Record of the Week / Kaput Revisited

Kelela „Raven“ / Kaput Revisted: 2013-Fort Greene-Talk

Kelela, photographed in 2013 by Jonathan Forsythe in Fort Greene


Kelela

„Raven“
(WARP)

Mit ihrem letzten Album„Take Me Apart“ gelang Kelela entgegen der Erwartungen nicht der ganz große Durchbruch. Was unter anderem auch am fehlenden Geschick ihres Labels gelegen haben könnte, das Sound und Erscheinungsbild der New Yorkerin etwas zu sehr beeinflussen wollte – und so ihrer Musik zuviel von der rauen Oberfläche nahm, die sie auf den vorangegangenen Mix Tapes „Cut 4 Me“ und „ Hallucinogen“, 12-Inches und Kollaborationen auffallend neben dem HipHop-/Dance-Mainstream positioniert hatte – und sie selbst als künstlerische Persona eine Spur zu feminin inszenierte.

Für „Raven“ hat Kelela nun alle Songs wieder selbst geschrieben und gemeinsam mit Asmara arrangiert; erst dann zog sie die Produzenten Bambii, Yo Van Lenz und Florian T. M. Zeisig (vom Ambient-Duo OCA) sowie LSDXOXO hinzu. Passenderweise geht es auf dem Album darum, wieder zu sich selbst zu finden, den richtigen Spagat zwischen Autonomie und Gemeinschaft zu finden und halten. 
Gleich das erste Stück „Washed Away“ wirkt mit einnehmenden Ambient Loop und markant ausgestellten Vocals wie die notwendige katharsische Reinigung und legt so das Fundament für (ein frühes) „Happy Ending“, einen Drum´n´Bass-Pop-Track, der einen in das London der Pirate-Radio-Ära der 90er Jahre zurück beamt. Dies ist insofern repräsentativ für „Raven“, als dass Kelela darauf angenehm gelassen mit dem eigenen Anspruch an Novelty umgeht, statt sich an Erwartungen abarbeiten zu müssen, hat sie sich wieder freigeschwommen, mit dem Ergebnis, dass sie auf den 15 Tracks heller leuchtet als die Sonne, um Kodwo Eshun zu zitieren.

___________________________
Kaput Revisited – Kelela

Zwei Wochen nachdem ihr Mixtape “Cut 4 Me” erschienen war, trafen Jonathan Forsythe und Thomas Venker im Herbst 2013 Kelela im Loft eines Freundes im New Yorker Stadtteil Fort Greene zum ersten Interview mit der Europäischen Presse.

 

Kelela, photographed in 2013 by Jonathan Forsythe in Fort Greene

Der Gentrification hat man es zu verdanken, in New York beständig mit neuen Gegenden konfrontiert zu werden. Während Williamsburg, das It-Viertel der Nullerjahre, mittlerweile zur Wochenend-Spielwiese von überdrehter Landbevölkerung und Abenteuerlustigen aus Manhattan verkommen ist, lockt Bushwick derzeit mit den besten Off-Locations, und zum Wohnen zieht es alle in die anliegenden Brooklyner Viertel. Ratten, Schimmel und dunkle Typen in noch dunkleren Seitenstraßen inklusive, aber das ist eben Teil des Spiels.

Manchmal erschließen sich einem aber auch wunderschöne Ecken, an denen man bis dato vorbeigelebt hat. Der Manager von Kelela hat unser Zusammentreffen freundlicherweise in seinem Appartement im Stadtteil Fort Greene arrangiert. Eingekesselt von Flushing und Lafayette Avenue, erwarten wir, passend zum Bad-Boys-Image des Fade-To-Mind-Labels, zu dem Kelela gehört, ein authentisches Straßen-Milieu. Doch Pustekuchen, stattdessen finden wir eine kleinbürgerliche Oase aus typischen New Yorker Brownstone-Häusern vor, gelegen an einem idyllischen Park. Angeboten wird uns dann auch kein früher Longdrink, sondern ein edler chinesischer Tee aus Singapur. Auf dem Tisch liegen Fotobände von John Baldessari und Wolfgang Tillmans, an der Wand hängen abstrakte Ölgemälde.

So viel zum Thema vorgefertigte Erwartungshaltung. Kommen wir zu den Vorschusslorbeeren. Derer bekommt Kelela derzeit viele. Kaum hat sie das US-amerikanische Musikmagazin Fader zum Geheimtipp für 2014 gekürt, vergibt Pitchfork 8,3 Punkte für ihr Mix-Tape. Jeder will eine Scheibe von dem abstrakten R’n’B abhaben, den sie gemeinsam mit der Fade-To-Mind-Crew um Labelchef Kingdom und Produzenten wie Nguzunguzu und Total Freedom kreiert.
Total Freedom war es auch, der sie im Februar 2012 quasi entdeckt hatte: Kelela war im Studio der New Yorker Band Ink., um ihre Gesangsspur für einen Track der befreundeten Band Teenage Fantasy einzusingen. Total Freedom sollte eigentlich nur abmischen, nutzte aber, völlig verzaubert von Präsenz und Stimme der ihm bis dato unbekannten Musikerin, die Gunst der Stunde und weckte ihr Interesse an eigenen Produktionen. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich oft gefragt, was ich eigentlich mache, warum ich über die Tracks anderer Leute singe“, erinnert sich Kelela anderthalb Jahre später. „Plötzlich war da jemand, der genauso rumkichert wie ich, die gleiche Energie und Neugierde ausstrahlt. Das beflügelt.“

