern, brechen sich auch auf den 12 Stücken dieses wirklich sehr gelungenen Albums bahn. Ein Album, das (natürlich) so viel mehr ist als ein “bloßes” Breakcore-Album. Ein Genre, das -trotz seiner Vielgesichtigkeit- mittlerweile auf YouTube beinahe zu einer Art Meme-Genre “verkommen” zu sein scheint. Vielleicht bis auf die Tatsache, dass der großartige John Frusciante zuletzt (2020) mit “Maya” dem Genre auf dem zu Aaron Funk (unter anderen bekannt als Venetian Snares) gehörigen Label “Timesig” neue Musikalität und Seele verliehen hat.
Jenkinson selbst kann ja als Vordenker dieses Genres gelesen werden, gemeinsam mit Kollege Aphex Twin und dem britischen Labelgründer My-Ziq vielleicht. Mittlerweile ist das Breakcore-Genre nicht nur um Memes/Meme-Videos mit asiatischen Schulmädchen oder Tags wie #breakcore to study to oder #breakcore for autists etc. reicher, sondern auch um musikalische Legenden wie Ruby my Dear oder Igorrr.
Auf all das scheint Jenkinson auch reagieren zu wollen, ebenso wie auf die zurückliegende Covid-Zeit -aber dies natürlich auf seine Weise. Im Prinzip ist “Dostrotime” auch eine Art Panoptikum des Squarepusher’schen Schaffens. Sprich wir hören hier alle möglichen Spielarten des gebrochenen Beats, ob IDM, Drill´n´Bass, Breakcore, Jungle und Electronica, aber auch jazzige Anklänge und ambienthafte Ruhe. Es macht ja auch Sinn, denn dieser ja meist sehr britische Zugang zur Rave-Kultur und zur elektronischen Musik i.A. ist nach wie vor ein produktives Spannungsfeld, dem nicht nur immer neue Spielarten und Subgenres hinzugefügt werden (erinnert sich noch wer an Dubstep und Future Garage?), sondern er verfügt eben über eine tatsächliche Innovationskraft.
Und hier ist es an der Zeit auch mal als Kulturjournalist Abbitte zu leisten. Hatte ich doch irgendwann in den späten Nullerjahren Herrn Squarepusher eben diese Innovationskraft fast schon abgesprochen im Intro Magazin, als er sich in meinen Augen mit seinem Solo-Akustik Bass-Album (das großartig ist) und dem kraut- und jazzrockigen “just a Souvenir” zu sehr in zwar durchaus genialische, aber für mich damals wenig aussagekräftige Nerd-Gefilde verloren zu haben schien.
Spätestens aber seit dem absoluten Electronica-Meisterwerk “Ufabulum” (2012) muss ich mich wirklich dafür schämen. Mit “Dostrotime” liefert Jenkinson nicht nur vielleicht eines der besten Alben des Jahres ab, sondern auch eines der besten in seiner eigenen Karriere, die ja mittlerweile auch schon gute drei Jahrzehnte nicht zu Unrecht überdauert hat. Jenkisnon präsentiert sich nicht nur unfassbar energetisch, er portioniert seine Musikalität auch in ansprechenden Dosen.
Sprich, es wird nicht zu viel. So taktet er mit dem Solo-Bass Stück “Arkteon 1” auf, das zudem so ein wenig einen Erzählzweig des Albums vorgibt, da die Geschwister-Stücke “Arkteon 2” (Track 6) und “Arkteon 3” (Track 12 von 12) immer so ein wenig Ruhepole mimen, ohne dabei wie unpassende Lückenfüller im restlichen IDM-Breakcore-Science-Fiction-Sound von “Dostrotime” zu wirken. Im Gegenteil: So stellen diese Stücke eher noch organische Bindeglieder dar, die einen Moment zum Durchschnaufen anbieten. Mal mehr, mal weniger. Ich muss sagen, in bestimmten Stücken wie “Holoform” oder “Domelash” ballert Squarepusher so ein unglaublich geiles Level an Kunstfertigkeit ab in puncto IDM und Breakcore, dass es eine Freude ist für mein ADHS-Gehirn. So ein wenig als wäre man auf Acid an einem See im Industriegebiet, es ist nachts und es gewittert gewaltig, und wenn es blitzt sieht man das Kraftwerk, das am See, vielleicht eine ehemalige Kiesgrube, vor langer Zeit erbaut worden ist, hell und auf magische Weise retro-futuristisch aufleuchten. Und man spürt diese unheilvolle Energie, die von dem entfernten Sirren der Industrie-Anlage ausgeht, spürt die Spannung in der Luft und fürchtet doch wieder das einsame Schwarz der Nacht. Naja, so in etwa vielleicht fühlt man sich beim Hören dieser Stücke.
Umso erfreulicher sind dann zwischendurch auch die Atempausen, wie zum Beispiel auf dem melancholischen Höhepunkt des Albums “Heliobat” (Track 11), oder dem bereits erwähnten “Schlussakkord”, “Arkteon 3, bei dem Jenkinson erneut zum Akustik-Bass greift, in aller gebotener Melancholie und Musikalität. So bleibt letztlich ein sehr positiver Eindruck bestehen, denn trotz der überbordenden Einfälle und Ausflüge, wirkt das Album nicht anstrengend oder überladen, sondern nimmt den Hörer mit auf eine Reise in eine Welt der musikalischen Möglichkeiten, aber auch in eine persönliche (post)moderne Innenweltschau, der eigenen (urbanen) Ängste und (subkulturellen) Antriebe und Getriebenheiten.