Records of the Week

Stereolab „Instant Holograms on Metal Film” / Robert Forster „Strawberries”

Robert Forster (Photo: Stephen Booth)

Stereolab
„Instant Holograms on Metal Film”
(Duophonic/Warp/Rough Trade)

Robert Forster
„Strawberries”
(Tapete/Indigo)

Stereolab (Photo: Promo courtesey of label)

Stereolab und Robert Forster lagen für mich auf der einen Seite weit auseinander. Während die Go-Betweens bei mir direkt neben The Church oder The Jacobites im Fach melancholischer Heuler-Popmusik standen, waren Stereolab die sanfte, chansoneske, eben nur beinahe mit Easy Listening, Filmmusik, Electronica, Indietronics verbundene Ausgabe von Space-Psychedelia à la Spacemen 3, Flaming Lips, Lush oder Transient Waves. Wo sich aber beide Bands und ihre Köpfe dann doch bis heute treffen: Eben Köpfchen, Grips, Reflexion, Intellekt und gleichzeitiges Vergnügen, ohne sich selbst zu zerstören.

Vergleichen bedeutet nicht Gleichsetzen. Und das heißt auch beileibe nicht, dass Forster oder Stereolab keine schlechten Erfahrungen mit Krankheiten gemacht haben. Leider. Gleichwohl sind ihre Sinne geschärft – im Gegensatz zu einigen Genannten – sie haben ein besonderes, dandyistisches Ohr und Auge für Gestaltung und die Tatsache, dass Design und Stil (oder wahlweise Anti-Stil-Stil) eben doch Inhalte mitmacht: ‚Function follows form follows content follows form follows function‘. Nach vielen Breaks und persönlichen Rückschlägen und einigen Live-Warm-Ups bin ich fast etwas gerührt, dass nunmehr am selben Tag das erste neue Studio-Album von Stereolab nach 15 Jahren und einigen Live-Warm-Ups sowie das nächste Solo-Album von Robert Forster nach dem mitreißenden „The Candle and The Flame“ von 2023 erscheint.

Stereolab haben sehr viel Wirbel und Promo um ihre neue Musik gemacht, inklusive Fan-Beschickungen und Kreuzworträtsel. Das sei ihnen gegönnt, auch wenn die eigentliche Musik doch schon vollends genügt und Verkomplizierungen für die Journaille auch mal nerven. Denn die neuen, wieder opak betitelten Songs sind eben doch auch ohne ganzes Drumherum ‚einfach‘ wundervolle Songtracks oder Tracksongs, die Krautrock, Distortion und Indietum („Electrified Teenybop!“, „Immortal Hands“ sowie „Esemplastic Creeping Eruption“ oder „Melodie Is a Wound“, die auch von Robert Forster stammen könnten übrigens) auf den Tanzboden schieben oder eben doch wieder melancholische Nachdenklichkeit mit Postrock oder Jazz kongenial verbinden („Transmuted Matter“ oder der kleine Superhit „Aerial Troubles“). Nicht umsonst stand die Band um Laetitia Sadier und Tim Gane immer schon nicht weit von Tortoise, Red Krayola oder Gastr Del Sol. Wenn auch deutlicher in der Indiedisco oder manchmal sogar im Pollunder-Club, spätestens bei Bläsern oder Flöten. Glamourös ist das. Wieder. Da werden zahlreiche Genres, Instrumente und Ideen wieder in einen sehr geschmackvollen Mixer gegeben und zu Songs voller Sicherheit und Überraschung gleichzeitig verwoben. Hier wird auch Wissen geschafft, vor allem aber Musik, Musikschaften sind das, voller Erfahrung und Neugierde. Unter all dem liegt weiterhin für mich diese einmalige funkelnde ostentative Gelangweiltheit, die bestimmt nicht so gemeint ist.

Oder? Anders als einst die Slacker, eher abgehoben.
Sophisticated Pop wie „Flashes from Everywhere“ ist die direkte Brücke zum Australier und Wahldeutschen Robert Forster: Der steckt nach diversen Schicksalsschlägen gleich mit „Tell It Back To Me“ den Rahmen ab: Von allerersten Go-Betweens-Singles über dylaneske Songwriter-Mundharmoniker bis zum resignativ-hoffnungsvollen Charmeur zieht Forster alle Register. Wow!

Da wird auch vor Anleihen am 12-Bar-Blues nicht zurückgeschreckt. Peter Morén (Peter, Björn & John) hat Forsters neuntes Soloalbum produziert und dessen ganze Stärken herausgekehrt, er beschreibt Forster als einen „Auteur“. Als ob der belesene Australier das nicht auch schon selbst tut zwischen verschiedenen Charakteren hin- und hermäandriert. An den „Strawberries“ in der Küche erklären sich mit diesem reflektierten Lieder-, Personen- und Weltenmacher im Prinzip alle unsere Wirklichkeiten du Sehnsüchte. Von der ganz großen (alten, neuen, neu entdeckten) Liebe über das ganz große Krankheitsarschloch bis zu „Fuck, is what she said“. Song-Character, Sänger und Forster fallen praktisch in eine Figur und lassen uns wieder angenehm deuten und rätseln. Wenn das aufgeht, dann nennt sich das Glaubwürdigkeit. Tief berührend, diese mannigfaltigen und musikalisch glänzend reduzierten Erdbeerbetrachtungen. „Oh yeah“ und „Love can be a winning game“, alles Erzählungen, Dichtungen wie auf „Breakfast On A Train“.
Wer popjünger ist, also unter 35, und wissen möchte, wo War on Drugs, Real Estate, Ultimate Painting oder Horsegirl ihre Einflüsse herhaben, sollte Stereolab und Robert Forster genießen können.

Ich bin begeistert. Wir leben. Weiter. Immer wieder neu. Entdecken. Erfahren. Ganz viele Liebe für Laetitia, Tim, Robert, Karin und Co. und ihre perspektivenabhängigen Retrofuturismen oder Futuroretroismen. Pop für Erfahrene. Pop für Alte? Pop für alle! Funktioniert mit Geschichte(n) oder auch ganz ohne neu gestartet. Wenn sie, wenn wir wollen.

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