Am Abend vor unserem Zusammentreffen hat Kelela im Rahmen des Fader Fort in Brooklyn performt, ein Auftritt, mit dem sie nicht ganz so zufrieden ist: Ihre Stimme sei so flach rübergekommen. Selbstkritische Töne, an denen leider viel dran ist. Was allerdings nicht ihr anzulasten ist, sondern an den quasi nicht existenten Monitorboxen und der scheppernden PA gelegen hat. „Danke, dass du das sagst. Die Backing-Tracks waren viel zu leise, der Bass kaum da. Das nervt, denn der muss laut sein!“
Man hätte nicht mit ihr tauschen wollen. Zumal sie ganz alleine auf der Bühne stand, ohne Band, Tänzerinnen, Lichteffekte oder Nebel. Selbst ihr DJ Ashland Mines a.k.a. Total Freedom, der sonst hinter ihr thront, war an der Seite positioniert. Da hilft es auch nicht, dass sie mit Ashin, wie sie ihn nennt, ein eingespieltes Team darstellt. Dieser ist intensiv in die Liveshow involviert, spielt eben nicht nur die Backing-Tracks ab, sondern modifiziert diese mit Dub-Effekten und ebnet so ihrer Stimme den Weg in den Raum.
„I love my delay“, kommentierte Kelela während des Auftritts grinsend ihr eigenes Set. Sie selbst ergänzt dieses Dub-Feeling, indem sie immer wieder ruckartig vom Mikrofon wegtritt und es mit der Hand abdeckt.
Das Clubgefühl, das bislang ihre Sets prägt, will Kelela auch in Zukunft beibehalten, wenn sie den Schritt hin zu Auftritten mit einer richtigen Band wagen wird. Hierzu muss sie aber erst noch einen Weg finden, die Tracks so stimmig auseinanderzubrechen, dass die Band sich daran nicht verhebt, sie zu echten Songs werden. Denn nur dann kann der Spagat aus „Clubtouch und Songgefühl gelingen.“

Kelela, photographed in 2013 by Jonathan Forsythe in Fort Greene

Während es live also noch viel zu tun gibt, zeugt Kelelas erstes Mix-Tape bereits von einer reifen Studiomusikerin, die sich und ihre Tonalität gefunden hat. Wobei der Plural Tonalitäten angebrachter ist, denn sie springt im Mix von Spoken-Word-artigem Rap à la Saul Williams zu klassischen R’n’B-Gesangslinien im Stil ihres Vorbilds Brandy und weiter zu hochartifiziellen Cut-up-Raps, die einen an Jamie Lidell denken lassen. An der Seite der Fade-To-Mind-Crew gelingt die Reise von tollkühnen Timbaland-Produktionen der Aaliyah-Ära zu aktuellen britischen Grime-Beats und zurück zum klassischen amerikanischen R’n’B verblüffend harmonisch.

Die Texte von Kelela lassen sich kaum einreihen in die devote R’n’B-Welt. Für die Tochter äthiopischer Eltern – die Mutter ist eine leidenschaftliche Familienfestsängerin, der Vater Jazzfanatiker – gibt es „nichts Schlimmeres als Erzählungen, die von hilfsbedürftigen Mädchen in der Opferrolle handeln“. Die Protagonistinnen in ihren Stücken sind stark, wissen, was sie wollen, und gehen, wenn sie denn ins Strudeln geraten, die Probleme selbst an.

Das Mix-Tape stellt die ideale Ausgangsbasis dar, um in den kommenden Monaten das offizielle Albumdebüt aufzunehmen. „Die meisten Tracks auf dem Mix-Tape basieren im Kern auf Loops. Es gibt keine Tonartwechsel innerhalb der Songs, sie wurden also nicht bis zum Ende ausgearbeitet“, berichtet Kelela. „Mit dem Album will ich jeden Song bis zum Maximum treiben.“

Kelela, photographed in 2013 by Jonathan Forsythe in Fort Greene

Entgegen anderen R’n’B-Prinzessinnen, die sich alles zurechtbasteln lassen und nur darüber singen, steckt Kelela knietief mit im Produktionsprozess. So schwärmt sie minutenlang vom TC-Helicon VoiceLive Touch 2, mit dem man Auto-Tune-Effekte über die Stimme geben, Loops anlegen und bis zu 300 Presets bearbeiten kann. „Ich produziere zwar nicht selbst, lege die Tracks also nicht von Beginn an mit an, aber sobald mir der Produzent etwas schickt, schaue ich mir die Teile des Tracks an und verändere die Form, sodass er auch als Popsong funktioniert“, erläutert sie die Herangehensweise an ihre Musik. „Die meisten Produzenten instrumentaler Musik haben eine andere Vorstellung, was das Arrangement betrifft, als ich, besonders, wenn sie es nicht gewohnt sind, mit Stimmen zu arbeiten. Ich muss sie anleiten, in Strophe/Refrain-Abläufen zu denken.“
Zumeist geschieht dies per E-Mail. „Zunächst muss immer alles raus, was sich mit meiner Stimme schneidet“, geht sie ins Detail. „Das betrifft vor allem die Hi-Hats, die Dance-Produzenten sehr wichtig sind, deren Höhen aber reduziert werden müssen, da die Stimme Platz braucht. Nur wenn sie Raum hat, kann sie die Dinge atmosphärisch zirkulieren lassen.“

Die getrennte Arbeit sei auch insofern sinnvoll, da sie den sozialen Mechanismen des Genres entspreche, führt Kelela weiter aus. „Leute, die es gewohnt sind, allein in ihrem Schlafzimmer zu arbeiten, lassen einen nicht einfach herein in ihre Welt.“ Aber auch anders herum macht es Sinn. Sie selbst müsse sich erst einmal alleine in ein Stück fallen lassen. „Es geht darum, meine kindlichen ersten Ideen festzuhalten. Ich würde mich zu verletzlich machen, wenn ich das vor einem anderen Menschen täte. Es würde alles negativ beeinflussen.“

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!